Der Psycho-Horror-Thriller-Science-Fiction-Roman: A wie B und C

Alexandra Kleeman hat einen realistisch-dystopischen Psycho-Horror-Thriller-Science-Fiction über Freundschaft, Schönheitsideale, Konsum und Liebe geschrieben, der sowohl die Freiheit als auch die Grenzen des Konsums aufzeigt. Und ganz nebenbei – wie zufällig – die Geschichte einer Magersucht erzählt.

Es hat lange gedauert, bis den Lesern und Zuschauern von Beauty-Blogs und YouTube-Channels aufgefallen ist, dass die meisten Produkte gar nicht wirklich die Favoriten der Blogger sind, sondern von Unternehmen gesponsert werden. Merkwürdig, dass man so lange für diese Erkenntnis brauchte. Schließlich ist es doch verdächtig: dass immer wieder neue Lippenstifte, Nagellacke und Haarshampoos vorgestellt werden –  wer hat denn schon fünf Lippenstifte, zehn Nagellacke und 20 Haarshampoos? Naja, viele! Je nach Stimmung schäumt man sich mit dem einen oder anderen Shampoo als Doping der jeweiligen Gefühlslage ein. Und je nach dem, welchen Teil seiner Persönlichkeit man gerade betonen möchte, wird der feuerrote oder doch nur ein farbloser Lippenstift aufgelegt. So weit, so bekannt. Doch was, wenn die Kaufentscheidung als Werkzeug zur Individualitätsstiftung nicht mehr ausreicht, sondern vielmehr als Defizit wahrgenommen wird? Wenn man sich plötzlich nur noch so fühlt, als sei man lediglich einer dieser Menschen, die eben Ökoprodukte kaufen, aber sonst nicht viel sind? Viele beantworten diese Frage mit Askese. Aber nicht der Debütroman A wie B und C der amerikanischen Autorin Alexandra Kleeman. Obwohl der Originaltitel You Too Can Have a Body Like Mine an einen Diätratgeber angelehnt ist.

Fleischkreislauf

Kleeman_Arturo_OlmosA war acht Jahre alt, als sie das Konzept der Nahrungskette und mit ihr das Jäger-Beute-Schema für sich entdeckte. Fortan war ihr klar, dass die Teilnahme am „Fleischkreislauf“ bedeuten würde, irgendwann von etwas gefressen zu werden, das größer war als sie selbst. Im Umkehrschluss bedeutet es, dass die Verweigerung von Nahrung – und damit der Ausstieg aus der Nahrungskette – als eine lebensverlängernde Maßnahme betrachtet werden kann.
Würde diese Geschichte von einer Veganerin erzählt, so hielte man sie womöglich für unglaubwürdig, ist doch nicht selten die Ernährung zu einem politischen Schauplatz geworden. Aber A, die Ich-Erzählerin, ist keine Veganerin und hat auch sonst keine spezifische Ernährungsphilosophie – vorerst.

So wenig wie für eine bestimmte Ernährungsweise interessiert sie sich für Diätprogramme. Zwar ernährt sich A beinahe ausschließlich von Wassereis und Zitronenwodka, doch der Grund dafür ist nicht einfach zu benennen und in seiner Komplexität ein zentrales Thema des Romans, der auch – aber auf eine fast unsichtbare Weise – die Geschichte einer Magersucht ist.
Ein Grund für A’s Ernährung ist ihre Mitbewohnerin B. Während A zumindest anfänglich noch darüber nachdenkt, sich ein Sandwich zu machen, imponiert ihr B’s Verweigerung des Essens so sehr, dass sie es ihr gleicht tut. Wenn auch unausgesprochen, so wird an der Handlung der Ich-Erzählerin deutlich, dass das Essen zum Austragungsort zwischenmenschlicher Konflikte wird, zu einer Arena, in der unbemerkt Konkurrenzkämpfe ausgetragen werden können.

Obwohl sich A merklich an B orientiert, glaubt sie vor allem, dass B genauso werden möchte wie sie. Wo die Autorin den Leser erst glauben lässt, es handle sich um ein gewöhnliches gestisches Aneinander-annähern, wie es unter Freunden üblich ist, deutet sich jedoch schnell ein Psychothriller an. B schneidet sich plötzlich den gleichen Haarschnitt und legt sich die gleichen Make-up-Produkte wie A zu, um genauso auszusehen – und zu sein. A fühlt sich zusehend in ihrer Individualität bedroht, besonders, als sie bemerkt, wie sich durch die äußere Veränderung auch eine charakterliche vollzieht.

Zugleicht bemerkt A, dass ihre bisherige Individualität aufgebraucht ist, indem sie zu einer bloßen Rolle wurde, die man einnehmen kann: „Wir beide hatten uns so daran gewöhnt, dass ich die Stärkere, die Vernünftigere und in der Lage war, nachzugeben, dass ich automatisch nachgab und das mich die Vorstellung meiner eigenen Stärke zur Schwächeren machte.“
Je schwächer sich A fühlt, desto mehr Angst bekommt sie, dass sich ihr Freund C in B verlieben könnte, weswegen sie ihn und B auf Abstand hält.

Im Hintergrund rauscht der Fernseher

Während die zwischenmenschlichen Konflikte ausgetragen werden, rauscht im Hintergrund stets der Fernseher. In den Vordergrund drängt sich die Werbesendung zu Kandy Kakes, von der es viele Episoden gibt, die den Roman leitmotivisch begleiten. In ihnen gelingt es Kandy Kat auf immer wieder neue Weise nicht, den Kandy Kake zu essen. Ein #Symbolbild. Denn auch immer, wenn A versucht, etwas zu essen, gelingt es ihr auf immer absurdere Weisen nicht: die Keksschachteln im Supermarkt sind leer, die Orangen im Kühlschrank ekeln sie plötzlich an, oder es ist einfach ein neuer Gedanke, der den Hunger verdrängt. All das stellt sich spätestens dann als eine Technik des Hungerns heraus, wenn A von B’s Food-Fotografie erzählt, die ihr deshalb imponiert, weil sie in ihr eine Fiktionalisierung der Befriedigung durch Essen erkennt. Bei ihrem nächsten Besuch im Supermarkt nimmt auch A sich ein Plakat mit, auf dem Kalbfleisch abgebildet ist, in der Hoffnung, dass sie allein durch den Anblick satt werden würde. Von B versucht sie sich hingegen fern zu halten.

Im Supermarkt Wally’s wird A schließlich auch auf eine Ernährungssekte aufmerksam, deren Herausforderung darin besteht, den Menschen von der „dunklen“ Nahrung zu befreien und ihn dauerhaft durch „helle“ zu ersetzen. Als A sich dieser Sekte eher zufällig anschließt, beginnt plötzlich eine dystopische Science-Fiction-Satire, deren Setting an den Film Die Insel erinnern würde, bestünde das weiße Gewand nicht in einem Bettlaken mit Augenlöchern, das eher an ein Gespenster-Kostüm denken lässt. So leben die bevorzugten – besonders hellen – Mitglieder, abgeschieden von der Außenwelt in völlig weißen Räumen und unter ständiger Kontrolle. Hier hat Alexandra Kleeman die Sprache von Detox eingehend studiert und sie virtuos mit der Praxis des Exorzismus kombiniert. Das Konzept „Entschlackung“ und „Entgiftung“ wird probehalber gleichgesetzt mit einer Austreibung des bösen Geistes und das passt gut zusammen. Zugleich ist die Ernährungssekte ein anspielungsreiches Synonym für sämtliche asketische Antworten auf die Frage, wie man der Konsumkultur begegnen könne.

Kein Generationen-Roman

Alexandra Kleeman lässt beide Konzepte scheitern, und nicht nur deshalb ist ihr Roman weder eine Kritik am Konsum oder den Medien, noch an den entsprechenden Gegenbewegungen. Vielmehr sind diese beiden Versuche wie die Gesichter der Rubin’schen Vase, nämlich eine Frage der Fokussierung: „Aus einem Bild werden zwei, die denselben Raum einnehmen, ohne ihn zu teilen. Oder vielleicht ist es das Gegenteil: Beide Objekte finden sich an einem gemeinsamen Ort, und indem das Hirn des Betrachters die Wörter Vase Visage Vase Visage Vase Visage denkt, wachsen sie zusammen.“ So sinniert A anfänglich über ihr Verhältnis zu B und es ist kein Zufall, dass die Ernährungssekte eben jene Vase in ihrem Logo trägt.

Es ist das ewige Hin- und Herfokussieren, das A verrückt werden lässt und auch Anteil an ihrer Magersucht trägt. A gewinnt ihre Autonomie in jenem Moment zurück, als sie sich selbst – abgemagert und dem Tode nah – in einer Fernsehsendung sieht, das Bild in seiner Gesamtheit erkennt und sich nicht länger in einem bestimmten Fokus verliert.
Das gleiche gilt im übrigen auch für den Konsum und das Wissen über seine zum Teil ambivalente Wirkung: ermöglichen viele Produkte einerseits Anpassung, dienen sie andererseits in ihrer Gesamtheit zur Erzeugung von Individualität. Kauft zwar jeder die gleichen Produkte, liegt doch in der jeweiligen Konstellation die Besonderheit.

Doch zum Glück hält der Roman keine Lösung bereit, sondern endet mit der nüchternen Feststellung: „Überall war Leben, unausweichlich und zwingend notwendig.“ Man braucht eben nur die richtigen Werkzeuge, um es sich gemütlich zu machen. Hierzu kann ein feuerroter Lippenstift genauso hilfreich sein, wie die Entscheidung, keinen zu tragen.

Übrigens ist A wie B und C auf eine wunderbare Weise kein Generationen-Roman, obwohl gegenwärtige Themen der Generation-X (oder Y?) überall anklingen. Seien es Social Media, Food Photography, Detox, WG-Leben oder TV-Trash – für Kleeman nichts, was man besonders hervorheben müsste.

 

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Alexandra Kleemann: A wie B und C

Kein & Aber Verlag

352 Seiten, 21,90 €

 

 

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