Frei.Wild live: Das Spiel mit der Ambivalenz

Frei.Wild spielten in Hannover eines ihrer letzten Konzerte vor der unbestimmte Zeit dauernden Band-Pause. Unser Autor war dabei.

Vor dem Konzert stehen sie in langen Reihen an, Biere in Hand. Lachen und laute Stimmen, die allgemeine, erwartungsvolle Fröhlichkeit vor dem Konzert schallt chorisch über den Platz vor der TUI-Arena auf dem Hannoveraner Messegelände. Es ist kurz vor Jahreswechsel, jemand hat Feuerwerk mitgebracht. Flaschensammler – aus der ganzen Stadt angereist – und mobile Bratwurstverkäufer machen gute Geschäfte. Eine Gruppe singt: „Wir sind keine Neonazis / Wir sind nur Holsteiner Jungs.“ Alle stehen in sehr ordentlichen Reihen an. Ja, selbstverständlich schaut man wer da so kommt. Wie Menschen so aussehen, die sich Frei.Wild live anschauen. Nicht, dass es möglich – oder legitim – wäre vom Aussehen der Fans Rückschlüsse auf deren politische Einstellung zu ziehen. Oder auf die der Band. In der Richtung ist eigentlich nichts zu holen. Trotzdem. Irgendwo muss man ja beginnen. Aber das einzige, was sich mit Sicherheit sagen lässt ist, dass viele Menschen schwarz tragen, und einige von ihnen Bratwurst mögen. Noch mehr von ihnen mögen Bier. Phillip Burger, der Frontmann der Band, rabaukt in seiner ersten Ansage auf der Bühne runter: „Lasst uns den Spießern den Arsch aufreißen“.

Stetig vergrößert

Im August kündigte die umstrittene Band das vorläufige Ende ihrer Auftritte an, man wolle sich anderen Projekten widmen, hieß es. Das Konzert in der Hannoveraner TUI-Arena am 28. Dezember ist das letzte vor dem zweitägigen Tourfinale in Chemnitz. Dementsprechend gut gefüllt ist der Saal. Überhaupt konnten Frei.Wild sich seit 2013 stark vergrößern. Da spielten sie in Hannover noch im Capitol, vor ca. 1000 Menschen. Dann kam die öffentlich ausgetragene Diskussion um ihre Nominierung für den Musikpreis Echo, bei es darum ging, inwieweit die Band nationalistisches und rechtes Gedankengut verbreitet. Es gab Proteste anderer nominierter Bands wie den Ärzten oder Kraftklub. Zwei Jahre später traten sie in der Swiss Life Hall auf, die gut 5000 fasst. Und nun eben in der TUI-Arena, in die 14.000 Menschen passen. Die Arena ist nicht bis zum Anschlag gefüllt. Aber fast. Wenn Burger Textzeilen wie „Die Konsequenzen falschen Denkens hatten wir schonmal“ aus dem Lied Weil ihr gern Kriege führt singt, in dem im Refrain folgt: „Wir bestehen auf unser Recht / Und lassen unsere Fahnen wehen / Seht es endlich ein, ihr könnt es nicht ändern / Was geschehen ist, ist geschehen“, und alle diese Menschen mitsingen, dann läuft es einem kalt den Rücken runter. Aber ganz so einfach ist es dann doch nicht.

Die Außenseiter

„Wir müssen Heimat wieder positiv besetzen“, sagt Burger in einer seiner Ansagen, und erntet Jubel bei den Fans. Frei.Wild sehen sich, das bestätigen auch zahlreiche Interviews, als die Außenseiter, die Missverstandenen. Dazu kommt, dass die Band eben nicht aus Deutschland stammt, sondern aus Südtirol, und, laut Burger, sich ihre Texte auch auf Südtirol bezögen. Wo man stolzer auf seine Heimat sei, und auch, im Gegensatz zu Deutschland, sein dürfe. Alles ganz harmlos, also. Laut Burger. Wobei es selbstredend nicht hilft, dass Burger bis 2001 Sänger der Rechtsrock-Band Kaiserjäger war, die sich nach einer Schlägerei zwischen italienischen und deutschen Neonazis auf einem ihrer Konzerte auflöste. Überhaupt ist Frei.Wild eine Band der Mehrdeutigkeiten, solcher, die, wenn man Kritikern der Band glauben möchte, bewusst in Kauf genommen werden. Es ist ein Spiel mit Bedeutungen: Öffentlich distanzierte sich die Band von der AfD, von Pegida, von Neonazis. In Ihrem Song Für immer Anker und Flügel (der live nicht gespielt wird), zitieren sie mit der Zeile „Sturm, brich los“ Goebbels‘ Sportpalast-Rede. Oder, wenn man Burger glauben möchte: Die Bibel.

Auch in Hannover spielt die Band mit dieser „Wir gegen die“-Einstellung, die bei den Fans gut ankommt. „All die Jahre wars nicht einfach / Diskussionen mit Vollidioten“ singt Burger. Ihr, die Fans, habt es verstanden, ihr seid die Eingeweihten. Alle anderen haben keine Ahnung. Ihr, die Fans, lehnt euch auf gegen „Gutmenschen und Moralapostel“, und dass der Band immer schon etwas leicht verruchtes, etwas böses anhaftet, das in der Echo-Kontroverse aus der Musikszene weiter in die Öffentlichkeit drang, trägt zu ihrem Erfolg nur bei.

Einhorn und Feuerwerk

Bei all dem, diesem ganzen Rattenschwanz an öffentlicher Diskussion gerät die Musik gerne mal ins Hintertreffen. Und die ist, abgesehen von den Mehrdeutigkeiten in den Texten, etwas langweilig, mindestens konservativ. Ein schwitzender Burger steht größtenteils statisch auf einer Bühne mit ein paar Projektionen im Hintergrund, die Band füllt die große Bühne nicht aus, wirkt teilweise eher verloren. Dazu punkig-männliche Brachialgitarren, Testosteronrock, der oft in in Richtung rumpeliger Spaßpunk abdriftet, alles sehr laut mit ein paar Balladen dazwischen: Interessant ist das nicht, eher tausendmal gehört.
Fast könnte man, wenn man zynisch sein wollte, sagen: Frei.Wild spielen besser mit Ambivalenzen als auf ihren Instrumenten. Das einzige, was Frei.Wild irgendwie aus der Masse ähnlich klingender Bands der Neuen Deutschen Härte abhebt ist die politische Positionierung, die, soviel lässt sich mit Sicherheit sagen, klar konservativ ausgerichtet ist, mit nicht genauer definiertem Spielraum in Richtung weiter rechts. Selbstverständlich, konservativ ist nicht gleich Neonazi, wer sich mit seiner Heimat identifiziert ist nicht gleich Rassist, wer Fans aus der rechten Szene hat – siehe Rammstein – spielt nicht unbedingt Rechtsrock. Frei.Wild jedoch verweigern sich, live wie auch auf ihren Alben, eindeutigen Positionierungen, stricken – und das durchaus gekonnt – an offenbar gut vermarktbaren Widersprüchen und Ambivalenzen herum. Die Texte, sowie die Band, lassen Lücken, in denen sich ideologisch eine Menge an Dreck ansiedeln kann. Die aber trotzdem groß genug sind, damit Frei.Wild, im Gegensatz zu expliziten Rechtsrock, mainstreamfähig bleiben können. Mit allen Konsequenzen, die das eben hat. Und an der Decke der Arena hängt ein Einhornballon, dem im Laufe des Konzertes die Luft ausgeht, vor der Bühne zündet jemand ein paar Bengalos, die von der Security schnell gelöscht werden.

Dieser Artikel erschien zuerst in einer leicht gekürzten Fassung in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung

Bildquellen