The sun always shines on tv

Humba humba humba tätärä – Gebrauchsanleitung Studiopublikum – The Sun always shines on TV

Heute ein unvollständiges Fragment von Mathias Mertens Fernsehkolumne. Es geht ums Studiopublikum. Folge #29 vom 6. Mai 2001

Alle lieben Sandra Maischberger. Täglich um halb sechs ist sie kompetent und interessiert, stellt die richtigen Fragen und läßt sich nicht aus ihrer souveränen Ruhe bringen. Egal ob Bundespräsident oder Skinhead, ihr geht es nur um ihren Gast und den Sachverhalt, den er personifiziert. Wir wußten ja schon immer, daß sie eine Gute ist, schon damals, als sie Live aus dem Schlachthof moderierte, und selbst dann, als sie von Erich Böhme in Talk im Turm ignoriert wurde. Um als Frau gut zu sein, muß sie natürlich auch gut aussehen, nicht als vorrangiges Merkmal, nur, damit man den Punkt abhaken kann, um sich dann dem Rest widmen zu können (bei Männern funktioniert es, wenn überhaupt, umgekehrt). Auch das ist gegeben. Jetzt fehlte nur noch ein Platz, auf dem keine Quote erwartet wird, so daß die journalistischen Kollegen nicht die kleine Zuschauerzahl als Argument für ein inhaltliches Versagen benutzen können, sondern es im Gegenteil, als ein Qualitätsmerkmal begreifen müssen. Mit n-TV hat man dafür den idealen Partner gefunden. Was bei großen Sendern als Quotenflop durchfallen würde, wird hier als ein erstaunlicher Erfolg und Marktanteil angesehen und entsprechend feuilletonistisch begleitet. Als wäre das noch nicht Argument genug, um Sandra Maischbergers persönliches Verdienst zu schmälern, läßt sich noch ein anderer Punkt anführen, der zur Qualität dieser Sendung entscheidend beiträgt: Es gibt kein Studiopublikum.

Wenn man von den gelegentlichen Interviews absieht, die von den Unantastbaren Günter Gaus und Alexander Kluge geführt werden, gibt es eine solche Sendung fast gar nicht mehr im deutschen Fernsehen. Das, was Kluge und Gaus machen, unterscheidet sich aber in einem Detail von Maischberger. Die beiden Altmeister sind als Persönlichkeiten so stark gesetzt, daß sie sich erlauben können, das televisive Äquivalent des Computerspielgenres „Ego-Shooter“ anzubieten. Der Zuschauer bekommt nur ihren Blickwinkel auf den Gast zu sehen, er muß sich also gewissermaßen als dessen Gegenüber imaginieren, wobei man in dieser Imagination seinen Geist aufgeben muß, denn man redet plötzlich mit der Stimme eines Siebzigjährigen. Gnadenlos kann man jetzt alles intellektuell plattwalzen, was dort vor die Linse kommt. Gut, daß die beiden Herren auf völlig inakzeptablen Sendeplätzen kommen, man könnte sonst süchtig werden und einen Identitätsverlust erleiden. In diesen induzierten Allmachtphantasien würde man die deutschen Feuilletons mit großen Salven unverlangt eingesandter Manuskripte beschießen, sich in Talkrunden einladen oder Verträge bei den großen Verlagshäusern aushandeln wollen. Genau wie bei den Ego-Shootern, die ja auch die Gefahr bergen, daß man mit Raketenwerfern durch die Fußgängerzone stürmt. Bei Sandra Maischberger besteht diese Gefahr nicht, denn wir können sie ja sehen. Sie ist gewissermaßen die Lara Croft des Talkfernsehens, die Kamera bleibt immer dicht an ihr dran, so daß wir immer mitten in der Action sind und sie doch einer anderen Figur attribuieren können.

Aber zurück zum Publikum. Vor Maischberger gab es in jüngerer Zeit zwei Sendungen, die ebenfalls davon zehrten, keine frenetische Masse im Hintergrund präsentieren zu müssen, und dadurch ihre Moderatoren zu ebensolchen Meistern machte, wie es jetzt mit Sandra Maischberger geschieht. Daß ihre Qualität nur vom fehlenden Publikum abhing, beweist die Tatsache, daß beide nach dem Anfangserfolg mit ihren zweiten, größeren Sendungen scheiterten, die beide live vor Studiopublikum stattfanden. Die Rede ist von Roger Willemsen und Friedrich Küppersbusch. Beide waren in ihren Sendungen 0137 bzw. ZAK allein mit ihrem Gast, sieht man mal von einer unbedeutenden Zahl an Kameramännern, Kabelträgern, Aufnahmeleitern, Beleuchtern, Toningenieuren, Visagisten und Regieassistenten ab. Diese Menge an Leuten war allerdings in den Produktionsprozeß einbezogen, auch wenn sie nicht sichtbar waren, waren sie doch Teil dessen, was dort zum Sehen hergestellt wurde. Der Moderator mußte sich also nicht beobachtet fühlen, sie waren keine Zuschauer. Kein donnernder Applaus zu Beginn der Sendung, kein ritualisiertes „Wir haben doch keine Zeit!“, wenn die Zuschauer, wie vorher eintrainiert, nicht aufhören wollen, zu klatschen, keine Lacher an den richtigen und falschen Stellen, keine zu greifende Spannung, keine winkenden Menschen, kein herausgegriffener Zuschauer, keine Anmoderation auf den Stufen zwischen den Sitzreihen. Küppersbusch und Willemsen konnten sich ganz auf sich und die Sendung konzentrieren. Alles das hatten wir dann bei Privatfernsehen und Willemsens Woche. Aber auch nicht lange.

Daß bei Privatfernsehen der Fußballstadien-Organist Franz Lambert für die musikalische Untermalung sorgte, ist ein Symptom. Mit Studiopublikum saßen Willemsen und Küppersbusch gewissermaßen an einem Keyboard mit Drumbox mit der Aufgabe, eine gelangweilte Goldene-Hochzeit-Gesellschaft in einem Dorfkrug in Schwung zu bringen. Spielt man etwas Anspruchsvolles oder Neues, etwas, was einen selbst gerade begeistert, dann sieht man nur in stumm glotzende Gesichter von Besoffenen. Also stimmt man La Paloma an, das Kufsteinlied oder den Schneewalzer und schon fangen alle an zu schunkeln. Ein Publikum ist eben gnadenlos, man will ihm sofort gefallen.

[Unvollständig]

Bildquellen

  • The sun always shines on tv: Mathias Mertens