Mehr so mittelmäßig – ein Rundgang über die Manifesta 11

Unsere Autorin ist über die Manifesta 11 in Zürich gegangen. Lose Notizen über große Gegenwartskunst.

Drei Tage Manifesta 11 in Zürich. Drei Tage der Frage nachgehen: What People do for Money? Erwartungen: hoch. Darf man Kurator Jankoswki Glauben schenken, wird niemand diese Manifesta mittelmäßig finden. Also dann: Hopp oder top.

Löwenbräu-Areal. Erster Eindruck: Viel. Viel Raum, viel Weiß, viel Kunst. Historical Exhibition und die aktuellen Werke sind klar voneinander getrennt mit #fancigemetallhängungskonstruktion und trotzdem fließt alles irgendwie einander über. Manchmal gut, zum Beispiel ganz oben, da hängt die Arbeit von Jenifer Tee zum Thema Übergang zwischen Leben und Tod gegenüber von riesigen Abzügen der Satellitenfotografien von Sternen. Die Arbeiten bewegen sich aufeinander zu, gehen ineinander über. Alles ist Sternenstaub und so.

Manchmal aber auch nicht so gut.

Nach Jon Rafmans Open Heart Warrior Film schwer verstört. Will jetzt nach Hause und Rosamunde Pilcher gucken. Oder gleich Alkohol. Starken. Solcher, der vergessend macht.

Stattdessen Film von Menschen beim DMT nehmen gesehen. In Untertiteln stehen die Beschreibungen ihres Trips. Nix für mich. Mir wird schlecht. Sowas nimmt mich immer mit, weiß der Geier warum. Vielleicht, weil ich im tiefsten Innern meines Herzens einfach nicht abgebrüht genug bin für den Scheiß. Will jetzt auch keinen Alkohol mehr. Will lieber einen Tee. Und nie wieder irgendwelche Rauschmittel.

Um mal kurz Abstand zu gewinnen auf die Toilette gegangen und sitzen geblieben. Bringt nichts, im harten Weiß der Untergeschosstoilette fühle ich mich fünftausendmal so räudig. Also weiter. Die Kunst will gesehen werden.

Mache ein dokumentarisches Kloselfie. Titel: Was die Manifesta 11 mit mir macht.

Manifesta_selfie

Matyáš Chochola Installation irritiert die Gruppe. Ist all that Glitter und Satinhosen jetzt Klischee oder Realität des Boxens?

Eventuell sind mir die Kategorien, nach denen die Ausstellung untergliedert ist, zu didaktisch. Portraits von Berufsgruppen. Kunst ohne Künstler. Berufe in der Kunst. Kunst als Zweitberuf.

Nee, nicht eventuell. Warum solche starren Schubladen? Das geht nicht auf. Und man hätte es auch gar nicht versuchen sollen.

Wo bleiben die wichtigen Themen? Wo bleibt der Diskurs? Wo bleibt die Provokation? Ich meine das Thema, kommt schon, das Thema, es lädt doch dazu ein.

Oder sollte man sich Themen, die einladen, generell verweigern? Aber dürfte man dann hier seine Arbeiten ausstellen?

Eine Performance im Cabaret Voltaire ging so: Mann mit Klodeckel um den Hals redet schnell.
Eine andere so: Mann in der Ecke, stottert und erklärt sein Stottern und in der Ecke sein. Mann geht rückwärts aus der Ecke. Mann lehnt sich gegen Spiegel. Mann tanzt. Mann tastet Spiegel ab. Mann tanzt wie bei einem spirituellen LSD-Rave.

Performance_Mann in Ecke

Teresa Margolles Arbeit – bewegend. Sowohl die Videos, in denen sich Freunde, der ermordeten Transsexuellen Karla aus Mexiko zu deren Tod äußern, als auch das leere Zimmer mit ihrem Anlitz in einem Hotel im Züricher Rotlichtviertel.

Wenn irgendwo Gentrifizierung, dann übrigens hier. Wie aus dem Lehrbuch.

Bewegend auch der Anblick des Mannes in seiner eigenen Kotze voll auf kaltem Entzug. Zu spät gekommen zur Kontakt-und Anlaufstelle. Und das, denke ich, ist der Grund warum ich Videos mit trippenden Menschen nicht so mag. Wegen der impliziten Fallhöhe, die immer da ist, da kann man sagen, was man will.

Die Dunkelheit, die Angst.

Santiago Sierra hat das Helmhaus in Zusammenarbeit mit einem Sicherheitsberater sicher machen lassen. Gegen hineinrasende Autos mit Bombe, gegen Scharfschützen, sowas. Aber am Helmhaus ist nichts. Kein einziger Sandsack. Musste weg, wegen des Zürifestes erklären die Damen an der Info. (Eine Museumsmitarbeiterin erklärt uns später, viele Zürcher hätten ohnehin ein Problem mit der Verschandelung des schönen Helmhauses mitten in der Stadt gehabt.) Im Satelliten könne man aber ein Video sehen, dass den Aufbau der Arbeit zeigt. #schade #einederwenigenkritischerenarbeitenschonwiederweg

Handkrampf. Notieren im Eilverfahren.

Nabokov war ein obsessiver Schmetterlingssammler #wussteichnicht.

Im Museum holt einen ständig der Tod ein. Oder die Lebendigkeit. Oder die überstrapazierte Lebendigkeit. Oder der verschobene Tod. Oder die Ewigkeit. Weißnichteinwechselbadwasdennnun?

Ceal Floyers Arbeit Romance könnte ein Bild für die Liebesbeziehung zwischen Menschen sein. Am Ende immer scheitern an der eigentlichen Einsamkeit des Subjektes.

Zwischendrin: Ein Schwindel und eine Schwere. Drückende Müdigkeit. Die Augenlider wollen zu und der Kopf in einer ruckartigen Bewegung nach vorne fallen.

Michel Houllebecq is not ok. Er raucht zu viel. Surprise, Surprise. Auch irgendwie überraschend, irgendwie aber auch nicht: das seine Arbeit nichts als eine narzisstische Selbstbespiegelung ist. Er hat sich beim Chefarzt für Medizinische Abklärungen einem Gesundheitscheck unterzogen. Die Dokumente liegen in der Klinik zum Mitnehmen (auch wenn der Sicherheitsbeamte des Krankenhauses missbilligend mit dem Kopf schüttelte und etwas von „Gesamtkunstwerk“ murmelte) und im Helmhaus an der Wand zum Beispiel in Form eines Röntgenbildes seines Kopfes. Hier heißt es: Endlich eine Inneneinsicht in Michel Houllebecq. Man kann das jetzt persönliches memento mori nennen (wie der Tagesspiegel). Oder halt einfach langweilig.

Diese seltsame Kollision von einer Gruppe munterer Ausstellungsbesucher und bedrückter Gäste/ Patienten im Eingangsbereich der Krankenhäuser. Ist das schon pietätslos?

„Tavistock-Stil nachsehen“ notiert. Um Leigh Ledares Arbeit besser zu verstehen.

Zwischendrin ist da plötzlich so eine extreme Sehnsucht nach Zuhause und kein Bock mehr auf Kunst und vielleicht ersticke ich gleich am Weiß der Wände und Grau des Bodens.

40 Minuten Fahrt zum Satelliten von Sierra. 10 Minuten Fußweg. Es ist sehr warm. Dort angekommen öffnet eine böse blickende Frau die Tür. Hier gibt’s kein Video. Manchmal funktioniert dieses ganze Konzept gar nicht. #manifestafrust

Besucher, dir nur einen Tag für die Manifesta mitbringen tun mir Leid. Bei der Vorstellung, all das an einem Tag abzuarbeiten platzt mir fast der Kopf. Ein Ding der Unmöglichkeit. Mitunter führt dieses kuratorische Konzept wohl dazu, dass man immer nur einen Teil der Arbeit sieht und ein anderer Teil verborgen bleibt. #dieungesehenenwerkedermanifesta

Auf Aufklebern von Street Artists, die auf offiziellen Infoaufklebern an den Satelliten kleben, stehen die wirklich brisanten Fragen. Warum verdienen Frauen immer noch weniger als Männer? Kennst du das Reinigungspersonal in deinem Büro? Was würdest du nicht gegen Geld tun? #ungefragtefragendermanifesta

Es ist hot, hot, hot. Es sprudelt mein Schweiß wie das Trinkwasser aus den Brunnen. Bei 30 Grad und Mittagssonne fängst du an, diese Scheißsatelliten zu verfluchen. Was soll überhaupt dieses ganze lächerliche Konzept, warum muss alles miteinbezogen werden, scheiß auf Partizipation, was zur Hölle spricht gegen den White Cube, nichts, nichts, vor allem nicht, dass er eine Klimaanlage hat.

Dann Bootsbauer, dann Jorinde Voigts Zeichnungen, dann diese Farben, dieses Gold und Blau und Pinkrot. Dann diese beeindruckenden, eleganten, feinen Boote und die Menschen, die so gekonnt und intuitiv und ohne sich stören zu lassen weiter daran arbeiten. Dann diese beeindruckenden, eleganten, feinen, geistigen Arbeiten von Voigt an diesem Ort. Das ist poetisch auf eine gute Art, hier funktioniert das Konzept nicht nur in der wechselseitigen Wirkung von Arbeit und Ort und Arbeit des Ortes, sondern auch, weil ich mich wirklich freue, diesem Ort und diesen Menschen begegnet zu sein, weil ich sonst nicht herkommen wäre und weil man auf dem Steg hinterm Haus die Füße in den See halten und das Alpenpanorama bestaunen kann.

Letztlich stimmt, was auf der Homepage der Manifesta zum Konzept stand: „Auch wenn er moralisch aufgeladen klingt, so ist der Titel What People Do for Money doch nur eine einfache Frage.“ Und diese einfache Frage hat eine Menge eher einfache Antworten bekommen.

Trotz dieser Erklärung irgendwie enttäuscht. Klar, Kunst muss nicht politisch sein. Muss gar nichts und so. Aber sie könnte ja trotzdem manchmal. Zumindest ein bisschen tiefer, nur ein bisschen tiefer gehen. Am Ende ist die ganze Sache eben doch vor allem mehr so eins: nämlich mittelmäßig.

Pavillon of Reflections mag ich. Weils auf dem Wasser ist. Weil die Stimmung schön ist. Weil es tobende Kinder gibt, Leute, die schwimmen und Leute, die sich die Videos anschauen. Der betrunkene Dude neben mir hat sehr lange Fußnägel. Er fragt, was ich für Geld tun würde. Ich sage: Nichts. Und meine damit: Bitte, gerade möchte ich nicht reden, gerade möchte hier hängen, Filme und manchmal auf den See schauen. Er lacht. Er sagt: Ich auch nicht. Dann schauen wir schweigend zusammen.

Bildquellen

  • Manifesta_selfie: Lisa Krusche
  • Performance_Mann in Ecke: Performance im Cabaret Voltaire / Bild: Lisa Krusche
  • Manifesta_Eternal garden: Evgeny Antufiev: Eternal Garden / Bild: Lisa Krusche