Peng!-Kollektiv: „Das ist ein deutsches Staatskunstprojekt.“

Das Aktivistenkollektiv Peng! provoziert mit der Aktion Mask.ID eine Auseinandersetzung mit dem Wert von Identitäten

Am Anfang steht in der Regel ein Knalleffekt: Das Peng!-Kollektiv hat in den vergangenen Jahren immer wieder durch spektakuläre Aktionen zwischen politischem Aktivismus und Kunst öffentliche Aufmerksamkeit kanalisiert. Mit Hilfe eines falschen Pressesprechers erklärte es im Namen des Energiekonzerns Vattenfall dessen Ausstieg aus der Kohleenergie, mittels eines falschen Schreibens rief es im Namen des Waffenherstellers Heckler & Koch Kleinwaffen von US-amerikanischen Händlern zurück und per Videobotschaft rief es dazu auf, bestimmte Produkte in Supermärkten zu stehlen, um den Kaufpreis anschließend an Gewerkschaften der ausgebeuteten Produzenten in den Herkunftsländern zu spenden. Erst vor vier Wochen erhielt das Kollektiv für seine Aktionen den Aachener Friedenspreis.

Am Samstag veröffentlichte Peng! in der Hamburger Galerie Affenfaust seine aktuelle Aktion Mask.ID. Als Exponat war ein Reisepass zu sehen, den sich ein Mitglied des Kollektivs hat offiziell ausstellen lassen – mit einem Passfoto, für das eine Software Merkmale ihres Gesichts mit dem der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini vermischt hatte. Am Dienstag folgte ein zweiter Teil des Projektes mit dem Titel „Unmasking European Union“: Peng! behauptet, per DHL-Paket fünf gültige deutsche Reisepässe auf den Weg nach Libyen gebracht zu haben – mit Bildern, in denen jeweils das Gesicht des Passinhabers mit dem eines Libyers vermischt wurde, um diesem so eine Einreise nach Deutschland zu ermöglichen.

Ihr Projekt Mask.ID fragt nach Identitäten, deren Wert und Repräsentation. In ihren öffentlichen Auftritten nehmen die Mitglieder des Peng!-Kollektivs immer wieder andere Identitäten an. Mit wem findet dieses Gespräch also statt?

Bei dieser Kampagne heißen wir alle Billie Hoffmann.

Hallo Billie Hoffmann. Warum arbeiten Sie überhaupt mit Pseudonymen?

Wir halten nichts von Personenkult. Journalisten hören gerne bestimmte Namen, am liebsten prominente. Wenn wir bei Peng! nicht als Einzelpersonen bekannt sind, passiert uns das nicht.

Sie verstecken sich dennoch nicht hinter Ihren Aktionen, bleiben ansprechbar und verantwortlich. Das aktuelle Projekt nennen Sie selbst ein „Stück“. Machen Sie Theater?

Das hängt vom Theaterbegriff ab. Wir arbeiten in der Öffentlichkeit mit Diskursen. Unsere Bühne sind teils die Medien, teils öffentliche Räume. Wir nutzen dabei Mittel des Theaters, der direkten Aktion und des investigativen Journalismus. Aber nur weil wir Menschen vor einer Kamera interviewen, machen wir ja auch noch kein Fernsehen.

Zumindest häufen sich kulturelle Kontexte. Die Präsentation des ersten Teils von Mask.ID fand in einer Kunstgalerie statt, der zweite Teil wird während eines Kulturfestivals des Deutschen Schauspielhauses Hamburg diskutiert. Und nicht zuletzt sind beide Teile durch Kulturförderung finanziert.

Die Bundeskulturstiftung hat unser Stück gefördert, die Bundesdruckerei hat es produziert. Das ist also ein deutsches Staatskunstprojekt. Aber die Produzenten werden im Theater ja leider viel zu selten erwähnt. Der erste Auftritt fand übrigens im Bürgeramt Kreuzberg statt.

Eine Aktivistin beantragte dort einen neuen Reisepass – und zwar mit einem Passfoto, das aus biometrischen Merkmalen von ihr und der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini bestand.

Wir haben die beiden Gesichter gemorpht. Das heißt, dass wir die Vektoren berechnet haben und an Punkten, die nicht übereinstimmten, einen Mittelwert. Eine lernende Software suchte dann in einer Datenbank mit Gesichtsmerkmalen nach Entsprechungen. Am Ende erkennt das menschliche Auge in dem Foto beide Personen, wenn es sie direkt vergleicht. Die biometrischen Daten gehen dabei jedoch verloren.

Ein Computer könnte also keines der beiden Gesichter erkennen, ein Zollbeamter eventuell schon?

Genau.

Es geht Ihnen um Datensicherheit und Überwachung – und letztlich wohl darum, wie gefährlich eine EU-weite Datenbank sein könnte, in der biometrischen Daten gesammelt werden?

Darum, wie gefährlich eine solche Datenbank schon ist und was noch auf uns zukommt. Nach Änderung des Gesetzes zur Förderung des elektronischen Identitätsnachweises im Juli 2017 dürfen die Polizeibehörden des Bundes und der Länder, der Militärische Abschirmdienst, der Bundesnachrichtendienst, die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, Steuerfahndungsdienststellen der Länder, der Zollfahndungsdienst und die Hauptzollämter direkt auf die bei Meldebehörden gespeicherten Lichtbilder zugreifen. Der direkte digitale Zugriff zur „Erfüllung ihrer Aufgaben“ muss nicht begründet werden, eine richterliche Überprüfung ist nicht nötig.

Ihre Intervention ist ja eher symbolischer Natur. Der Reisepass ist zwar echt, aber Sie warnen vor Nachahmung – obwohl Sie auf Ihrer Website den Service anbieten, ein eigenes Bild mit anderen Bildern verschmelzen zu lassen. Es geht um Bewusstmachung. Was können jene tun, die die Gefahr erkennen?

Wir wollen ins Bewusstsein rufen, dass jetzt möglichst viele Menschen politisch aktiv werden müssen, um solche totalitären Kontrollmechanismen zu stoppen, bevor es zu spät ist. Ist der letzte Schritt zur Massenüberwachung getan, wird dieser Prozess kaum noch umkehrbar sein. Was sich genau tun lässt, ist eine Frage, die auch uns schnell in die Ohnmacht treibt. Wenn sich aber alle auf ähnliche Weise daraus freistrampeln würden, wie wir, wäre sicher ein guter Schritt getan.

Der Reisepass der Kollegin Billie Hoffmann ist ja echt, darauf steht ihr echter bürgerlicher Name. An dieser Stelle endet das Spiel und ein Reiben an der Illegalität beginnt. Hat sie eine Straftat begangen? Ihre Existenz ins Rennen geworfen? Wie ernst kann das werden?

Ziviler Ungehorsam hat die Eigenschaft, dass man sich selbst mit seiner Person, seinem Körper in eine Situation begibt und klar Stellung bezieht. Hier wird der „Actor“, die Schauspielerin, zur Akteurin.

Ist diese Art von Zivilcourage, die Außenstehenden ja auch Nervenkitzel verspricht, wesentliches Moment Ihrer Aktionen?

Es geht dabei weniger um den Nervenkitzel der anderen, als darum, Beispiele zu setzen, wie man sich verhalten kann, anstelle in einem intellektuellen, linksliberalen Phlegmatismus zu verharren.

Wie wichtig ist für Sie eine Reaktion derjenigen, die Sie herausfordern, also staatlicher Behörden?

Wir sind es ja die reagieren: Die staatlichen Stellen verschärfen die Kontrolle immer weiter. Die letzten Bastionen der Handlungsfähigkeit scheinen immer mehr die Räume der Kunstfreiheit zu sein – was kein gutes Licht auf die Demokratiefähigkeit unserer Gesellschaft wirft. Aber wir werden sehen, wie weitere Reaktionen auf unsere Aktion ausfallen werden.

Der Reisepass hängt aber noch an der Wand? Noch ist kein Uniformierter in der Galerie aufgetaucht? Ist da zu viel Kultur im Kontext?

Zu viel Kultur ist ein Oxymoron. Aber die Behördenmühlen mahlen vermutlich einfach langsam.

Das Behördeninteresse wird beim zweiten Teil der Aktion vermutlich steigen. Der wendet den Blick vom Reisedokument nach außen. Zum Thema Überwachungsstaat kommt das Thema der EU-Außengrenzen. Die Methode bleibt die gleiche: ein gemorphtes Bild auf einem Reisepass. Diesmal soll er aber nicht in einer Galerie hängen, sondern zum Einsatz kommen – als Instrument der Fluchthilfe aus Libyen.

Die Situation in Libyen ist unerträglich. Folter und Misshandlung sind dort an der Tagesordnung. Die deutsche Regierung setzt immer noch auf die Milizen und unterstützt den Aufbau von Foltergefängnissen anstelle mit der Zivilbevölkerung zu kooperieren. Das ist allen bewusst, die sich damit auch nur fünf Minuten beschäftigen. Wir fragen uns, wie man das im Jahr 2018 einfach so stehen lassen kann. Darüber möchten wir reden. Und über unsere Privilegien, die wir vor uns baumeln lassen wie einen Mercedesstern.

Sie haben zunächst in Libyen recherchiert und ein Mitglied einer kooperierenden Künstlergruppe Bilder vor Ort drehen lassen. Wo Peng! sich sonst in Spots mit Hochglanzbildern der Werbeästhetik bedient, arbeitet dieser Film mit ganz anderen Bildern.

Wir wollten keine klassischen Kriegsbilder machen, sondern vom Alltag vor Ort erzählen. Die Bomben bewegen niemanden mehr, die spürt niemand, weil es sich so irreal anfühlt.

Sie verschmelzen Passbilder von Libyern, die das Land verlassen wollen bzw. müssen, mit denen von Freiwilligen aus Deutschland – mit dem Ziel, dass die damit ausgestellten Reisepässe, nach Libyen geschickt, dann den Libyern eine Einreise ermöglichen. Das klingt abenteuerlich.

Es gibt sehr viele Wege, nach Europa zu kommen. Die meisten, wenn man nur einen Pass aus einem Land mit schlechter Wirtschaftslage hat, sind tödlich. Wenn man zu einer guten Familie gehört oder Zugang zu Ministerien hat, wird es erheblich einfacher. So trivial-brutal ist es heute noch. Korrupte Milizenführer kommen problemlos nach Europa, weil sie reich sind. Diejenigen, die sich vor Ort für eine liberale und freie Zivilgesellschaft einsetzen, haben keine Chance. Weil sie nicht „beweisen“ können, dass sie zurückkehren werden.

Wo sich beim in der Galerie ausgestellten Reisepass noch mit Kunstfreiheit argumentieren lässt, handelt es sich beim zweiten Teil des Projektes vermutlich um eine Straftat – und zwar um eine, die Themen berührt, die gerade immer weiter eskalieren. In einer Zeit, in der dem letzten privaten Hilfsschiff auf dem Mittelmeer auf Druck Italiens hin die Flagge entzogen wurde: Mit welchen Reaktionen rechnen Sie?

Wenn alles gut geht: mit dem Fall der Europäischen Außengrenze. Mir fällt keine bessere Wendung in der Geschichte ein.

Sie starten in der Regel keine Aktion, ohne sich lange mit Anwälten zu beraten. Gibt es bereits eine Strategie der Verteidigung?

Es gibt juristische Beratung im Projekt. Aber es gehört zur Verteidigungsstrategie, diese nicht vorab zu veröffentlichen. Wir haben aber drei Anwälte, die bereits am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gearbeitet haben und sich sehr freuen würden, wenn es zu einer Anklage käme.

Wer wählt die am Projekt beteiligten Libyer aus? Nach welchen Kriterien? Entwickeln Sie alternative Einreisebestimmungen? Braucht es nicht irgendwelche Regeln?

Wir spielen hier weder Gott noch Staat. Unsere Kriterien waren, dass wir uns verstehen – sprachlich und politisch. Und dass die Menschen Interesse haben, mit uns zu kooperieren. Wir haben keine Kapazitäten, die UN zu simulieren, und daran sollte man uns auch nicht messen. Wenn man eine Möglichkeit hat, mit jemandem zusammenzuarbeiten, um eine Flucht zu ermöglichen, ist es eher menschenverachtend, wenn man dann einen Katalog und irgendwelche Raster auf ihn anwendet – und sich auf Demokratie und soziale Gerechtigkeit beruft um nicht handeln zu müssen.

Würde man das Modell größer denken, könnte es aber bei der Notwendigkeit von Kriterien enden. Spätestens, wenn es mehr Menschen gibt, die wollen und passen, als es Möglichkeiten zur Fluchtunterstützung gibt. Wäre das dann ein moralisches Dilemma?

Das wirkt ein bisschen wie eine Suche nach Verantwortungsabgabe und ein Versuch, die eigenen Privilegien nicht anzufassen. Ja, es wäre ein Dilemma. Und ja, wir sind jetzt schon in einem extrem zynischen Dilemma: Wollen wir es wagen, die aktuelle Situation aufzubrechen oder nicht? Da hilft es nicht, zu überlegen, was man denn machen würde, wenn man Trump oder Gott oder der König der UN wäre.

Eine Einreise ohne Kriterien und ohne jegliche staatliche Kontrolle dürfte auch ziemlich vielen weltoffenen Menschen Kopfschmerzen bereiten. Die werden fragen: Wie verhindern Sie, dass Waffenhändler oder Kriegsverbrecher Ihr System missbrauchen? Oder steht hinter der Aktion die Vision von radikal offenen Grenzen für jeden?

Waffenhändler und Milizenführer können momentan ungehindert einreisen, weil sie genug Geld auf dem Konto haben – oft EU-Geld. Wir sollten das Thema jenseits von menschenrechtlichen Argumenten auch entwicklungspolitisch betrachten. Wenn Menschen frei zwischen Staaten pendeln können, senden sie Geld an ihre Familien vor Ort, was viel wirksamer ist, als Gelder der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit an Diktatoren und Milizen zu geben. Wer das Grundrecht auf Reisefreiheit einschränken möchte, sollte das erklären – nicht anders herum.

Viele Menschen werden wohl dem ersten Teil der Aktion zustimmen, in dem es um die eigenen Daten geht. Sie werden aber den zweiten Teil ablehnen, aus Angst vor Kontrollverlust. Geht es Ihnen auch um diese Dialektik, um das Erzeugen von Widersprüchen?

Es geht darum, die eigene Position zu reflektieren. Was ist meine Identität? Endet die bei meinem Kopf, meinem Körper, meiner Familie, meinen Hobbies? Oder gehört da auch der Kiez dazu, das Land, Die Umwelt, etc. Das Ich ist eben ein Bündel von Zugängen, die man hat oder nicht hat. Es mag sich für viele wie Kontrollverlust anfühlen, dass man Macht verlieren könnte, die einem in den allermeisten Fällen vermutlich nie zustand. Wie viel Risiko bin ich bereit, auf mich zu nehmen, wie viele Privilegien bin ich bereit abzugeben, wenn ich will, dass wir als Gesellschaft überleben?

Wird Peng! die Öffentlichkeit über den Fortgang des Projektes informieren? Oder bleibt der Rest der Vorstellungskraft überlassen?

Wir beobachten wie es weiter geht, haben aber keine Kontrolle über die Entwicklung. Sobald es Neuigkeiten gibt, werden wir diese mit der Öffentlichkeit teilen.

Bildquellen

  • 42494169_273319346841566_5886030474739974144_n: Peng! / Fabian Melber
  • 42607815_306984200099180_1402134147278831616_n: Peng! / Fabian Melber
  • 42582128_1886069634774858_1037627836304719872_n: Thomas Kaestle