„Ich hatte Glück, diesen Wahnsinn mit anderen teilen zu dürfen“

Die Französin Sandra Bourdonnec hat mit Laisse le vent emporter tout einen No-Budget-Film gedreht, der auch eine Generationenfilm für alle Thirtysomethings ist, die in Berlin verloren sind. Wir haben mit der Regisseurin und Schauspielerin gesprochen.

Da muss erst eine Französin kommen, um einen guten Film über Berlin zu machen. Obwohl das wohl unfair ist. Sandra Bourdonnec wohnt seit 3 Jahren zwischen Paris und Berlin, und hatte Gelegenheit, das Leben ihrer Generation um die 30 dort zu beobachten. Ihre Beobachtungen hat sie in den No-Budget-Film Laisse le vent emporter tout gepackt. An der Oberfläche ist es eine Geschichte über eine Liebe, die in vor großen Herausforderungen steht. Und darunter? Ein Film irgendwo zwischen Girls und tristem Existentialismus, voller Parties, die man kennt, voller Menschen, die man schonmal gesehen hat, der von einer Generation erzählt, die zwischen babylonischem Sprachgewirr und demütigenden Nebenjob auch nicht so ganz genau weiß, wo sie hinsoll.

Einen Spielfilm wie Laisse le vent empoter tout ohne Budget zu machen, wie geht das?

Ich bin seit 5 Jahren Mitglied in eines Netzwerkes namens KINO MOUVEMENT INTERNATIONAL, die Menschen versammelt, die gerne Filme machen möchten, die aber nicht unbedingt finanzieren können. Es gibt da weltweit unterschiedliche Zellen, ich komme aus der Pariser Zelle, bin dann der Hamburger Zelle sehr nah gekommen, HamburgerKino, und mit einigen Freunden haben wir dann die Zelle in Berlin geründet: KinoLoop. Wir treffen und jeweils am ersten Montag des Monats. Als Teil dieses Netzwerkes haben ich mir selbst viel beigebracht. Ich habe zuerst nur geschauspielert, das ist auch das, was ich gelernt habe. Dann habe ich angefangen, Regie zu führen, den Ton zu machen, Schnitt, Postproduction. Ich schreibe auch schon lange, Songtexte, Theaterstücke, Kurzgeschichten, Drehbücher für Kurzfilme. Ich wollte auch schon immer einen Spielfilm machen. Als ich 30 war, hatte ich die Zeit für ein längeres Projekt, auch, wenn mir nicht klar war, dass ein Spielfilm daraus werden würde, ich hatte Freunde aus dem Filmbereich, die mich unterstützt haben und mich dazu gebracht, einfach loszulegen. Es ist tatsächlich ein No-Budget-Film, den ich selbst produziert habe, zusammen mit Menschen, die mir ihre Erfahrung und ihre Zeit zur Verfügung gestellt haben, die ehrenamtlich gearbeitet haben, die mit Material ausgeliehen haben. Das ist genau das, worum es in dem KINO – Netzwerk geht: Sich gegenseitig unterstützen, Wissen austauschen, sich gegenseitig helfen. Eine andere wichtige Sache, die ich gelernt habe war, Lösungen für alles zu finden ohne Kompromisse zu machen. Das funktioniert normalerweise nur bei kurzen Projekten, so ein Spielfilm war dann doch noch einmal eine ganz andere Herausforderung: Ist es möglich, innerhalb von 26 Tagen plus Postproduction einen Spielfilm zu machen, einfach so, ohne Geld? Ehrlich gesagt, wusste ich nicht, ob das funktionieren würde, aber als die Maschinerie erstmal lief, habe ich nicht mehr nachgedacht, just keep going make it the fucking best we can!

War es schwierig, die Schauspieler, überhaupt alle Mitwirkenden dazu zu bringen, kostenlos zu arbeiten?

War es, ganz ehrlich gesagt, nicht. Die meisten Menschen, die an dem Projekt mitgearbeitet haben waren Freunde, diejenigen, die es nicht waren, sind größtenteils zu Freunden geworden, es hat allen Spaß gemacht, zusammen zu arbeiten. Das schwerste war tatsächlich, den Drehplan so zu gestalten, dass er allen Bedürfnissen gerecht wurde: Drehorte, Material, aber auch so, dass für die Mitwirkenden alles zusammenpasste, viele haben parallel noch gearbeitet. Es waren nur zwei Menschen ständig dabei: Der Kameramann Miguel Sepreny und der Hauptdarsteller Johnny Ruesch. Alle anderen sind gekommen, wann es passte. Freunde sind aus Frankreich nach Berlin gefahren nur um ein paar Szenen zu drehen, das Engagement aller hat mich wirklich berührt, und ich habe mich ständig gefragt, wie ich mich jemals bei allen angemessen bedanken kann. Auch, wenn es ein paar Probleme ab, die ich eher Überraschungen nennen würde, habe ich mir immer gesagt: Das wird am Ende alles funktionieren, bei der Energie und Liebe, die alle da rein gesteckt haben. Mir war wichtig, dass eine gute Stimmung herrschte. Wir hatten am Anfang ein paar chaotische Tage, so lange, bis alles richtig funktioniert hat: Ich in der Rolle der Regisseurin, Produzentin und Schauspielerin, wir mussten uns aneinander gewöhnen, weil jeder anders arbeitet, anders denkt, anders reagiert. Die Crew war auch sehr international, wir haben am Set Englisch gesprochen, was niemandes Muttersprache war. Ein Regisseur funktioniert da, wenn man das künstlerische ausklammert, wie ein Dirigent, und muss viel Druck aushalten, hauptsächlich aber alle motiviert halten, selbst, wenn alle eigentlich nicht mehr können. Mir hat es trotzdem Spaß gemacht. Und auch, wenn das blöd klingt, wichtig ist vor allem auch die Nahrung: Wenn alle gut gegessen haben, wird vieles einfacher. Schlafen ist auch ganz gut für die Stimmung, aber da wir acht bis zehn Stunden am Tag gedreht haben und hinterher noch alles für den nächsten Tag vorbereiten mussten, waren es dann sehr kurze Nächte… wenn man es Nächte nennen kann. Mir ist während des Projekts auf jeden Fall das eine oder andere graue Haar gewachsen. Aber ich habe an das Projekt geglaubt, und ich hatte Glück, diesen Wahnsinn mit den Menschen teilen zu dürfen, die Lust darauf hatten. Auch, wenn mir nicht ganz klar ist, warum die Leute mit da rein gefolgt sind.

Was genau hat dich dazu bewegt zu sagen: Ich will das unbedingt machen, mir egal, ob ich dafür Geld habe oder nicht?

Ich wollte schon viele Projekte machen, manchmal klappt es, manchmal bleibt man hängen, manchmal passiert gar nichts. Aber ich glaube, dass es manchmal einfach stärker ist als du, es brennt, es will raus, du weißt nicht, ob es funktionieren wird, aber du musst es auf jeden Fall versuchen. Ein paar Tage vor Drehbeginn, bevor der Kameramann Miguel aus London und Johnny aus Dijon ankamen, saß ich alleine zuhause und habe tatsächlich gezittert, fast zwei Tage lang, weil ich das Gefühl hatte, völlig ins Leere zu springen, das war das erste Mal, dass ich das so stark gefühlt habe. Aber als Schauspielerin hatte ich Lust, eine Hauptrolle zu spielen, als Autorin hatte ich Lust, meine Geschichte in Bilder umzusetzen, als Produzentin hatte ich Lust, mich in einen scheißlangen Dreh zu stürzen. Ich wollte mir wahrscheinlich auch beweisen, dass ich so etwas kann, aber der eigentliche Grund, weshalb ich Geschichten erzählen ist der, dass ich ein Publikum berühren will, aber dieses Mal eben nicht auf der Bühne und im Theater. Ich habe stark gespürt, dass der Film für mich ein starkes Medium ist. Ich bin Fan, oder besser: abhängig, ich kann damit zubringen, mir Filme anzuschauen und dabei vom Lachen ins Weinen zu kommen.

Laisse le vent emporter tout spielt hauptsächlich in Berlin. Warum hat du dich für die Stadt als Ort entschieden?

Ich lebe seit drei Jahren zwischen Berlin und Paris, und mir gefällt Berlin besser. Ich fühle mich gut da, ich habe das Gefühl, dort frei atmen zu können und mir die Zeit für das nehmen zu können, was ich gerne machen möchte. Eine grundlegende Inspiration für den Film war auch, dieses Gefühl, von Null an etwas aufzubauen, und dieses Gefühl ist für mich mit Berlin verknüpft. Dazu kommt, dass das Leben, das ich in dem Film zeigen wollte – ein Paar um die 30, das, vor neue Herausforderungen und Versuchungen gestellt, durch eine Phase voller Zweifel an sich selbst geht – für mich sehr viel mehr mit Berlin verknüpft ist als mit Paris oder Bordeaux, wo ich herkomme. Berlin ist für mich eine Stadt voller Versuchungen, eine Stadt, in der man sich leicht verlieren kann. Auch, wenn es in dem Film nicht hauptsächlich darum geht, diese borderlinemäßige Atmosphäre war mir wichtig.

Was bedeutet Berlin für dich?

Berlin ist ein Ort, an dem ich mich ein wenig mehr entdecken konnte, ein wenig mehr verstehen lernen. Das ist ein bisschen vage, aber im Grunde ist es das. Ich habe Frankreich verlassen, ich kannte niemanden, ich sprach kein Wort deutsch, es war also ein großer Wendepunkt in meinem Leben. Ich war allein, musste beobachten, was in der Stadt passierte, musste mir alles wieder aufbauen, versuchen, dieses neue Leben etwas besser unter Kontrolle zu haben, für mich und meine Zukunft etwas klarere Entscheidungen zu treffen. Berlin ist eine Stadt mit vielen Freiräumen, auch, wenn die Berliner diese Freiräume Stück für Stück verschwinden sehen, und die Stadt sich leider sehr schnell ändert, es kommt immer auf den Vergleich an. Ich habe in Berlin viele tolle, internationale Künstler kennen gelernt. In meinen 8 Jahren in Paris waren solche Begegnungen eher rar. Berlin quillt über vor talentierten Menschen, eigenartigen Menschen im besten Wortsinn.

Auf die Gefahr hin, mit der Interpretation völlig daneben zu liegen: Ich hatte das Gefühl, in dem Film geht es nicht um eine Liebesgeschichte, die sich an der Lebensrealität aufreibt, sondern auch um eine Generation, die sich in ihrer eigenen Freiheit verliert. Wie würdest du das sehen?

Genau so. Ich stecke genau in dieser Situation, und ich glaube, ich bin da nicht die einzige. Mein Lieblingsbuch ist Bekenntis eines jungen Zeitgenossen von Alfred Musset, das sage ich auch in dem Film. Das Buch ist von 1836, aber trotzdem auf besondere Weise mit unserer Generation verbunden. Musset erzählt darin von den Leiden seiner bourgeoisen Generation, die sich im Sex, in Drogen, im Exzess, in allem verliert. Ich sehe da eine Verbindung zu uns, die von nichts wirklich befriedigt sind, weil wir zu viel Auswahl haben, zu viele Möglichkeiten, gerade, was das Liebesleben angeht. Auch, wenn ich Romantikerin bin, fühle ich mich von anderen Arten der Liebe sehr angezogen. Ich meine gar nicht das Flirten, das ist, denke ich, noch einmal etwas ganz anderes. Ich meine andere anderen zu lieben, gerade, wenn man teil eines Paares ist. Diese wertvolle Freiheit, nach der man auch süchtig ist, gerade, wenn man davon gekostet hat, die schwer aufzugeben ist, die uns am Ende aber auch auffrisst, uns einsam und hart macht. Ich habe keine Antwort, ich denke fast täglich darüber nach, und ich habe noch keine Meinung gefunden, die ich für mehr als 15 Minuten für richtig halten könnte.

Wird der Film auch in deutschen Kinos gezeigt werden?

Wir haben einen deutschen Verleih gefunden und warten jetzt auf eine Premiere auf einem internationalen Festival damit der Film im Kino starten kann. Wir sind auch mit anderen Filmverleihern im Verhandlungen, aber dazu kann ich noch nicht mehr sagen.

Bildquellen

  • Screenshot_2016-07-08-15-08-37: Screenshot Trailer

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