DARK: Von inflationärem Regen und den unendlichen Möglichkeiten von Zeitreisen

Nach einem Wochenende voll Bingewatching hat sich Marcel Durer hingesetzt und seine Gedanken Dark, der ersten deutschen Netflix-Serie aufgeschrieben. Hier erklärt er, warum er die Serie empfiehlt, obwohl sie sehr offensichtliche Mängel besitzt. Und warum sie trotzdem ein Meilenstein ist.

Willkommen in Winden, einer kleinen Kreisstadt irgendwo in dichten Nadelwäldern. Die Stadt verfügt über ein AKW, ein unterirdisches Höhlennetzwerk und einer Regenwahrscheinlichkeit von 98,5%. Jeder kennt hier jeden, aber nie richtig. Jeder hat Geheimnisse. Furchtbare Geheimnisse. Und seit kurzem wird ein kleiner Junge vermisst.
Winden ist der Schauplatz der ersten deutschen Netflix-Serie. Die Aufmerksamkeit ist für DARK also vorprogrammiert. Doch anders als deutsche Serien überzeugt hier ein mutiges Konzept inklusive Zeitreisen, was natürlich jede Geschichte aufwertet. Mutig natürlich für deutsche Verhältnisse.
Denn sieht man sich in der deutschen Film- und TV-Landschaft um sucht man nach so etwas wie DARK vergebens. Bisherige Mystery-Ansätze versuchten hierzulande stets, nach guter, deutscher Manier alles so aufzulösen, dass es alles nach rationalen Standards erklären muss. Wie zum Beispiel. in Weinberg, wo sich herausstellt, dass sich alles nur in den Traumvorstellungen eines verängstigten Jungen abspielte. Fantastisches findet man nur in der Nische, die von Festivals wie dem Fantasy Filmfest oder der Genrenale bedient werden. Und Zeitreisen wurden, wenn überhaupt thematisiert, nur belächelt, wie z.B. in Traumschiff Suprise oder in Zärtliche Chaoten 2. Es brauchte scheinbar einen internationalen Streamingdienst, um dies zu ändern.

Komplexe Handlung und beklemmende Stimmung

DARK macht bereits in seinen ersten Bildern klar, dass es den Zuschauer herausfordern wird. „Gestern, heute, morgen folgen nicht aufeinander. Sie sind in einem ewigen Kreis miteinander verbunden.“ Die Geschichte fängt an im November 2019, doch schnell wird dem Zuschauer klar, dass es bei dieser Jahreszahl nicht bleiben wird. Erst kommt das Jahr 1986 und schließlich 1953 als Schauplätze hinzu. Das Ende der Staffel deutet an, dass es dabei nicht bleibt.
Dies fordert den Zuschauer. Bei der hohen Zahl an Figuren, die teilweise in zwei oder gar drei Zeitebenen in unterschiedlicher Besatzung auftauchen, kann man sich nicht einfach berieseln lassen. Und wenn dann Charaktere anfangen, durch die Zeit zu reisen, wird das Ganze noch unübersichtlicher – doch gerade dadurch interessant. Die Handlung und die Zusammenhänge sind daher ungewöhnlich komplex. Ein normaler Fernsehsender würde sich, aus Angst vor der Quote, eine solch tiefschichtig konstruierte Produktion nicht trauen.
Auch die Atmosphäre ist derweil sehr beklemmend. Die dichten Wälder, der graue Himmel und die kaputten Charaktere mit ihren greifbaren Motivationen, Backstorywounds und undurchschaubaren Geheimnissen sorgen dafür, dass man als Zuschauer stets auf der Hut ist. Jederzeit könnte etwas Schlimmes, Unvorhersehbares passieren. Die Bedrohung ist allgegenwärtig – wie es in dem Genre auch sein sollte.

DARK – beim besten Willen nicht perfekt

Doch an manchen Stellen meinen es die Macher etwas zu gut. So hat der inflationär eingesetzte Regen irgendwann etwas unfreiwillig Komisches. Auch die Musik, die als Solche sehr stimmungsvoll ist, wird zu exzessiv eingesetzt und verliert dadurch auf Dauer den gewünschten Effekt. Gefühlt jede Szene der 50 Minütigen Folgen hören sich an, als würde gleich der Mörder um die Ecke kommen. Ein Spannungsaufbau durch den gekonnten Einsatz des Sounds wird daher als Chance schlichtweg nicht genutzt. Und irgendwann nervt es.
Ja, DARK hat seine Schwächen. Beim besten Willen ist die Serie nicht perfekt. Vor allem fällt dies auch bei den Dialogen auf. Teils liegt das an den Formulierungen, teils an den schauspielerischen Leistungen, bei denen man sich eher an einen Tatort als an Stranger Things oder Broadchurch, erinnern. Zwar sind sie noch um einiges authentischer als in der Originalauflage des Genre-Meilensteins Twin Peaks, aber es reicht, um störend aufzufallen. Dies ist einer der Gründe, warum man nur schwer mit den Charakteren mitfühlt oder gar mitfiebert. Der andere liegt im Konzept: Als Zuschauer ist man zu sehr damit beschäftigt, sich Namen, Gesichter und Familienverhältnisse über drei verschiedene Zeitstränge zu merken, um tatsächlich Empathie aufzubauen.

Fast 100 Jahre nach Nosferatu und Metropolis

Am Ende einer Serie sollte man sich jedoch bei allen Stärken und Mängeln ein paar einfache Fragen stellen: Hatte ich Spaß? Hat mir die Serie gefallen? Würde ich sie weiterempfehlen oder davor warnen?
Es ist kein Problem, DARK durchzusuchten, mitzurätseln, sich von der Atmosphäre packen zu lassen und bei dem Versuch, zwischen all den Geheimnissen den Überblick zu behalten eine Folge nach der anderen zu schauen. Die Geschichte nimmt immer wieder überraschende Wendungen. Der Soundtrack von Fever Ray, Apparat und Blixa Bargeld sorgt regelmäßig für Gänsehautmomente. Das Grau der Bilder lässt einen frösteln.
Am schönsten ist jedoch, dass hier endlich jemand Vollgas gegeben hat mit all seinen fantastischen Elementen. Zeitreise wird ernst genommen und das konzeptionelle Potential, welches dieses Gedankenexperiment bietet, voll ausgeschöpft. Auch wenn DARK seine deutlichen Mängel hat, so könnte die Serie, fast 100 Jahre nach Nosferatu und Metropolis, ein neues Hoch für die deutsche Fantastik bedeuten. Und das wäre doch mal was.

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