Der Umgang mit dem Unheil – warum wir weiterhin in Urlaub fahren sollten

Türkei. Nizza. Würzburg. München. Während die Welt von erschreckenden Schlagzeilen erschüttert wird, hat unser Autor einen schönen Urlaub gehabt. Klingt das falsch oder ist das legitim?

In Nizza fährt ein LKW in eine Menschenmenge an der Strandpromenade (14.7.). Einen Tag später verübt das türkische Militär einen Putschversuch gegen Präsident Erdoğan, der daraufhin Tag für Tag neue wahnwitzige Konsequenzen zieht (15./16.7. ff.). Kurz darauf attackiert ein 17-jähriger Islamist in einem Regionalzug bei Würzburg Passagiere mit einer Axt (18.7.). In München fallen Schüsse in einem Einkaufszentrum, die Stadt ist kurzzeitig in Panik (22.07).

Die Menschheit richtet sich in einem bedrohlichen Takt zugrunde; und ich mache Urlaub. Am Buffet nochmal reichlich nachladen, in bunten Klamotten das Touriprogramm abklappern und sich in der ungewohnten Sonne heillos die Haut verkohlen. Nunja, ich übertreibe vielleicht, aber es war trotzdem ein durchweg schöner, praktisch unbekümmerter Urlaub. Dabei hörte ich natürlich trotzdem von den Ereignissen, die allesamt in die Zeit meiner Reise fielen; ich schaute heimische Nachrichten, las aufgeregt die Newsticker; diskutierte darüber. Und doch schaltete ich irgendwann den Kopf aus und widmete mich wieder anderen Dingen: Meinem Urlaub.

Calippo mit Zitronengeschmack

Klaffender kann man sich einen Kontrast kaum vorstellen. Das komplexe, unheilvolle Weltgeschehen auf der einen Seite und der selbstgerechte Konsum-Tourist, der für sein Geld auf seine Kosten kommen will und den sonst nichts interessiert, auf der anderen.

Schnell tut sich bei uns wegen der bedenklichen Schlagzeilen die Frage auf, ob es eigentlich legitim ist, trotz solcher Vorfälle noch Urlaub zu machen, als wäre alles in bester Ordnung. Ist es den Ereignissen angemessen, sie zur Kenntnis zu nehmen wie jede x-beliebige Meldung und dann den nächsten Strand aufzusuchen? Verhält man sich irgendwie selbstgefällig? Zynisch? Unbeteiligt?… Wem möchte ich denn allen Ernstes erzählen, dass ich beim Beäugen von Altstadtarchitektur und beim Genuss eines Calippo mit Zitronengeschmack gedanklich bei den Hiobsbotschaften der Tagesschau bin? Oder sind die etwa weniger wichtig als mein opulenter Urlaub?

Anmaßend und populistisch

Diese Argumentation ist zu einfach und vor allem unzulässig. Warum? Weil es dieselbe Argumentation wie aus dem Lager jener ist, die meinen, Nachrichtenmeldungen über eine fröhliche Fußball-EM ignorierten das Gräuel anderer Schlagzeilen. Oder jener, die meinen, dass einem ohne temporäres Facebook-Profilbild mit Frankreich-Flagge „wohl alles egal“ sei, was dort passierte. Das ist anmaßend und populistisch. Philosophen würden vielleicht von einem Kategorienfehler sprechen.

Kurzum: Der Urlaub hat mit dem Unheil nichts zu tun. Man denke sich ein viel zitiertes „Klingt komisch, ist aber so“. Eine Auseinandersetzung findet meinem Verständnis nach nicht dadurch statt, dass sich durch Selbstgeißelung künstlich den Lebensbedingungen der Gegeißelten angepasst wird. Es zeugt viel mehr von dem irrationalen Verlangen, durch sichtbare Reaktionen die eigene Ohnmacht zu kompensieren. Nach dem Motto: Nur wenn es auch mir schlecht geht, reagiere ich angemessen auf das Leid Anderer. Die Menschen verwechseln Anteilnahme mit der Beruhigung ihres Gewissens.

Es wird weitergelebt

Sich mit etwas zu beschäftigen, heißt leider nicht immer, etwas wirksames tun zu können. Als ich am Abend der Länderspielabsage in Hannover (November 2015) durch selbige Stadt mit der Straßenbahn fuhr, lag eine mulmige Terrorsorge in der Luft. Mit mir saßen Menschen in der Bahn, die auf ihr Handy starrten, Kopfhörer im Ohr hatten oder stoisch nach draußen guckten – es war wie immer. Was sollten die Menschen auch anderes tun?! Selbst wenn man derart unmittelbar räumlich beteiligt ist, bleibt den Menschen zunächst nichts übrig, als die Geschehnisse zur Kenntnis zu nehmen und sie im Stillen oder beim Austausch mit den Freunden einzuordnen. Dadurch sitzen die Leute nicht anders in der Bahn. Es wird weitergelebt.

Als interessierter, reflektierender und politischer Mensch kommt man gar nicht umhin, sich mit den Thematiken auseinanderzusetzen. Wer sie verfolgt und durchdenkt, beteiligt sich bereits in seinen limitierten Möglichkeiten. So belanglos es klingt, glaube ich, dass dies bereits etwas wert ist. Es ist mit Verlaub mehr wert als Selbstkasteiung oder ein temporäres Profilbild. Reaktionen dieser Art helfen keinem Erdoğan-Gegner und keinem IS-Opfer.

Wer das eigene Leben nach furchtbaren Geschehnissen weiterlebt, steht den Dingen nicht zwingend gleichgültig gegenüber. Auch wenn einen besonders das Bild eines selbstherrlichen All-Inclusive-Touristen dazu einlädt, dies zu unterstellen. Das Schicksal von andernorts lässt sich nicht mit dem vermeintlichen Luxus des eigenen Lebens aufwiegen. Es sind zwei verschiedene Dinge. Wenigstens aber stärken solche Ereignisse wie jüngst in Nizza, der Türkei, Würzburg oder in München das Bewusstsein, für solch einen Luxus dankbar zu sein.

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