Lieblingsdinge: München, willst du mit mir gehen?

In unserer Rubrik Lieblingsdinge stellen unsere Autoren und Autorinnen ihre Lieblingsdinge vor – Fundstücke, lang gehütete Schätze, alles, was die Welt ein wenig schöner macht. Heute: Die neuen Wohnungsschlüssel.

Als kleiner Niedersachse meiner Preisklasse verbrachte man die Sommerferien, wenn man Glück hatte und nicht kurz vorher eine neue Waschmaschine gekauft werden musste, an der Nordsee. Wollten Mama und Papa es mal ein bisschen krachen lassen, fuhr man nach Dänemark oder Holland. Italien kannte ich zwar von Großmutters Caterina-Valente-Platten, zu sehen bekommen würde ich es aber höchstwahrscheinlich nie. Für so eine lange Autofahrt fehlten Kohle und Nerven und andere Verkehrsmittel kamen im Kosmos unserer Reiseplanung erst gar nicht vor.
Nach Italien reisen können eben nur die Menschen, die in Bayern leben und Bayern, das lag auch schon außerhalb der Welt. Mein Bild von München stammte aus ähnlich fragwürdigen Quellen, wie das, das mein Kinderkopf von Schlagerliederitalien gemalt hatte. Ich sah die Stadt jeden Sonntag in der Lindenstraße, das war alles. Mein München war aus Pappe und stand in Köln.
Das konnte ich als Tatsache einfach mal so hinnehmen. Es gab ja keinen Grund es zu überprüfen. Ich kannte keine Menschenseele in München, weder Mutter Beimer, noch Hansemann, noch sonst irgendjemanden. Woher auch?

Aber die Zeit vollbringt einige Wunder. Wenn es sein muss macht sie sogar an der einen oder anderen Stelle mal die Welt ein wenig kleiner, damit man da ankommt, wo man sein soll. Inzwischen habe ich herausgefunden, dass einige Häuser hier tatsächlich aus Stein gebaut sind. Ich habe sie angefasst und an ihre Wände geklopft. Es ist wirklich wahr. In einem dieser Häuser übernachte ich sogar recht regelmäßig und in Zukunft sogar immer. Mein neuer Lieblingsgegenstand ist mein Schlüsselbund. Daran: zwei Hildesheimer Schlüssel und zwei Münchner. Bald nur noch letztere. Plötzlich ist es, als wäre ein Gummiband gespannt zwischen mir und dem unwahrscheinlichsten aller Orte. Wie konnte das passieren?
Na klar, nur die Liebe kann das machen. Wenn ich anreise, und das tue ich inzwischen seit fünf Jahren, geht es mir nicht um die Stadt. Der Mann mit den entzückendsten Grübchen der Weltgeschichte könnte meinetwegen auch in Castrop-Rauxel leben und wenn sein Haus aus Pappe wäre, wäre ich nicht weniger glücklich. München war mir immer ziemlich wurscht. Ich war bisher ein paar mal im Kino und ein einziges mal in einem Biergarten. Wir gehen nicht aus, wir wollen ja nur zusammen sein. Trotzdem kann es eigentlich nicht wahr sein, dass ich nach all der Zeit kaum mehr als den Weg vom Bahnhof nach Neuhausen gesehen habe, denn will man für die Taxikosten nicht seine Waschmaschine verkaufen, sieht man auf mehr als der Hälfte des Weges nicht einmal das Tageslicht.

Wenn man jemanden wirklich kennenlernen will, kommt irgendwann der Zeitpunkt, an dem man sich auch anschauen muss, wo er so geworden ist, wie er jetzt ist. Zu einem Teil wird ja auch diese Stadt ihn dazu gemacht haben. Wenn das so ist, werde ich sie schon lieb haben. Ich ziehe also los, schaue mir alles an, klopfe an Hauswände anderer Stadtteile. Ich will nun alles wissen, frage die Stadt, ob sie mit mir gehen will. Ich muss es ja nicht allein tun. Und nur zusammensein kann man vielleicht auch zu Dritt: München, die Grübchen und ich.

Bildquellen

  • 11933061_10206608600507131_1319580565_n: Yvonne Franke