Großstadtlichter: Visitenkarten im Bus

Unsere Autorin war im Bus unterwegs – und beobachtet für unsere Reihe Großstadlichter das merkwürdige Paarungsverhalten des Busfahrers.

Dienstag Nachmittag. Ich sitze recht weit vorn in einem Bus der Linie 53 zwischen Rotkreuzplatz und Münchner Freiheit. Der grantige Busfahrer, der sich gefährlich oft zu uns Fahrgästen herumdreht, erinnert äußerlich an Walter Sedlmeyr. Sowas hatte ich als Niedersächsin auch unbedingt erwartet. Der schnauzbärtige Halbglatzkopf schimpft ohne Unterlass. Zweigeteilte ellenlange Busse, wie dieser hier, sagt er, seien eine Zumutung. „ Es ist eine großkotzige Stadt, in der wir hier leben. Die schaffen sich diese Angeberbusse an und dann gibt es natürlich jeden Tag Unfälle. Die Straßen sind viel zu eng.“ Dafür hat er ein Beispiel parat, dass mir leicht spanisch vorkommt, aber vielleicht drückt er sich in seiner noch frischen Entrüstung auch nur missverständlich aus: „ Gerade vor ein paar Tagen musste ich wieder umständlich rumrangieren mitten in einer Kurve und wie ich so zurücksetze, fährt mir eine Verrückte hinten auf. Ich dachte ich spinne. Und dann behauptet sie auch noch, es wäre meine Schuld gewesen.“
All dieses erzählt der Grantler einer Dame mittleren Alters (sagt man das bei Damen?) mit rotgefärbten Locken, die unter einem schokobraunen, breitkrempigen Hut hervorschauen. Merkwürdigerweise scheint sie eher angetan als abgeschreckt zu sein, von diesem Muffelgewitter, dass da aus der Fahrerkabine auf sie einprasselt.
Und richtig: Kurz bevor wir den Hohenzollernplatz erreichen, steht die Dame auf und überreicht diesem Kauz eine Visitenkarte. Da muss ein Fetisch dahinter stecken. „Sedlmeyr“ betrachtet die Karte und sagt mit unerwartet sanfter Stimme:
„Jennifer. Schön! Wie meine Tochter. 003? Ist das nicht eine Berliner Nummer?“
„Nein. Griechenland. Das ist meine griechische Nummer. Aber eigentlich lebe ich in Hamburg. Die Nummer ist da auch drauf. Sehen sie?“
„In Hamburg war ich schon zwei Mal und jedes Mal hat es geregnet. WENN HIER NOCH EINMAL JEMAND DEN NOTRUFKNOPF DRÜCKT, KÖNNEN GLEICH ALLE ZU FUß GEHEN!“
So wird das nichts, Walter.

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