Ich war klein, dann wuchs ich und war ein Interview mit Tobias Premper

Wenn das Interview auch Werk ist – ein fragender Remix mit dem Autor Tobias Premper.

Tobias Premper (*1974 in Celle) ist Grenzgänger zwischen den Medien. Er arbeitet im Bild-Text-Bereich (Stichwort „Boxenbücher“) und als Autor (Stichwort „Miniaturen“). Zuletzt erschienen: Mississippi Orangeneins Blues (Steidl Verlag, 2016) und Ich war klein, dann wuchs ich und war größer (Steidl Verlag, 2018). Im folgenden Gespräch geht es nicht zuletzt auch um letzteres, während sich auf der NOVELLE-Seite ein Parallelinterview mit dem Autor findet.

„Dann wuchs ein Anker aus ihrem linken Bein und zog sie hinab […] und die undefinierbare Masse […] massierte ihr die kleinen Öhrchen“.

Remix-Interview. O.K. Muss ich mich erst mal drauf einlassen. Sind gleich Bausteine aus drei verschiedenen Miniaturen, die du zu einer „Frage“ zusammenmontiert hast. Macht aber so nicht richtig Sinn, obwohl, na ja, gut, wird schon jeder Leser seinen eigenen Sinn drin finden. Genauso funktionieren die Miniaturen aus dem neuen Buch auch: keine Diktatur, wenn es um Bedeutung geht, sondern Demokratie (frei nach Susan Sontag zitiert; von wem hat die diesen Gedanken wohl genommen?). Wobei ich die Geschichten erst einmal nur für mich geschrieben habe, um etwas über eine bestimmte Situation, in der ich mich befunden habe, zu erfahren. Da entsteht viel Erkenntnis über mich und die Welt erst mal nur über die Versprachlichung. In meinen Notizbüchern (Das ist eigentlich alles) dringt dieses Sich-Vergewissern von Existenz und Welt noch deutlicher durch.

„Asphalt […] hätte ich am liebsten […] umarmt [und] die [literarischen] Knochen durchgesägt“.

Was hier in meinem Viertel für ein Lärm ist. Ab April geht das los und dann hört das vielleicht im November wieder auf. Wird mit dem Presslufthammer eine Stelle aufgemacht, reingeguckt, bisschen was gearbeitet, wieder zugemacht und paar Monate später dann die gleiche Prozedur von vorne. Jahr für Jahr. Alle paar Meter eine zusammengeflickte Hässlichkeit. Und an den Häusern stehen nicht abgeholte, aufgerissene, versiffte, vollgepisste gelbe Säcke, die Menschen scheißen bei den Straßenfesten in die Hauseingänge und dazwischen spielen die Kinder dieser werbesloganverseuchten armen Schweine, die sich im Kulturzentrum oder Literaturhaus den Quatsch von vergreisten Autoren (M. W.) anhören oder sich die Bücher über die schöne Natur kaufen oder jetzt einfach mal rechts wählen. Früher war das alles sehr inspirierend für mich, aber da war ich auch noch ein grünes Dings mit kurzen Flügeln, langen Haaren und roten Punkten im Gesicht. Lange Rede, kurzer usw.: Empathie ist da, nur manchmal in anderer Form als erwartet.

„Dass der Papst [die schönen Körper] entführt“?

Wenn es nicht der Papst täte, dann ein anderer, eine andere Institution von Macht. Gibt ja auch nicht gerade wenige davon. Lies mal The Woman who rode away von D. H. Lawrence. Da versucht eine Frau ihrem Leben zu entkommen und ein neues zu finden und wird am Ende von den Ureinwohnern dem Sonnengott geopfert.

„Schlitzohrige Bösewichte und hässliche Kanaillen [und] ein russischer Wandermönch mit magnetischen Augen“.

Solange da ein Refugium ist, das ich mit der Schrotflinte verteidigen kann (die Frau und das Kind, die ich liebe und die mich zurücklieben).

„In irgendeinem Scheißkaff […] fielen [dem blauen Tiger] Arme und Beine ab“.

Ich hab eine zeitlang in New York und Berlin gelebt, das ist natürlich ein anderes Leben als jetzt in einer norddeutschen Provinzstadt, vor allem, was die Jazzkonzerte und die Mode betrifft.

„Niemand wissen und Autoren […] Wurst bemalen“.

Ans Ende eines Textes (Great great grandmother, Gretl, Greta) habe ich eine Hommage an Ernst Jandl gestellt. Ich liebe seine Texte sehr. Und die von Friederike Mayröcker auch. Wenn ich die lese, möchte ich immer Stolichnaya trinken, mir die Fingernägel mit Glitzerlack bemalen und ausgelassen rumtanzen.

„Im Himmel schweben die Titten […], als hätte einer das Licht ausgemacht oder den Stift an einen Dreijährigen oder einen Wahnsinnigen übergeben“.

Warum hast du denn die schönen Pimmel rausgelassen? Ein Zitat aus meinem Text über ein Bild von Cy Twombly. Der hat sich über die Fantasielosigkeit der Leute bezüglich abstrakter Kunst lustig gemacht. So schreiben, wie Twombly gemalt hat. Oder wie der Wein, der aus Trauben kommt (nach Walter Benjamin).

„Die Katze und ein Baum verbeugen sich ebenfalls [vor] Nirvana Unplugged“.

Ich mochte das Unplugged-Konzert von Nirvana damals. Hatte sogar eine Karte für das Konzert in Hannover 1994, das dann nicht mehr stattgefunden hat, weil Cobain sich die Schrotflinte in den Mund gesteckt und abgedrückt hat (klingt jetzt gerade wie ein Klischee, so, als hätte jeder eine Karte gehabt, war aber, soweit ich mich erinnere, auch im Zuge einer Europa-Tour, die gerade in Deutschland angekommen war, oder?).
Anspielungen auf Nirvana oder Ramones, das sind manchmal auch einfach Hinweise darauf, wo Ideen herkommen oder welcher Gestus im Schreiben benutzt wird. Da ist dann zum Beispiel Punk oder Dada als Rammbock gegen das Bürgertum oder langweilige Texte. Hatten wir ja auch gerade bei Jandl. In meinem Buch Mississippi Orangeneis Blues ist es die Miniatur „Puschkin und ich“ (Puschkin war eine Kröte, ich ein Wurm …), die auf russische Autoren wie eben Puschkin, aber auch Gogol oder Charms hinweist. Von denen (und dem leider verstorbenen Übersetzer Peter Urban) habe ich viel gelernt, über Humor, Rhythmus oder Figuren.

„Toter [Warhol], dessen vertrocknete Lunge bei Verzehr unsterblich machen würde“.

Ein gutes Rezept zu haben, ist immer von Vorteil. Und da ganz frei reinimprovisieren, sich gehen lassen und am Ende ein leckeres Süppchen haben.

„Kommen immer Leute und glotzen und schreien alles kaputt [und] die Pipimaus […] fällt aus der Umrahmung des Spiegels“.

Welches Geräusch sie wohl macht, wenn sie auf dem Boden aufschlägt?

„Ich bin alle Narren, alle Farben, alle Welten zu allen Zeiten [–] ich hasse Litschis.“

Und Kokosnuss!

„Der Film ist zu Ende. Die Lichter bleiben aus.“

Wäre wirklich schön, wenn da nach dem Ende des Lebensfilms noch was käme. Kommt aber nix mehr. Am liebsten wäre mir das im Zusammenhang mit dem Schreiben auch. Also da ist das Buch und dann nichts mehr. Kein großes Tamtam um den Autor, keine Lesewettbewerbe, keine Auszeichnungen, keine Fotos vom übergroßen Hintern, keine Devotionalienausstellungen, keine Grabschändereien usw. Alles komplett uninteressanter, überflüssiger Schrott, von talentlosen Menschen in Umlauf gebracht, die eigentlich gar nichts anzubieten haben. Deshalb stehen auch so viele drauf. Weil sie auch nichts anzubieten haben. Aber wie soll ein Autor ohne Fotos von seinem Hintern nur von seinen Büchern leben?
Adieu! Und vielen Dank für das Gespräch.

Bildquellen

  • Premper_© Laila Sieber: © Laila Sieber

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