Make it awkward – #allmen

Wie geht man am besten mit Sexismus im Alltag um? Sarah Kindermann sagt: Wehrt euch! Sprecht an, wenn der Onkel, der beste Freund oder euer Date sich daneben benimmt. Sexismus ist anormal.

Angestoßen von dem Skandal um den Oberpimmelkopf Harvey Weinstein, diskutiert die Öffentlichkeit seit Oktober 2017 – unter dem Hashtag #metoo über die Auswirkungen von und den Umgang mit Misogynie, Rape-Culture und männlichem Machtmissbrauch.

Dabei geht es mittlerweile oft um die Unterscheidung von Alltagssexismus und rechtswidrigen Übergriffen. Wo fängt Sexismus überhaupt an? Ab wann darf man (frau) sich eigentlich beschweren? Wer darf dies Grenzen festlegen? Wir diskutieren nicht zuletzt darüber, wer definieren darf, was ein Übergriff, was sexistisches Verhalten und was harmlos ist. Die einen nutzen die mediale Aufmerksamkeit, um darüber zu sprechen, warum sich eigentlich so viel Macht bei (weißen) (Cis-) Männern stapelt, die dann zu Arschlöchern mutieren (oder es immer schon waren) und den Rest der Welt klein halten.

Andere meinen, dass nur mitdiskutieren darf, wer über Vergewaltigung berichtet, weil alles andere echt zu weit führt. Vor allem, wenn öffentlich Namen genannt werden, ist für manche die Grenze des offenen Diskurses erreicht. Was uns oft vor die bekloppte Aufgabe stellt, zu vergleichen: wessen Erniedrigung war eigentlich schlimmer? Muss eine Person, die sich belästigt fühlt, wirklich noch die Gefühle der übergriffigen Person in ihre Überlegungen mit einbeziehen, wenn sie darüber spricht? Trägt sie die Verantwortung dafür, wenn jemand seinen Job verliert oder das Verhalten prominenter Menschen durch die Medien geschippert wird oder wenn bestimmte Filme jetzt nicht mehr ohne schlechtes Gewissen geschaut werden können oder die Karrieren geliebter Schauspieler einen Knick bekommen? Bis wann ist ein bisschen Arschlöchrigkeit normal, ab wann darf was gesagt werden?

Das Kulturbusiness

Als ich 20 war, habe ich mit Dieter Wedel, der momentan von vier Frauen der Vergewaltigung beschuldigt wird, zusammengearbeitet. Das Stück war langweilig und die Eintrittskarten unverschämt teuer. Was während der Proben ablief, wurde allen Beteiligten als ganz üblicher Bestandteil der deutschen Kulturszene verkauft, und das war: das grundlose Diffamieren und Erniedrigen von Schauspielerinnen, als wäre es ein Wettkampf. So lange anbrüllen und als nutzlos bezeichnen, bis die Frau weinend von der Probebühne läuft. Dazu hat nie jemand etwas gesagt. Weil Wedel „ist halt so“. Das Verhalten war den Beteiligten schon oft genug untergekommen, um banal zu sein. Ich hatte zuvor meine erste Hospitanz am Theater absolviert, während der mir der Regisseur auch mal lässig mit der Wasserflasche auf den Arsch schlug und dachte mir: Das ist es also, das Business. Äh. Hä?

Vorsicht, jetzt kommt ein ganz weiter Sprung durch die Kulturszene – die Qualität steigt (außerordentlich), die Arschlöchrigkeit sinkt (enorm) und ich erläutere euch auch gleich im Anschluss den Zusammenhang: Master Of None. Gute Serie. Ich erinnere mich an die Folge mit dem Titel Ladies and Gentlemen, in der es nicht nur um die Lebensrealität der von Aziz Ansari verkörperten, männlichen Hauptfigur geht, sondern auch ganz unaufgeregt frustrierende weibliche Lebensrealitäten betrachtet werden. Herablassung hier, Belästigung da. Und weil ich immer aufgeregt im Dreieck springe, wenn ein Mann sich ganz von selber mit „Frauenproblemen“ auseinandersetzt, schlug ich verzückt mit meinen Ladyfäusten in die Luft und jauchzte: „Oh, Aziz! Endlich! Herrlich! Danke!“ Dann kam die #metoo-Debatte und Aziz Ansari, dieser tolle Typ, kämpfte mit einem #timesup-Anstecker gegen das Patriarchat.

Mittlerweile wurde aber auch Ansari der sexuellen Übergriffigkeit beschuldigt und hat seinen Status als bester Feminist mit Penis verloren. In seinem Fall geht es um einen Abend, an dem er laut der betroffenen Frau wiederholt deren körperliche Grenzen überschritten hat. Ansari gibt an, dass ihm diese Übergriffigkeit selbst nicht bewusst war. Nun stehen wir mit beiden Beinen in einer Debatte, in der es darum geht, ob ein Mann die Verantwortung für Grenzüberschreitungen übernehmen muss, die er selbst nicht als solche wahrnimmt. Und ob Belästigung überhaupt Belästigung ist, wenn sie nur von einer Seite so wahrgenommen wird. Können Frauen jetzt etwa in jede normale Durchschnittssituation Sexismus hineininterpretieren und bekommen sie damit eine unkontrollierbare Macht? Ist das der Beginn von Matriarchat und Männerunterdrückung?

Wie gesagt: Aziz Ansari und Dieter Wedel liegen auf der Arschlochskala sehr weit auseinander. Ihnen ist aber gemein, dass ihr grenzüberschreitendes Verhalten von ihnen selbst und von anderen als „normal“ bewertet wird (oder wurde). Leider ist meistens „normal“, was lang genug währt, um „immer schon so gewesen“ zu sein.

Im Rahmen der #metoo – Debatte werden Stimmen laut, die genau diese Normalität nicht mehr akzeptieren wollen. Gegenstimmen behaupten, es wäre jetzt auch langsam genug damit. Sie sind von der Debatte genervt (sie haben offensichtlich noch nicht verstanden, wie sehr Sexismus nervt). Männer, die zu sehr daran gewöhnt sind, zu viel zu dürfen, haben Angst, dass sie jetzt bald „gar nix mehr dürfen“.

Keine Plakette für „gute“ Männer

Es melden sich Männer zu Wort, die sich angegriffen und zu Unrecht mitbeschuldigt fühlen, wenn nicht nochmal explizit eine Gruppe „guter Männer“ vom Sexismus-Vorwurf ausgenommen wird. Männer fühlen sich überfordert, weil auf einmal Gewohnheiten als Übergriff gewertet werden. Es wird von „Hexenjagd“ gesprochen und es werden neue Hashtags geschaffen: #notallmen.

Der Schauspieler Aziz Ansari
Aziz Ansari

Ist aber gar nicht so einfach, ein „guter“ Mann zu sein. Nur, weil man noch keine vergewaltigt oder ihr auf der Straße „Titten raus!“ hinterher gerufen hat, und selbst,wenn man sich als Feminist bezeichnet, heißt das nicht, dass man nicht sexistisch ist. Sexismus wird anerzogen und ist von klein auf Teil unserer Leben. Sexismus ist – leider – Normalität.

Ich für meinen Teil habe den Arsch voll mit weißen Privilegien und möchte nicht rassistisch sein. Ich versuche mich zu bilden, ich versuche den Mund zu halten und zuzuhören, wenn ich gerade nichts zu melden habe und den Mund aufzumachen, wenn mir aufgrund meiner Privilegien eher zugehört wird als anderen. Doch in meinem Kopf befinden sich Vorurteile, die älter sind als mein Reflexionsvermögen. Und Rassismus wird bereits dort reproduziert, wo ich durch meine helle Haut Vorteile habe, derer ich mir vielleicht gar nicht bewusst bin. Wenn jetzt jemand schreibt: #allwhites, dann heißt das nicht, dass ich mich beleidigt zurückziehen oder blöd rumdiskutieren muss, sondern, dass ich mich halt nicht göttinnengleich über rassistische Denkmuster erheben und mit dem Thema durch sein kann. Stattdessen muss ich immer wieder und immer weiter an mir arbeiten. Es gibt keine „No racist“ – Plakette, die ich irgendwann gewinnen kann. Es gibt auch keine „Good man“-Plakette. Also: #allmen.

Und wenn es #allmen sind, dann sind es auch die Ansaris dieser Welt und vermutlich auch die Männer, die wir lieben. Und weil die Männer, die wir lieben, gute Männer sind, lassen wir ihnen auch mal einen blöden Kommentar oder eine unangenehme Berührung durchgehen. Wir kritisieren vielleicht in ihrer Gegenwart andere Männer für ihr Verhalten, aber erst dann, wenn diese Grenzen überschritten haben, über die man nicht mehr zurück kann. Die Kommunikation von Grenzen und die Kritik an sexistischem Verhalten müsste aber viel eher anfangen, und zwar dort, wo dieses Verhalten „nicht so schlimm“ ist. Solange das nicht passiert, ist Sexismus nur die Extremsituation (Weinstein) und immer der andere (Wedel).

Handlungsmuster schwächen

Kritik ist vor allem Feedback. Und Kritik an unseren besten Freunden und unseren liebsten Kollegen heißt, wir glauben an deren Reflexions- und Einfühlungsvermögen und dass sie fähig sind, an sich zu arbeiten. Aber auch, dass sie sich kein extravagantes Verhalten leisten können, bloß weil sie sich in der Kategorie der „guten Männer“ sehen. Grenzüberschreitungen und unangebrachtes Verhalten anzusprechen und aufzuzeigen kann zu unangenehmen Situationen führen. Doch Handlungsmuster entwickeln sich zusammen mit den Reaktionen, die sie erfahren und jedes unkommentierte Verhalten wird als normal abgespeichert.

Die Vermeidung von Awkwardness, also einer unangenehmen Situation, führt oft auch dazu, dass nicht mehr klar ist, ab wann überhaupt etwas gesagt werden darf. Ich reagiere auf sexistischen Äußerungen auf Familienfeiern meistens gar nicht, um das leicht bekömmliche Beisammensein nicht zu verderben. Meinem Onkel konnte ich erst dann etwas entgegnen, als er mir tatsächlich an den Arsch gefasst hat, nur um mich danach dafür zu schämen, die weihnachtliche Stimmung versaut zu haben und deshalb darüber zu schweigen.

Mit meinem Verhalten sende ich ein Signal an die jüngeren Männer in der Familie – mein kleiner Bruder, meine Cousins. Für sie ist es dann Normalität, dass Männer Frauen so behandeln. Sexistischen Verhalten ist nicht so leicht abzuschütteln, wenn er Teil des Alltags ist. Das ist ein längerer Prozess und abhängig davon, wie viel Energie das Individuum in die Reflexion und den Bruch von Gewohnheiten steckt. Feedback ist die beste Hilfestellung dafür. Dass das nicht leicht ist, steht außer Frage.

Unkommentiertes Fehlverhalten wird Normalität

Das Damoklesschwert des Hysterievorwurfs schwebt über jeder Familienfeier und jeder Party, schließlich war Onkel Harry schon immer so und es hat sich noch nie jemand beschwert. Und wer möchte schon den guten Kumpel in eine unangenehme Situation bringen, wenn er das doch gar nicht so gemeint und sonst ganz anders ist. Sexismus ist so regelmäßig und allgegenwärtig und oftmals eben so klein, dass wir nichts sagen. Und wozu wir nichts sagen, das ist Normalität. Dabei ist jede Grenzüberschreitung, zu der wir uns nicht äußern, ein Zeichen an uns selbst und unsere Umwelt, dass unser Wohlbefinden unwichtiger ist als das des Grenzüberschreiters.

Es ist verdammt wichtig, Sexismus als anormal zu markieren. Onkel Harry verdient Ärger und unsere Freunde Ehrlichkeit. Und vielleicht auch Ärger. Etwas aus- und ansprechen, das zuvor nicht verbalisiert wurde, macht es erst sichtbar. Und wenn die Situation dann unangenehm genug ist, wird sich vielleicht etwas ändern. Also: We have to make it awkward. Und zwar nicht nur, wenn wir selbst vom -ismus betroffen sind. Da auf der #metoo-Welle vorrangig Cis-Frauen reiten dürfen und schlanke weiße Frauen die bessere Surfausrüstung haben, bedürfen Homo- und Transphobie, Rassismus, Ableism und Fatshaming besonderer Entnormalisierung. Make it awkward!

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