Nach der Wahl ist vor der Wahl: Rechte Zukunftsvisionen vs. Linke Ideenlosigkeit

Der Wahlerfolg der AfD hat viele Gründe. Einer besteht darin, dass die Parteien der Mitte sowie die politische Linke den Wählern keine Zukunftsvisionen mehr zu bieten haben. Die Visionen der Rechten sind zwar nicht schön, aber immerhin sind es Visionen.

„Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen.“ Das Bonmot des beliebten Altkanzlers Helmut Schmidt schien in den vergangenen Jahren geradezu das Paradigma von Merkels Politik der Alternativlosigkeit gewesen sein.
Aber Politik kommt ohne Visionen nicht aus – dem großen Schmidt darf daher getrost widersprochen werden. Fast jeder Bundeskanzler folgte einer Vision: Adenauer wollte Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg Normalität zurückzugeben; Brandt bemühte sich um eine Annäherung von Ost und West; Kohl nahm die Wiedervereinigung in Angriff und sogar Schröder trieb eine bis heute gültige, unsägliche Arbeitsmarktreform voran, um Deutschland wirtschaftlich stark zu machen.
Aber wofür wird Angela Merkel in die Geschichte eingehen? Worin besteht ihre Vision? Bereits 2014 schrieb der Spiegel (46/2014, S. 66f.) in seinem Porträt der Generation Merkel: „[Angela Merkel] will beruhigen, will wie ein Sandmännchen der Politik für angenehme Stille sorgen. Aufregungslose Wohlstandsmehrung heißt ihr Projekt. Merkels Regierungszeit gilt als Neobiedermeier, als Zeit des Rückzugs ins Private, weil politisch wenig los ist, wenig los sein soll.“

Krisenmanager ohne eigene Ideen

Ist Merkels Vision also die Aufrechterhaltung des Status quo? In schweren Zeiten wie der Finanz- und Eurokrise mag dies ausreichen, aber in Anbetracht neuer Herausforderungen, wenn Veränderungen anstehen, ist das Verwalten des Bestehenden nicht genug.
Als sich ein Teil der deutschen Bevölkerung – weswegen auch immer – von den ankommenden Flüchtlingen bedroht fühlte, hätte die Politik den Menschen eine Vision anbieten müssen. Allen voran Angela Merkel hat es verpasst, den Bürgern einen Plan für die Zukunft zu präsentieren, wie sich Deutschland als Einwanderungsland gestaltet und wie diese und andere Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu bewältigt sind.

Auftritt der Rechtspopulisten

Als Gegenpol zum Schmidt-Zitat sei an dieser Stelle auf Donald Trump verwiesen, der in seiner Antrittsrede verkündete: „Vom heutigen Tag an wird eine neue Vision unser Land regieren. Von diesem Moment an heißt es America first!“
Die Rechten haben es geschafft, den Leuten eine Vision anzubieten. Ihnen ist es gelungen, Antworten auf die Fragen und Ungewissheiten zu geben. Es mögen simple und plumpe Antworten auf komplexe Fragen sein und ihre Visionen mögen reaktionär sein. Anstatt die Zukunft progressiv zu gestalten, offerieren die Rechten all den Enttäuschten und Verängstigten eine nationalistische, weiße, männliche Welt von gestern.
Aber allein damit bieten sie den Wählern einen attraktiveren Weg als die Volksparteien. Die Sehnsucht nach Identität sowie die allgemeine Verklärung der Vergangenheit, wonach früher alles besser war, tragen ihren Teil zu dieser Attraktivität bei.

Eigenverschulden

Vor vier Jahren waren alle noch heilfroh, dass die AfD knapp an der Fünfprozenthürde scheiterte. Die Demokratie kam mit dem Schrecken davon. Nun zog die selbsternannte Alternative für Deutschland als drittstärkste Kraft ins Parlament ein. Somit ist es den Parteien der Mitte und allem voran der politischen Linke in den vergangenen vier Jahren nicht gelungen, ansprechende Gegenentwürfe zum Rechtspopulismus zu präsentieren. Ganz im Gegenteil – in dieser Zeit sind die Rechten sogar noch erstarkt.
Speziell nach der Finanzkrise 2008 wäre es Zeit gewesen, mit der guten alten sozialistischen Gesellschaftsutopie neue Lebensmodelle in den Ring zu werfen. Während der Flüchtlingskrise hätte die Linke eine weltoffene Agenda präsentieren können, die den Menschen in diesem Land die Angst nimmt und Deutschlands zukünftigen Weg als Einwanderungsland definiert.
Stattdessen ließ man Merkel verwalten. Sie gab den Kurs vor und niemand bemühte sich, neue Horizonte zu erforschen. Erst die Rechten forderten lautstark eine Kursänderung und fanden dabei zahlreiche Anhänger.

Rechts überholen statt mutig voranschreiten

Werden die Parteien und Politiker aus ihren Verfehlungen lernen? Merkel erklärte auf der CDU-Pressekonferenz am Montag nach der Bundestagswahl: „Ich sehe nicht, was wir anders machen sollten.“ In ihrer Partei werden zudem die Stimmen laut, die die offengelassene rechte Flanke schließen wollen. Die AfD soll demnach rechts überholt werden. Anstatt eigene demokratische Lösungen vorzuschlagen, richten die Konservativen in der CDU ihr Fähnchen nach dem Wind aus, in der Hoffnung, Wähler zurückzugewinnen.
Aus Angst vor der AfD wird man demnach selbst zur AfD? Wer so etwas ernsthaft als Vision in Betracht zieht, sollte lieber zum Arzt gehen. Denn Politik sollte nicht in marktschreierischen Opportunismus verfallen, sondern mutig voranschreiten und die Wähler mit eigenen Ideen überzeugen.

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