Die Seite geschicktgendern.de – ein Wörterbuch für das Gendern von Worten

Geschickt gendern: „Habt ihr da einen an der Klatsche, wisst Ihr überhaupt, was Ihr anrichtet?“

Wie ein kleines Online-Wörterbuch namens geschicktgendern.de unerwartet Grabenkämpfe auslöst.

Vor circa eineinhalb Jahren ging ich mit einem kleinen, stetig wachsenden Wörterbuch für gendergerechte Sprache online, das ich ausschließlich in meiner Freizeit betreibe. Was ich mir damals nicht vorstellen konnten: Wie dieses kleine Wörterbuch die Gemüter erhitzen würde und ich dem Vorwurf ausgesetzt sein würde, andere manipulieren zu wollen.

Die Grundidee des Wörterbuches war, eine am Thema interessierte Zielgruppe im (Berufs-)Alltag zu unterstützen, und so startete geschicktgendern.de im Februar 2015. Soviel vorweg: Ich bekomme viel positives Feedback, das mich antreibt, das Wörterbuch neben Familie und Beruf weiterhin in meiner Freizeit ohne finanziellen Gewinn zu betreiben.

Gleichzeitig erhalte ich aber auch beleidigende, unsachliche Reaktionen. Ich werde immer wieder mit E-Mails konfrontiert, die mich fassungslos machen und mit denen ich mich als Privatperson zusätzlich zu meinem Engagement auseinandersetzen muss. Darüber hinaus löst das Online-Wörterbuch seit seinem Bestehen stark emotionalisierte Diskussionen aus. Ich frage mich: Wieso eigentlich? Und wie soll ich damit umgehen?

Ein Wörterbuch für gendergerechte Sprache entsteht – wie alles kam

Für meine Masterarbeit hatte ich die Vorgabe gendergerecht (bzw. genderneutral – ich benutze diese Begriffe hier synonym) zu formulieren. Die gängige Paarform (Leserinnen und Leser) oder -Variante (Leserinnen) wollte ich aus Platzgründen nicht benutzen und so machte ich mich im Netz auf die Suche nach Alternativen. Dort fand ich ziemlich schnell zahlreiche andere Möglichkeiten gendergerechte Sprache anzuwenden (Binnen-I, Unterstrich-, Bindestrich-Variante, Fußnote usw.). Außerdem stieß ich auf ein paar überschaubare und einfache Tricks, um diese etwas sperrigen Formen ganz zu umgehen: Umformulierungen, Wörter in den Plural zu setzen und Wortneuschöpfungen machen gendergerechte Sprache einfach und elegant ohne große Verrenkungen möglich.

Beispiele:

Radfahrer müssen absteigen! → Fahrräder bitte schieben!

Museumsbesucher müssen Taschen und Mäntel im Untergeschoss einschließen. → Bitte schließen Sie Ihre Taschen und Mäntel im Untergeschoss ein.

Viele öffentliche Institutionen wie Universitäten oder Kommunen haben dazu bereits übersichtliche Ratgeber für ihre Beschäftigten herausgegeben. Viel praktischer hätte ich damals eine zentrale Website gefunden, die alle Informationen bündelt, und auf der ich konkrete Begriffsalternativen nachschlagen kann. So entstand nach der Abgabe meiner Masterarbeit in Kooperation mit der Kleinen Computerhilfe meines Bruders die Website Geschickt Gendern – Das Genderwörterbuch.

Ich sehe sie als Angebot für eine interessierte Zielgruppe, als Inspiration, als ein Versuch, gendergerechte Sprache etwas salonfähiger zu machen. Mir ist bewusst, dass es Menschen gibt, die nichts von gendergerechter Sprache halten – für sie ist das Wörterbuch weder gedacht noch gemacht. Die Website möchte niemanden missionieren.

Erste Grabenkämpfe

Im Frühjahr 2015 verbreitete ich den Link über meinen Bekanntenkreis und verschiedene Netzwerke. Einen Zweizeiler schickte ich über eine interne Mailingliste von aktuellen und ehemaligen StipendiatInnen einer deutschen Studienförderung. Ich rechnete damit, dort Menschen zu erreichen, die das Wörterbuch als Unterstützung gebrauchen können und es an andere Interessierte weiterleiten. Ich rechnete allerdings nicht damit, dass innerhalb der Mailingliste mehrere Tage lang in über 30 Beiträgen wie aus dem Nichts seitenlange „ideologisch verhärtete Grabenkämpfe“ (Zitat aus der Mailingliste) über den Sinn und Unsinn gendergerechter Sprache ausgetragen würden. Leider blieb eine sachliche Diskussion eher im Hintergrund, die ich von einer akademischen „Elite“ erwarte.

Besonders beliebt unter den Beiträgen waren die undifferenzierten Argumente, dass gendergerechte Sprache a) den Menschen aufgezwungen werde, b) einen Anspruch an richtige Sprache erhebe, c) ideologisch und manipulierend sei und d) dem „Genderwahn“ (Zitat aus der Mailingliste) entspringe (alles Vorwürfe, die der Genderforschung in Deutschland ebenso bekannt sind):

„Bei der Verwendung geschlechtergerechter Sprache handelt es sich um eine Manipulation der Sprache aus ideologischen Gründen“.

Bei gendergerechter Sprache ginge es um „verrenkte Formulierungen“ oder man müsse sich „in merkwürdigen Formulierungen verrenken“.

Gendergerechte Sprache sei „Sprachverschluderei“.

„Eine aufgezwungene ‚Genderung‘ jeglicher Begriffe“ sei nicht der richtige Weg.

Ein Nutzer der Mailingliste stört sich am „Anspruch, die ‚ge-genderte‘ Sprache sei richtiger und damit mehr oder weniger verpflichtend“ und daran: „Alle Einwände, die angeblich ‚richtigeren‘ Begriffe hätten eben auch eine andere Bedeutung, die nicht deckungsgleich mit dem ersetzten Wort seien, werden sofort mit der ideologischen Keule niedergemacht“.

Ein Nutzer der Mailingliste fordert Frauen zu „mehr Selbstbewusstsein“ auf, denn er ist überzeugt: „Wertschätzung drückt sich nicht in politisch korrekten Formulierungen aus“.

Den Sinn und Zweck von gendergerechter Sprache und den Grund dafür, dass es Menschen gibt, die ein Bedürfnis haben, diese einzusetzen, hat ein Nutzer der Mailingliste treffend zusammengefasst:

„Wenn mir jemand sagt, sie verletzt mein Umgang von Sprache, dann würde es mir selbst sonderbar vorkommen, wenn ich diesen Einwand einfach wegwischte und antwortete, mir selbst gefalle mein Umgang von Sprache und ich sähe gar kein Problem darin. Das erschiene mir zu wenig interessiert an der Person, die mir gegenübersteht. Auch schiene es mir zu egozentrisch […] wenn ich nur als Problem anerkenne, was für mich selbst ein Problem ist.

Sprache beeinflusst unser Denken. Sprache kann auch manipulierend sein. Sprache ist nie objektiv und verrät einiges über unser Denken und unsere Weltsicht. Der Satz „Meine Putze kommt am Dienstag“ zeigt im Gegensatz zu „Meine Reinigungskraft kommt am Dienstag“ eine ganz andere Haltung gegenüber der Person, die meine Wohnung sauber macht.

Sprache kann manipulierend sein – oder wie ich es lieber formuliere: Sprache ist machtvoll. Deshalb kann Sprache auch ganz bewusst eingesetzt werden. Ob wir Sprache dazu einsetzen, um Diskriminierungen zu vermeiden und uns wertschätzend gegenüber unseren Mitmenschen zu äußern, oder ob wir Sprache einsetzen, um andere herabzusetzen und unsere Weltsicht als die einzig richtige zu verkaufen – das ist eine Entscheidung, die jede Person für sich treffen muss.

Zugegeben: Wie jedes Wörterbuch hat auch das Genderwörterbuch das Problem, dass nicht alle vorgeschlagenen Begriffe in allen Kontexten deckungsgleich funktionieren. Darauf weist das Wörterbuch jedoch hin.
Beispiel aus einem Deutsch-Englisch-Wörterbuch:
Weggehen kann Unterschiedliches bedeuten.

  1. sich von einem Punkt entfernen, fortgehen
    Er ging weg und kam nicht mehr zurück. → to go away
  2. mit anderen ausgehen, sich z.B. in einem Restaurant treffen
    Er geht am Abend mit einer guten Freundin weg. → to go out

Beispiel aus dem Genderwörterbuch:

Augenoptiker kann in manchen, aber nicht in allen Kontexten durch Brillenladen ersetzt werden.
Ich möchte einen Sehtest machen lassen. Weißt du wo der nächste Augenoptiker ist?
= Ich möchte einen Sehtest machen lassen. Weißt du wo der nächste Brillenladen ist?
aber: Drei Prozent aller Kinder möchten Augenoptiker werden.
≠ Drei Prozent aller Kinder möchten ein Brillenladen werden.

Trotz dieses mir bekannten wörterbuchspezifischen Mankos war und bin ich immer wieder überrascht, welche harten Diskussionen um das Thema gendergerechte Sprache entstehen: heute im Jahr 2016, in einem modernen Land, von dem ich dachte, dass Bemühungen um die Gleichberechtigung der Geschlechter weitgehend Konsens sind – und wenn das schon nicht, zumindest kein besonders emotionales, diskussionswürdiges Thema mehr.

Musicals – Ein Vergleich

Nehmen wir an, das Wörterbuch wäre kein Wörterbuch, sondern ein Blog mit Infos und Tipps rund um das Thema Musicals.
Die Existenz des Musical-Blogs würde mich nicht zu der Schlussfolgerung führen, dass Musicals einen Anspruch an den einzig richtigen Musikgeschmack erheben.
Durch die Tipps und neuesten Infos zum Thema Musicals auf dem Blog würde ich nicht den Eindruck gewinnen, Musicals seien ideologisch aufgeladen oder wollen mich mit ihren Inhalten manipulieren.
Ich käme auch nicht auf die Idee, dass Musicals einem gefährlichen „Pop-Wahn“ entspringen, der um sich greift.
Die reine Existenz des Musical-Blogs zwingt mich und auch sonst niemanden dazu, Musicals zu besuchen, sie anzuhören oder sich mit ihnen zu beschäftigen, geschweige denn den Musical-Blog an sich zu lesen oder gut zu heißen.
Wenn ich Interesse an Musicals hätte, würde ich mir die Seite merken, sie teilen, sie lesen, mich inspirieren lassen. Ich würde Anregungen aufnehmen und andere ablehnen. Ich würde die Seite mit Interessierten teilen oder auch nicht.
Wenn ich kein Interesse an Musicals hätte, dann würde ich mir die Seite weder merken, noch teilen oder lesen. Ich würde sie wegklicken (oder gar nicht anklicken) und vergessen. Ich würde die Seite an Interessierte empfehlen oder auch nicht.
Warum löst das Wörterbuch hingegen so eine emotionale Grundsatzdebatte aus? Warum investieren die, die das Wörterbuch nicht sinnvoll oder hilfreich finden, so viel Zeit und Energie, um sich darüber negativ auszulassen?

Von Konstruktiven Anregungen bis Hatespeech

Zum Glück gibt es auch positives Feedback, die Seite wird in sozialen Netzwerken geteilt, in Rundbriefen und auf Blogs bekannt gemacht und im Intranet öffentlicher Institutionen und auf Websites von Gleichstellungsbeauftragen verlinkt.
Das Wörterbuch ist außerdem interaktiv ausgerichtet und wird so auch rege genutzt: UserInnen können fehlende Wörter oder Vorschläge für alternative Begriffe einschicken. So wurde das Wörterbuch von anfangs 150 auf mittlerweile ca. 500 Begriffe erweitert.

Neben kreativen Begriffen, konstruktiven Anmerkungen von und sachlichen Diskussionen mit UserInnen hagelt es aber auch heute, eineinhalb Jahre nach den Auseinandersetzungen auf der Mailingliste weiterhin unsachliche Beiträge und beleidigende Wortvorschläge. Es tauchen die immer gleichen Argumente auf: Alles sei Manipulation und Ideologie, die Diskussion gipfelt sogar im Vorwurf der Lügenpresse und in Beleidigungen. Hier einige Beispiele aus E-Mails an das Wörterbuch:

„Habe gerade Ihren Nachnamen gelesen. Müller ist ja nun für eine Frau mehr als grenzwertig!

„Allein der Titel ‚geschickt…‘ impliziert schon einen Manipulationsversuch.

Habt ihr da einen an der Klatsche, wisst Ihr überhaupt, was Ihr anrichtet? Im Klartext: 1. Ihr versucht, die Sprache und den Sprachgebrauch zu manipulieren. […] Die Umgangssprache soll als Vehikel für die Durchsetzung feministischer (und ich behaupte auch: männerfeindlicher) Ideologien dienen. 2. Das ist armselig. […]“

„Alles trägt ganz offensichtlich die Handschrift der Gutmenschen-Gemüsepartei.

„Mir ist sehr klar, dass vieles im Argen liegt, aber wenn Sie als Lösungsweg derartige Lachnummern abliefern, ist das kontraproduktiv und unterläuft alle seriösen Bemühungen. Ich hoffe, […] dass Sie noch lernfähig sind und sich effektivere Lösungswege ausdenken.“

Verschiedene eingereichte alternative Wortvorschläge:
„Genderwissenschaftler*in“ → „geisteskranke Fotzen
„Genderist“ → „Bekloppter
„Held“ → „Fickschnitzel
„gendern“ → „dummsprech
„Idiot“ → „Gendernde
„Genderwissenschaftler“ → „Schwachbratze
„Gendernde“ → „Idioten; Mannomann, seid ihr bescheuert!
„Journalist“ → „Lügenpresse

Liebe Geschlechtslose, mein Vorschlag für das schändliche, ungedschänderte Wort Journalist ist einfach nur Lügenpresse. Erstens ist ein Journalist jemand, der unvoreingenommen möglichst umfassend über einen Sachverhalt aufklären möchte. Das trifft auf die meisten sog. Journalisten nicht zu, zumindest in unserem rassistischen Deutschland (wenn Deutschland so rassistisch ist, wieso kommen dann Millionen schwarzer und brauner Menschen hierher? Fragen????). Die ‚Journalisten‘ der Massenmedien sind deutschenfeindliche Heuchler, die gerade mal aus Wikipedia abschreiben können. Beispiel: Die AfD sei rassistisch. Wieso hat die AfD dann auch schwarze Mitglieder, z.B. Achille Demagbo, der Beisitzer im Landesvorstand der schleswig-holsteinischen AfD ist? Außerdem ist Lügenpresse weiblich, wodurch die schreckliche Anzahl maskulinistischer Worte in unserem Sprachgebrauch abnehmen wird! Schneidet den Männern die Schwänze ab! (Aber nur den Deutschen, nicht den armen Räffjudschiehs.)“

In die gleiche Liga wie diese Zuschriften gehört auch der Artikel eines Hadmut Danisch. Er veröffentlichte einen Artikel über das Genderwörterbuch auf seinem Blog.  Wieder taucht der Vorwurf auf, dass gendergerechte Sprache aufgezwungen wird, wieder finden sich Beleidigungen:

„Wollt Ihr mal die tiefe Blödheit der Genderei erleben? Ausgerechnet unter dem dämlichen und selbstüberschätzenden Namen geschicktgendern.de („Geschickt Gendern” … wie dämlich) findet sich ein Liste von Wortersetzungen. Was soll man nicht mehr verwenden, was soll man stattdessen verwenden.

„Außerdem ist es oft strunzblöd.“

„Warum maßen sich eigentlich immer die größten Sprachkrüppel und Verbalbehinderten, die, die am wenigsten Sprachbeherrschung aufweisen und die sich nicht verständlich und klar ausdrücken können, an, anderen Sprachvorschriften zu machen […]?“
„Meines Erachtens fehlt in der Liste ein Eintrag: Idiot => Gendernde“

In einem Online-Forum eines großen Metal-Festivals posten User neben dem Link des Wörterbuches und dem Kommentar „In Kiel wohnen nur Verrückte, z.B. die hier“ ein Foto von mir und meine private Anschrift.

AfD, Reichsbürger, Lügenpresse – Offene Fragen

Ich betreibe in meiner Freizeit ein Online-Wörterbuch und unerwartet ploppen bei mir zu Hause im Wohnzimmer auf dem Bildschirm Lügenpresse-Vorwürfe, persönliche Beleidigungen und E-Mails von Reichsbürgern auf. Ich muss mich plötzlich mit Fragen auseinandersetzen, wie ich mit all den Beleidigungen, dem Hatespeech, das mein Wörterbuch auslöst, umgehen will:

Soll ich die Beleidigungen und negativen Reaktionen ignorieren? Ich verschiebe diese in meinen E-Mail-Papierkorb, hake sie emotional ab und schütze mich so selbst. Gleichzeitig toleriere ich dadurch Beleidigungen und unsachliche Kommentare bleiben weiterhin im Raum stehen.

Soll ich die Menschen, die die Beleidigungen und negativen Reaktionen in die Welt setzen, mit sachlichen Argumenten konfrontieren? Ich nehme die Kritik ernst, beantworte jede E-Mail und kommentiere jeden Artikel mit sachlichen Argumenten. Ich trage zu einer Versachlichung und Differenzierung der Diskussion bei und lasse Beleidigungen nicht einfach stehen oder halte sie aus. Gleichzeitig kostet mich das enorme zusätzliche Energie und Emotionen, die ich lieber konstruktiv in die Weiterentwicklung des Wörterbuches stecken würde.

Ich entschließe mich für die dritte Variante und schreibe einen Artikel auf Zebrabutter.net

Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels wurde der Autor Hadmut Danisch in die Nähe der Reichsbürgerbewegung gerückt. Hierzu stellt er in einer Mail an die Redaktion fest, dass diese Behauptung unwahr sei.  Weder kenne er die reichsbürgernahe Seite, auf der sein Artikel Was sind Sie von Beruf? Brillenladen!  zweitveröffentlicht wurde, noch sei diese Veröffentlichung jemals von ihm autorisiert worden. Auch wolle er sich nicht in der rechten Ecke positioniert sehen.

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