Radio Tatort killed the TV – Star

Unser Autor hasste den „Tatort“. Bis er ihn im Radio hörte.

Es gibt dieses tolle „Durch die Nacht mit…“, in dem George R.R. Martin und Sibel Kekilli sich durch die besten Läden in Phoenix trinken und essen. An einer Stelle, beide sind schon ziemlich betrunken, versucht Kekilli, die nicht nur „Game of Thrones“- sondern auch „Tatort“-Schauspielerin ist, in einem grandios missglückten Gesprächsfetzen Martin zu erklären, warum halb Deutschland sich am Sonntag Abend eine angestaubte Krimiserie anschaut. Das dauert so zwei, drei quälende Minuten, Martin versteht es nicht, und bestellt ihr noch eine Margarita.

Als ich mir die Folge angesehen habe, spiegelte das Unverständnis in George R.R. Martins Augen ziemlich genau meines wieder. Ich mag Krimis, mag ich wirklich. Hauptsächlich alles, was irgendwie hard-boiled rüberkommt, aber ich möchte da gar nicht dogmatisch sein. Gebt mir irgendeinen klug konstruierten Kriminalfall, in dem nicht irgendein Engländer Kraft der Deduktion herausfindet, dass Colonel Sanders im Wohnzimmer mit dem Gift eines exotischen Fisches in einem geschlossenen Zimmer mittels einer raffinierten Blasrohrkonstruktion im Lüfttungsschacht umgebracht wurde, und ich bin glücklich.

Ich habs nie verstanden

Aber Tatort? Ich habs nie verstanden, wirklich nicht. Ich habs versucht. Ich habe versucht, es mir in Gesellschaft anzuschauen, aber ich tendiere ab kurz nach dem Mord dazu, die ganze Zeit zu lästern. Ich habe versucht, es mir alleine anzuschauen, aber schaffe es nicht, dabei zu bleiben. Ich habe versucht, gleichzeitig darüber zu twittern, das war ganz lustig, aber nur, weil alle anderen auch immer lästern, und das scheint mir nicht Sinn der Sache zu sein. Jedenfalls war ich immer enttäuscht. Entweder waren Schauspieler und Skript so hölzern, dass ich dachte, die Folge wäre komplett von Robotern geschrieben, gespielt und inszeniert worden. Oder der Mörder war nach zwei Minuten klar. Oder jemand versuchte, in so eine hölzerne Handlung noch ohne jedes Feingefühl und / oder Rechercheaufwand gesellschaftspolitische Aussagen einzubauen. Manchmal sprechen auch alle Leute einen Dialekt, den ich nicht verstehe. Oder ich muss Til Schweiger sehen. Ich weiß, ich schere hier eine Menge unterschiedlicher Dinge über einen Kamm, aber trotzdem: Ich mag „Tatort“ nicht.

Die kleine, feine Nische

Deshalb wäre ich nie auf die Idee gekommen, mir den Radio Tatort anzuhören – wären da nicht die „Fünf Freunde“ gewesen. Meine Freundin in ich hatten das Ritual entwickelt, vor dem Einschlafen noch eine Folge zu hören, aber irgendwann gingen uns die Kassetten aus. Und wir kamen auf die Idee, das Netz nach Hörspielen zu durchsuchen. Man landet dann relativ schnell – wenn man nicht unbedingt was bezahlen will – in der ARD-Mediathek auf der Radio Tatort Seite. Die erste Folge, die wir hörten war „Dancing Queen“ – und das war das erste Mal, dass ich nicht irgendwann in der Mitte des Hörspiels einschlief. „Dancing Queen“ ist nicht unbedingt spannend, aber es ist brillant geschrieben, kreist immer wieder um Einsamkeit und Verlust in den Erinnerungen des Kommissars, und tut das, was Krimi am Besten kann: Persönliches Elend mit dem Elend der Welt verknüpfen. „Malina“ dekonstruiert seinen Kommissar schonungslos. „Das Grab der kleinen Vögel“ spielt mit der klassischen Erzählung „Mord im Kurhotel“ herum, und baut dabei ganz eigenartige und eigene schöne Bilder. „Stand der Dinge“ ist ein Kammerspiel mit toller Soundkulisse. Alles, was von John von Düffel geschrieben ist lohnt sich. Kurz: Während der Tatort im Fernsehen immer wieder alte Muster reproduziert und im Prinzip nie über sich selbst hinauswächst, experimentiert der Radio Tatort mit Figuren und Erzählungen, mit Motiven und Schreibenweisen, mit dem eigenen Format. Auch, wenn die Nische nicht unbedingt klein ist: Der Radio Tatort hat sich seine Nische gebaut, und sich vom seinem großen Bruder im Fernsehen soweit emanzipiert, dass die einzige Gemeinsamkeit der Name ist.

Das wäre, um es mal etwas größer zu sagen, das, was ich vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen erwarten würde: Weniger Muster, mehr Nischen.

Und das wäre, um es mal gemein zu sagen, das, was ich von diesen ganzen Tatort-Fanatikern erwarten würde, die man Sonntags abends nicht anrufen darf: Weniger Fernsehen, mehr Radio. Wirklich Leute, das lohnt sich.