The sun always shines on tv

The sun always shines on TV: Paralypse Now – die legitime Verleumdung des Christoph Daum

Von 2000 bis 2002 schrieb der Medienwissenschaftler Mathias Mertens die sonntägliche Kolumne The sun always shines on TV über das Fernsehen.

Das Geiseldrama von Gladbeck wird als eine Zäsur im Fernsehjournalismus begriffen. Nach dem Live-Interview von Ruprecht Eser mit Jürgen Rösler, der extra bis zum Beginn vom Heute Journal gewartet hatte, sollte es nie wieder zu so etwas kommen. Lange Jahre der unbemerkten Zurückhaltung sollten folgen, bis man schließlich stolz auf die Reemtsma-Entführung verweisen konnte, die erst nach Befreiung der Geisel öffentlich gemacht wurde. „Dagobert“ war dazwischen, aber das zählt nicht, weil es zu schön war, als daß man darauf hätte verzichten können. Nein, mit der Reemtsma-Entführung war die Bewährungsauflage abgegolten.

Wie bei so vielen auf Bewährung Verurteilten kam es dann nach Ablauf der Frist zu einem Rückfall. Der Fernsehjournalismus allerdings hatte seine Lektion gelernt. Er wollte beides, rücksichtslosen Voyeurismus und Straffreiheit. Also überlegte man ein wenig, griff zum Handbuch der klassischen Rhetorik und fand in der Figur der „Paralipse“ die passende Wunderwaffe. Paralipse funktioniert ungefähr so: Ein Mann sitzt vor einem Millionenpublikum und sagt, „Es wäre eine große Schweinerei, wenn ich jetzt verraten würde, daß Hape schwul ist, deshalb werde ich mich hüten, es zu tun.“ Moralisch einwandfrei. Ganz so plump agiert der Fernsehjournalismus natürlich nicht.

Sondern so: Man stellt die große Übertragungsshow des letzten Fußballspiels im Wembley-Stadion unter das Motto „Eigentlich wollten wir ja heute ein Fußballfest feiern, aber diese verdammte Daum-Affäre überschattet alles.“ Jeder der Prominenten, die von den Kameras mit ihren Reporteranhängseln erwischt werden, darf kurz etwas zum Mythos Wembley sagen, bevor er dann mit der wesentlichen Frage konfrontiert wird: „Es ist unvermeidlich; was sagen Sie denn zu diesen medial hochgespielten Beschuldigen von Uli Hoeneß in Richtung Daum?“ Die eigene Sensationsgier wird zu einer Naturkraft stilisiert, gegen die man sich sogar zur Wehr zu setzen versucht, letzlich aber unterliegt. Gleichzeitig ist diese Naturkraft in einem ominösen „medialen“ Akkumulator gebündelt und losgelassen worden. Die Fragestellung impliziert, daß man selbst mit diesen „Medien“ nichts zu tun hat.

Nur nebenbei bemerkt: Die Praxis verwundert nicht, wenn man bedenkt, daß an diesem historischen Wembley-Samstag Johannes B. Kerner die Oberhoheit über diese Fernsehsendung hatte. Jener Johannes B. Kerner, der in seiner Johannes-B.-Kerner-Show ein Gespräch mit Oskar Lafontaine einige Monate nach dessen Rücktritt als Finanzminister führte. Irgendwann stellte er ihm die Frage, warum er denn soviel Honorar für sein Buch bekäme, wo er doch so viele Bezüge als Ex-Ministerpräsident, Ex-Minister, Ex-Abgeordneter bekäme. Bevor Lafontaine antworten konnte, verwies Johannes B. Kerner darauf, daß er selbst diese Frage ja gar nicht stellen wollte, aber sie wäre in der Zuschauerpost gewesen und da sei er gewissermaßen verpflichtet.

Zurück zur Frage nach den „medial hochspielten“ Gerüchten. Die „Berichterstattung“ in der Daum-Affäre fügt sich in die Strategie, die sich der Fernsehjournalismus nach seiner Krise angeeignet hat. Es ist inzwischen Standard, daß in jedem Tagesschau-Filmbericht ein Schwenk auf die versammelte Kamerameute der anderen eingebaut wird, am besten noch, wenn sich die Kollegen gerade brutal um die besten Plätze rangeln. Die Korrespondenten werden immer noch um ein Statement zur Penetranz der Medien gegenüber der momentanen Person öffentlichen Interesses gebeten. Glücklicherweise sieht man nicht, wer da gerade guckt, wie die anderen gucken.

Aber nicht die Doppelmoral ist das Entscheidende. Sondern, daß die Fernsehkritik vom Fernsehen geschluckt worden ist. Beziehungsweise das Fernsehen nährt sich inzwischen hauptsächlich von der Kritik an sich selbst. Man kann schon gar nicht mehr bemängeln, daß es eine Menge Schrott im Programm gibt, weil inzwischen Sendungen wie „TV Total“ blühen, die genau aus diesem Schrott wieder ein Programm machen. Genausowenig kann man den Journalisten Voyeurismus vorwerfen, weil genau diese Kritik eine der Grundlagen ihrer Berichterstattung ist. Die Struktur der Paralipse wird gewissermaßen invertiert. Sie dient nicht mehr der der Verlautbarung einer Tatsache, ohne daß man als Urheber bestimmt werden kann, der verantwortlungslosen Anklage eines anderen, sondern sie dient dem Verschwindenlassen einer Tatsache, indem man sich selbst zum Urheber einer Anklage gegen sich selbst macht.

Der Effekt ist, daß es keine Medien mehr gibt. Denn das Bild der Medien, das uns penetrant gezeigt wird, wird abgekoppelt vom Geschehen der medialen Vermittlung, deren Teilnehmer man ist. Medien sind immer die anderen, und das wechselseitig. Medien sind schmutzig und böse, aber sie sind da drüben, nicht hier. Die Kritik an ihnen ist berechtigt und man hilft gerne dabei, die Vorwürfe zu ihnen herüber zu transportieren. Setzt man diese neue Interpretation der Paralipse als up-to-date an, dann muß ein Uli Hoeneß als hoffnungslos veraltet erscheinen. Ein Roland Koch dagegen hat die Zeichen der Zeit erkannt.

Bildquellen

  • The sun always shines on tv: Mathias Mertens