Regeln für einen Ratgeber

Ethan Hawke beweist mit seinen Regeln für einen Ritter, dass auch Ratgeber-Literatur etwas taugen kann. Martin Spieß hat das Buch gelesen.

Ratgeber-Literatur hat nicht den besten Ruf. Es wird Altbekanntes neu aufgegossen, recycled und reloaded, was schon Hunderte Jahre zuvor gesagt, geschrieben oder an Höhlenwände gekratzt wurde – und dann wird so getan, als habe man das Rad neu erfunden und sei damit zum Stein der Weisen gefahren.

Ethan Hawke, Schauspieler und Schriftsteller, hat zwar ein Ratgeberbuch geschrieben, er umschifft aber eben diese Klippen mit Hilfe eines Tricks: die Regeln für einen Ritter, wie das schmale, in grünes Leinen gebundene und mit einem goldenen Schwert verzierte Büchlein heißt, seien in der 1970er Jahren im Keller der Hawkeschen Familienfarm gefunden worden. Sie sind ein Brief von Sir Thomas Lemuel Hawke von Cornwall, den er am Vorabend einer großen Schlacht, an seine Kinder schreibt. Wie er dahin gekommen sei und ob er echt sei, das seien „Fragen, die immer noch Ursache zahlreicher, ergebnisloser Diskussionen sind“, schreibt Hawke, dessen Familie „für sich in Anspruch“ nimmt, „direkt von den adeligen Hawkes von Cornwall abzustammen“. Das ist natürlich Quatsch, der erzählerische Kniff ist jedoch genial: indem Hawke die gesammelten Lebensweisheiten seinem fiktiven Urahn in den Mund legt, bekommen die Regeln für einen Ritter sofort etwas gleichsam Menschliches wie Mystisches – und etwas Erhabenes.

Die philosophischen Ansätze des fiktiven Urahns

Sir Thomas erzählt darin, wie er aufwuchs, wie er zum Knappen, zum Manne und schließlich zum Ritter wurde. Hawke bedient sich dabei unterschiedlichster philosophischer Ansätze, der erste beispielsweise ist die buddhistische Fabel der zwei Wölfe, die in uns um Vorherrschaft kämpfen – und immer der stärker wird, den man füttert. In zwanzig Kapiteln lässt Hawke seinen fiktiven Urahn von seinem Leben erzählen, von geschlagenen Schlachten, von gelernten Lektionen, von Gesprächen mit seinem weisen Großvater oder seinem besten Freund Sir Richard. Und die immer wieder kehrende Erkenntnis ist: Ritter zu sein heißt nicht, immer richtig zu liegen. Aber es heißt, aus seinen Fehlern zu lernen, demütig zu sein, ehrlich, mutig und hingebungsvoll. Es bedeutet, zu vergeben, und gegen Ungerechtigkeit zu kämpfen.

Letztlich versammelt Ethan Hawke nichts anderes als moderne Ratgeber-AutorInnen es tun. Das mittelalterliche Gewand jedoch, das Fiktive, ja Romanhafte, gibt den Regeln für einen Ritter eine andere Aura. Die Vorstellung, Sir Thomas sitzt wirklich am Abend vor der Schlacht in seinem Zimmer und schreibt an seine Kinder, die er nie wiedersehen wird – er „war einer der 323 Männer, die im Winter 1483 in der Schlacht von Slaughter Bridge gefallen sind“ –, das sorgt für Empathie, das lässt den Leser die Regeln mit ganz anderen Augen lesen. Und wo wir schon bei Augen sind: wem am Ende des Kapitels über den Tod keine Tränen in eben diese steigen, sollte zum Augenarzt gehen.

Dass Ethan Hawke schreiben kann, das hat er mit den Drehbüchern zu Before Sunset und Before Midnight genauso bewiesen wie mit seinen Romanen Aschermittwoch und seinem Debüt Hin und weg. Darüber schrieb die Süddeutsche Zeitung: „Wer heute über die Liebe schreibt, kann es eigentlich nur so machen.“ Auf die Regeln für einen Ritter angelegt müsste es heißen: Wer heute einen Ratgeber schreibt, kann es eigentlich nur so machen.

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Titelangaben

Ethan Hawke: Regeln für einen Ritter
ISBN: 978-3-462-04933-6
192 Seiten, Leinen, 12 €

Bildquellen

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