Spamfilter 2017: Versprechen von Freiheit und Dystopie

Mit einer Diskussionsrunde zu Utopie und Dystopie des Internet startete das diesjährige Spamfilter-Festival in Hannover.

Was ist es denn nun, das Internet? „Das Internet hat in den letzten Jahren in der öffentlichen Wahrnehmung einen Bedeutungswandel erfahren“, eröffnet der Moderator der Veranstaltung Vom Freiraum zum Vorboten des Totalitarismus?, Jürgen Kuri, der stellvertretende Chefredakteur von heise online die Diskussionsrunde und Auftakt-Veranstaltung des Spamfilter-Festival 2017. Es soll um Sicherheitspolitik im Internet gehen – und die Frage, wo eigentlich die  vor Jahren versprochene digitale Freiheit abgeblieben ist. Der Bedeutungswandel, den er meint, ist genau dieser: Die Freiheit, die vor ein paar Jahren noch die Utopie des Netzes war, wird zunehmend von immer neuen Meldungen von Überwachung durch Geheimdienste, den sogenannten „Fake News“ und strafrechtlich relevanter Hassreden zur Dystopie. Dazu kommen Gesetze wie das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, dass Plattformbetreiber wie Facebook verpflichtet, „Hasskriminalität und andere strafbare Inhalte“ innerhalb kürzester Zeit zu löschen oder zu sperren.

„Es ist oft enorm schwer zu entscheiden, welche Inhalte strafrechtlich relevant sind.“ – Joerg Heidrich

„Die Diagnose stimmt, aber das Medikament ist falsch“, sagt Ulf Buermeyer dazu. Der Richter und Vorsitzende der Gesellschaft für Freiheitsrechte kritisiert das Gesetz scharf. Nicht nur müssten die Betreiber innerhalb kürzester Zeit entscheiden, welche Inhalte zu löschen seien – „und im Zweifel wird dann eben eher gelöscht“ – vor allem aber sähe das Gesetz nur wenige Möglichkeiten zu Strafverfolgung für die gelöschten oder gesperrten Inhalte vor. Der andere Gast des Podiums, Joerg Heidrich, Justiziar und Datenschutzbeauftragter des Heise Zeitschriftenverlags, pflichtet ihm bei: „Es ist oft enorm schwer zu entscheiden, welche Inhalte strafrechtlich relevant sind.“ Denn es sei „erlaubt, zu hassen“ – wo aber dieser Hass justiziabel wird, ist nicht einfach so zu beantworten.

Versagen der Politik und des Widerstands

Gerade Gesetze wie das Netzwerkdurchsetzungsgesetz oder auch das verschärfte bayerische Gefährder-Gesetz seien, so Buermeyer, Beispiele für das Versagen der Politik. Beim Gefährder-Gesetz, meint er, „wusste jeder Beteiligte, dass das verfassungswidrig ist“. Hier sehen beide Podiumsgäste ein Versagen des Widerstandes der Bürger gegen solche Gesetze – hier sei zum einen Engagement der Menschen gefragt, aber auch Nachregulierung durch die Justiz. „Der politische Diskurs macht es schwer nachzudenken“, sagt Buermeyer, „es werden oft diejenigen gehört, die in den grellsten Farben malen“. Dazu käme, dass keine Partei wirkliche Netzkompetenz hätte, dennoch sei, so Heidrich, „das Netz auf absurdeste Weise durchreguliert“.

Selbstverständlich, auch hier sind sich beide wieder einig, bräuchte es Gesetze, um strafrechtlich relevante Inhalte im Netz verfolgen zu können – die aktuelle Regelung sei dafür kaum geeignet. Durch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz würden sowieso Inhalte nur in Deutschland unsichtbar gemacht – – in anderen Ländern seien diese problemlos abrufbar.  „Wir haben ein globales Medium, aber keine globale Rechtsdurchsetzung“, sagt Buermeyer, die Gefahr dabei sei, dass in solchen Fällen die intoleranteste, härteste Regelung zum Standard für alle werden könne. Wie auch beim Urheberrecht oder dem Datenschutz sei Feingefühl gefragt. Für Beurmeyer ein Grund, sich in einer Partei zu engagieren, Heidrich plädiert eher für privates Engagement.

Und wer sind die Bösen?

Auch wenn aus dem Publikum einige Nachfragen zu dem Thema kommen – das Feindbild sind in der Diskussion nicht die großen Konzerne. Denn auch wenn die großen Suchmaschinen- und Plattformbetreiber die Daten ihrer User aufzeichnen – es sind die staatlichen Organe, die diese Daten teilweise gezielt anfragen und verwenden. In Deutschland geschähe das noch in vertretbarem und rechtlich abgesicherten Rahmen – allerdings zeigte die aktuelle politische Entwicklung in Polen oder der Türkei, dass auch hier der Weg zu staatlichem Missbrauch nicht weit sei. „Wenn ich eine positive Entwicklung sehe“, sagt Heidrich, „dann, dass wir uns alle in den letzten Jahren mehr politisiert haben.“ Und vielleicht führt das ja zurück in die Utopie des freien Netzes – oder zumindest in Richtung besseres Neuland.

Bildquellen

  • 20626317_1840187849348569_7112790561378322448_o: Spamfilter Festival / Marcus Munzlinger