The sun always shines on tv

The sun always shines on TV: Don’t dream it, be it – Kultur im Fernsehen

Von 2000 bis 2002 schrieb der Medienwissenschaftler Mathias Mertens die sonntägliche Kolumne The sun always shines on TV über das Fernsehen. Heute: Teil 5 (22. Oktober 2000)

Ein schöner Gemeinplatz besagt, daß der Schlaf der Vernunft Ungeheuer gebäre. Der ebenso gemeine Fernsehskeptiker wähnt deshalb das gesamte Programm im Tiefschlaf. Ihn kann die raffinierte physiognomische Tarnung von Vera, Sabrina, Birthe, Barbara oder Birgit nicht täuschen, er weiß, was sich hinter der Maske verbirgt. Was passiert aber, wenn die Ungeheuer schlafen und die Fernsehgeräte träumen? Sollte der Schlaf der Ungeheuer etwa Vernunft gebären?

Irgendwann am Ende der Prime-Time, spätestens mit Wickerts Wetter, fällt das Fernsehen in einen Sekundenschlaf nach dem anderen. Und in diesen winzigen REM-Phasen dürfen seltsame Bilder entstehen. Da pfeifen Ironie-Arbeiter Beethovens Fünfte in ambitionierten Videoschnipseln, um danach in Theatersälen informationsschwangere Ansagen vom Teleprompter abzulesen. Föhnfrisierte Anzugträger sitzen mit Jungautoren in trauter Sesselrunde vor einem Kaminvideo im blauen Studio und wollen die Leute draußen zum Lesen animieren. Kurz vor dem Schwächeanfall stehende Moderatoren blinzeln durch hängende Augenlider und werden zum Spiegelbild der Kulturwelt, die mächtig viel Last zu tragen scheint, wenn sie ihre Schultern so hängen läßt.

Und trotzdem, in all diesem ungeheuren Äußeren sitzt die Vernunft. Das suggerieren uns verschiedene Diskursmarker. Denn es geht um Literatur, um Bildende Kunst, um Essayistik und um osteuropäische Filme. Also alles, was schwierig ist. So meint es zumindest das Kulturfernsehen, das zu nachtschlafender Zeit die Lufthoheit über den Fernsehgeräten zu erobern versucht. Die es an das andere, das tägliche Fernsehen verloren hat, das es den Zuschauern viel zu leicht macht, so daß sie nichts Schwieriges mehr sehen wollen. Dabei ist das Schwierige doch gar nicht so schwierig, sagt das Kulturfernsehen, und will es den Zuschauern leicht machen. Für jeden ist der Widerspruch offensichtlich, aber das Kulturfernsehen ist ja nur ein Traum. Wer will da Logik einfordern?

Die Fernsehkamera und damit der Zuschauer, der sich mit ihr identifiziert, liebt das Selbstverständliche. Es hängt mit dem tautologischen Charakter des Fernsehens zusammen, daß es das präsentiert, was ist, nicht das, was wird. Fernsehen ist bereits Reflexion, nicht erst das Reflektieren. „Selbstverständlich“ bedeutet nun nicht, daß es nur bereits Bekanntes reproduzieren muß (hier wäre eine Kritik anzusetzen), sondern daß der Gegenstand sich selbst versteht und nicht mehr über sich nachdenken muß. Denn Nachdenken, wie gesagt, ist unterlegen. Komplizierte Thesen, wenn sie denn nur fertig sind, aber nicht.

Niemand würde dort draußen außerhalb der Bildröhre einen Menschen ernst nehmen, der aus einer schweren Depression heraus Einschätzungen seiner Umwelt von sich gibt. Warum sollte man es dann beim Kulturfernsehen tun? Um die Machos, die Partylöwen, die Lebemänner dagegen, schart man sich, trotz aller moralischen Vorbehalte. Und sieht dann um so genauer hin, um doch den guten, ernsthaften Kern irgendwo durchblitzen zu sehen. Ganz ähnlich sitzt man vor Die Simpsons oder Big Brother und beginnt plötzlich, nach Erklärungsmustern zu suchen. Einfach, weil sie sind. Da kann man was mit anfangen. Anfangen, nachzudenken.

Kulturfernsehen animiert jedoch nicht, weil es wie ein Zombie daherkommt. Es ist eine sich bewegende Hülle, der man anmerkt, daß in die Erzeugung der Bewegung alle Energien fließen. Die Bewegung ist Selbstzweck und nicht das Mittel, um ein Ziel zu erreichen. Denn dieses Ziel, ein beliebiger kultureller Inhalt, scheint den Machern selbst suspekt. Zumindest, wenn sie ihn im Fernsehen präsentieren wollen. Den Zuschauern mag man es nicht so direkt zumuten. Man will durch hilfloses Zappeln eher „Anstöße“ geben, damit die Zuschauer selbst das Ziel fixieren. Das ist so, als würden die Moderatoren von „ran“ jeden Samstagabend anderthalb Stunden etwas über Fußball erzählen, um die Leute dazu zu bringen, ins Stadion zu gehen, um Fußballspiele zu sehen.

Ein beliebtes Thema des Kulturfernsehens (und des Feuilletons, aber das hat einen gänzlich anderen Charakter) ist die Verdammung der „Eventkultur“. Dazu sei gesagt, daß jedes Kunstwerk ein „Event“, ein Ereignis ist. Genau das macht seine Wirkung und damit seine Bedeutung aus. Das Fernsehen liebt Ereignisse, Objekte, die selbstverständlich sind. Insofern müßten Kultur und Fernsehen ideal zusammenpassen. Die Kulturfernsehmacher sind jedoch verbittert, weil sie sehen, daß reine Ereignishüllen wie Jenny Elvers im Fernsehen funktionieren. Statt ein Selbstbewußtsein zu haben und selbstverständlich ihre Objekte zu präsentieren, die der Elverschen Logik des Einfach-Da-Seins folgen, und im Gegensatz zu dieser sogar tatsächlich was zu bieten haben.

Bildquellen

  • The sun always shines on tv: Mathias Mertens