Verschwörungstheorien: Lobenswerte Tugenden sinnlos vergeudet

Die Skepsis und Energie, die Verschwörungstheoretiker an den Tag legen, sind an sich zu begrüßen. Schade nur, dass sie sich mit Hirngespinsten beschäftigen anstatt mit echten Verschwörungen.

„Überzeugungen sind gefährlichere Feinde der Wahrheit als Lügen.“ Die Worte Friedrich Nietzsches gelten allemal in unserem postfaktischen Zeitalter, in dem sich Verschwörungstheorien epidemieartig ausbreiten.
Bill Gates und Corona, Reptiloiden, das Weltjudentum, Chemtrails: Man fragt sich, ob all diese kruden Verschwörungstheorien in Konkurrenz zueinanderstehen oder sich zu einer riesigen Mega-Verschwörung vereinen lassen?
Aber Verschwörungstheorie ist nicht gleich Verschwörungstheorie. Vielmehr unterscheidet man zwischen zwei Formen von Verschwörungstheorien.

Hypothesen vs. Mythen

Bei Verschwörungshypothesen handelt es sich um Theorien im streng wissenschaftlichen Sinn. Es sind Annahmen über reale Verschwörungen, die sich evidenzbasiert verifizieren oder falsifizieren lassen.
Verschwörungsideologien bzw. -mythen sind hingegen das, was man gemeinhin als Verschwörungstheorien bezeichnet. Absurde Fantasien über omnipräsente Mächte mit weltumspannenden Plänen.
Doch so schwer es fallen mag, die Skepsis und Energie dieser Verschwörungsfanatiker sind durchaus zu würdigen

Vergeudete Tugenden

Skepsis und Zweifel, Misstrauen gegenüber Autoritäten oder die Energie, auf die Straße zu gehen und für seine Sache einzustehen, sind an sich begrüßenswerte Tugenden.
Schade nur, dass sich diese lobenswerten Eigenschaften auf so völlig falsche Bahnen bewegen und sich mit Wahnvorstellungen beschäftigen anstatt mit realen Konspirationen.
Dabei gibt es gegenwärtig mehr als genug Verschwörungshypothesen, die Aufmerksamkeit und Aufklärung verdient hätten.

Nachforschungen erwünscht

Welche Rolle spielten die deutschen Behörden im NSU-Skandal, nicht zuletzt in Bezug auf die schlampige Spurensicherung des ausgebrannten Wohnwagens? Was steht in den Akten des hessischen Verfassungsschutzes zum NSU, die noch bis 2044 unter Verschluss stehen?
Was beinhalteten die Daten, die die ehemalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen im Rahmen der sogenannten Berateraffäre auf ihrem Mobiltelefon löschte?
Darüber hinaus scheinen sich die selbsternannten Wahrheitssuchenden für die systematische Massenüberwachung durch die Geheimdienste, die sich dank Edward Snowden als wahr herausstellte, ebenso wenig zu interessieren wie für die ewige Frage, wie groß der Einfluss der Wirtschaft auf die Politik ist. Ein Lobbyregister hat der Bundestag bis heute nicht verabschiedet.

Phantastereien statt Realität

Es ließen sich noch zahlreiche weitere Beispiele anführen. Aber man stelle sich vor, all diese Verschwörungsideologen würden ihre Zeit und Energie in die Aufklärung dieser tatsächlichen Verschwörungshypothesen investieren, anstatt Hirngespinsten hinterherzujagen.

Aber warum jagen die Verschwörungsideologen lieber Schimären hinterher? Sind ihnen die realen Probleme zu banal? Oder haben sie im Unterbewusstsein Angst vor der Realität und flüchten sich lieber in Phantastereien?

Eine Frage des Glaubens

Und wenn sie schon so skeptisch und misstrauisch sind, warum schenken sie dann ausgerechnet abstrusen YouTubern, bebrillten Soulsängern und veganen Köchen Glauben? Waren Veganer nicht mal die bösen, verhassten Gesundheitsterroristen und Moralapostel, die uns den Veggie-Day aufzwingen wollten?

Man wünscht sich beinahe, dass das Misstrauen der Verschwörungsanhänger so weit gehen würde, anstatt solchen Unsinns und seiner Apologeten, absolut niemandem mehr zu trauen. Endgültig alles und jeden in Frage stellen! Aber das wäre Nihilismus und der Mensch ist kein nihilistisches Wesen. Lieber glaubt er noch an den größten Bullshit als an nichts zu glauben.