Wrestling für Einsteiger, Folge 1: Was Sie schon immer über Wrestling wissen wollten

Unser Autor Marcel Durer ist hartgesottener Wrestlingfan. Hier beantwortet er als solcher Fragen übers Wrestling von Leuten, die (noch) nichts damit anfangen können.

Ich bin ein Wrestlingfan, und finde das keinesfalls merkwürdig. Andere Menschen offenbar schon. Diejenigen, zum Beispiel, die skeptisch die Augenbraue hochziehen oder amüsiert grinsen, wenn ich auch nur das Wort Wrestling ausspreche. Ich würde sagen, diese Menschen verpassen etwas. Mehr als einmal habe ich Freunde und Bekannte dazu gebracht, Wrestling eine Chance zu geben und viele von ihnen schauen noch immer regelmäßig die Shows.
Hier also meine Mission für mehr Verständnis: Ich versuche Wrestling so zu erklären, damit auch jeder, der weder Ahnung davon noch Bock darauf hat, versteht, was es ist, worum es geht und worin der Reiz besteht. Dafür habe ich Fragen von Menschen gesammelt, die wenig bis keine Ahnung vom Wrestling haben. Ich bin zwar selber kein Wrestler, ich habe aber mehr Ahnung vom Wrestling als der Durchschnittsfan. Ich versuche derzeit eine eigene Wrestlingshow auf die Beine zu stellen, habe bereits für eine andere Show geschrieben, bin mit einigen Wrestlern befreundet und in meiner Schreibtischschublade wartet ein fast fertiges Manuskript über die Ursprünge des Wrestlings. Ich verbringe gut und gerne 9 Stunden pro Woche damit, mich über die neusten Entwicklungen auf dem Laufenden zu halten. Ich denke, das sollte ausreichen, um Neueinsteigern diesen wunderbaren Sport etwas näher zu bringen.

Ist schon im Vorfeld entschieden, wer gewinnt? Wenn ja – was soll dann daran spannend sein?

Im Wrestling steht für alle Beteiligten – außer für das Publikum – fest, wer den jeweiligen Kampf gewinnt. Dies ermöglicht den beiden Wrestlern, eine Geschichte im Ring zu erzählen um den Kampf so spannend wie möglich zu gestalten. Eine Wrestlingshow besteht auch nicht nur aus einem solcher Kämpfe – meist sind es vier bis sieben, zwischen denen oft genug noch Interviews, Herausforderungen oder andere Showeinlagen stattfinden, in denen auch wieder Storys voran getrieben werden. Denn im Kern geht es beim Wrestling um Geschichten. Man kann es vielleicht als eine Mischung aus Sport, Improvisationstheater und Comics betrachten.
Als Wrestlingfan interessiert mich natürlich auch die Action im Ring. Aber es macht fast noch mehr Spaß zu sehen, wie sich Geschichten un Rivalitäten weiter entwickeln. Gerade dadurch, dass eine bereits vorgeplante Handlung sich abspielt, hat Wrestling mehr mit einer Serie oder einem Film gemein als mit Sport.

Wissen die Zuschauer vor Ort, dass es „nur Show“ ist? Die reagieren immer so überrascht!

Eines der ersten Matches, die ich gesehen habe, war zwischen einem Indianer namens Tatanka und einem Sumoringer namens Yokozuna. Im Match danach trat ein Clown namens Doink an. Ich hatte nie Zweifel daran, dass es eine Show ist. Ich vermute, dass auch 99,9% der Fans das wissen. Sie lassen sich aber auf das Schauspiel und auf die Geschichte ein, fiebern für die Charaktere mit, die sie mögen und haben Spaß daran, diejenigen auszubuhen, die sie nicht mögen. Wenn man sich nicht darauf einlässt und die ganze Zeit nur sagt „Ach, die tun sich doch eh nicht wirklich weh“ (was falsch ist, doch dazu später mehr), dann wird man keinen Spaß haben. Gleiches gilt übrigens für einen Film, wenn man die ganze Zeit darüber nachdenkt, dass das jetzt gar nicht wirklich Mittelerde ist, sondern nur vor einem Greenscreen geddreht wurde.
Tatsächlich ist der Öffentlichkeit seit Anfang der 30er bekannt, dass es bei Wrestlingmatches um abgesprochene Angelegenheiten geht.

Warum gibt es verschiedene Wrestling-Organisationen?

Im Prinzip kann jeder eine Wrestlingshow auf die Beine stellen, der über das nötige Kleingeld verfügt. Allein in Deutschland gibt es mehrere Dutzend Wrestlingpromotions, die regelmäßig Shows veranstalten. International sind das mehrere hundert. Und jede von ihnen ist wie eine eigene kleine Welt voller Geschichten. Doch während beispielsweise Batman das DC Universum bis auf Crossover nicht verlässt, treten die meisten Wrestler für mehrere Promotions an.

Wie wird entschieden wer gewinnt? Gewinnen manche öfter als andere? Haben Stars wie John Cena irgendeinen Bonus, der es ihm erlaubt, öfter Kämpfe gewinnen zu dürfen?

Wrestler sind angeheuerte Schauspieler. Sie spielen ihre Rolle. Ob sie gewinnen oder verlieren ist nebensächlich. Welche Rolle sie spielen und wer in welchem Kampf letztendlich gewinnt oder verliert, entscheidet der Booker – also jener, der die Wrestler auch angeheuert hat. Auch hier gibt es natürlich Ausnahmen: Der Marktführer WWE z.B. hat ein eigenes Kreativteam, bestehend aus ausgebildeten Drehbuchautoren, ehemaligen Wrestlern und Produzenten der Shows. Sie alle planen zusammen, wer gegen wen gewinnt, wer in welches Match eingreift oder wen in einem Interview beleidigt.
Warum man sich für einen Wrestler als Gewinner entscheidet kann verschiedene Gründe haben: Mal hält ein Sieg eine Storyline am Leben, mal möchte man jemanden besonders stark darstellen, damit ein zukünftiger Titelgewinn in die Geschichte passt. Prinzipiell gewinnt derjenige, bei dem es in den Augen des Bookers am sinnvollsten ist. Bei John Cena beispielsweise, weil er unglaublich charismatisch ist und damit auch ein guter Botschafter für die Marke WWE.

Wenn ich durchzappe sehe ich nur mittelmäßiges Overacting. Können Wrestler nicht schauspielern?

Wrestler sind Diener mehrerer Herren. Sie müssen, wie im Theater, für die Ränge spielen, damit das Publikum auch in der letzten Reihe mitbekommt, was sich im Ring abspielt. Gleichzeitig zeigen die Kameras in der Großaufnahme jedes kleine Zucken in ihren Gesichtern. Jeder Schauspieler wird bestätigen können, dass dies ein verdammt schwerer Spagat sein kann.

Gibt es Kampfabläufe, Schlagfolgen oder sowas die quasi jeder lernen könnte, wie eine Choreographie beim Tanzen? Und üben die Kämpfer das gemeinsam? Passen sie auf , dass sie sich nicht verletzen?

Hier spielt sich die Magie ab. Manche Sequenzen werden geübt, manche werden spontan im Ring dem gegenüber angesagt. Wenn man genau hinschaut kann man ab und zu sehen, wie beide Gegner im Ring sich absprechen. Hier will ich aber nicht zu viel verraten, ansonsten wird das „sich darauf einlassen“ noch schwieriger.
Aber im Prinzip versuchen sich die Wrestler für gewöhnlich nicht zu verletzen. Es ist ein Spagat dazwischen, den Kampf möglichst echt aussehen zu lassen und mit der Gesundheit des Gegenübers verantwortungsvoll umzugehen. Das heißt, dass manche Aktionen durchaus abgebremst oder abgeschwächt sind. Gleichzeitig lassen sich aber bestimmte Dinge – etwa ein Sturz – nur bis zu einem bestimmten Grad faken. Daher kommt es fast regelmäßig zu Verletzungen.

Gibt es einen bestimmten Anspruch (sportlich, künstlerisch, whatever) oder ist das einfach nur eine Klopperei?

Hier geht es ins Eingemachte. Wrestling ist in meinen Augen eine Kunstform. Ich kann dramaturgische Regeln, wie ich sie für alle anderen Formen des Storytelling benutze, auch hier anwenden. Die Kunst ist es, eine Geschichte im Ring zu erzählen, die das Publikum mit in seinen Bann zieht. Dies kann durch spektakuläre Moves passieren, durch überzogenes Drama, durch Interaktion mit dem Publikum, durch subtile und konsequente Aktionen (wie wenn z.B. der kleinere, schnellere Wrestler dem größeren, langsameren stets ausweicht und die Beine attackiert, damit dieser noch langsamer ist und ihn nicht zu packen kriegt) oder eben durch gute Rahmenstorylines. Jede Show baut auf die vorherigen Shows auf und führt die Handlung so weiter. Man kann sich Wrestling aus einem dieser Gründe anschauen – oder aus allen gleichzeitig.

In der nächsten Folge von Wrestling für Einsteiger: Marcel Durer besucht die größte Wrestlingshow Europas.

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