Alligatoah: Doppelter Boden mit Augenzwinkern

Seine Musik ist intellektueller, humorvoller Deutschrap. Seine Konzerte sind eine Mischung aus Musik, Stand-Up und Bühnenkunst. Unser Autor war auf einem Konzert von Alligatoah und stellt dessen Musik gleich mit vor.

„Denn Wut ist die Freude des kleinen Mannes…“ munkelt Alligatoah überlegt in sein Mikrofon und leitet über zu Vor Gericht. Einem Lied, in dem er die Gepflogenheit veralbert, nach gutem urdeutschen Recht alles zu petzen, anzuzeigen und zu verklagen, was einem nicht passt. „Gewalt ist zum Zerstören nicht erforderlich, wir sehn uns […] vor Gericht, heißt es.“

Nicht nur die Texte, der ganze Auftritt von Lukas Strobel alias Alligatoah wirkt wohlüberlegt. Das demonstriert der Rapper am 21. Oktober 2016, als er im Rahmen seiner aktuellen Live-Tour Himmelfahrtskommando Halt in Hannover macht. Das Bühnenbild zeigt den Protagonisten im Soldatenkostüm. Sein römischer Streitwagen, auf dem er steht, ist auf einer leicht erhöhten Wolke platziert. Seine Bandmitglieder stehen mit Engelsflügeln ebenfalls auf ihren Wölkchen. Alligatoah performt, während er mit den Zügeln des Wagens spielt. Er hat Bock! Und wenn er es nicht hat, merkt man ihm das nicht im Geringsten an.

Alligatoah macht doppelten Boden mit Augenzwinkern. Er macht kluge Musik mit Witz. Er macht deutschsprachigen Rap, aber anders. Seine Texte kommen nicht von unten, von der Straße, sondern im bestgemeinten Sinne von oben aus dem Elfenbeinturm. Er spricht über Politik und Gesellschaft, über Religion, über Freundschaft und Beziehungen. Meistens nimmt er dabei eine ganz spezielle Perspektive ein. Akribisch gedichtet füllt er sie durch erzählerischen Detailreichtum und eine Vielfalt an Aspekten.

„Gib mir ein schlaues Buch, ich mach die Augen zu. Schönheitsschlaf!“, singt Alligatoah in seinem Song Du bist schön. Darin rechnet er mit oberflächlichen Gesellschaftsbildern ab und zeigt zugleich die Ignoranz des Konsumenten auf. „Ich hab‘ den YouTuber-Look, wie im Buch und gedruckt. Jeden Tag fress‘ ich ein neues Beautyprodukt. Ich schütze mich, denn ich lese nie die Preisschilder. Sie dulden keine negativen Weibsbilder. Und sie dulden keine Gesichtsfalten. Michael-Jackson-Style – ich muss Schritt halten. […] Frag nicht, wie alt die sind, die meine Kleider näh’n, auf einer Skala von eins bis zehn. Tja, denn Kleider machen Leute, doch die Leute, die die Kleider machen, leisten sich bis heute leider weniger Designerjacken.“

Besonders plastisch machen die Geschichten seine alltagsnahe Eloquenz: Alligatoah versteht es, reale Umgangssprache in seinen Texten zu verarbeiten, die einen viel besser zum Zuhören bewegt als ein Song, der auf einer ungreifbaren Kunstsprache basiert. Auch bekannte Redensarten und Zitate schleichen sich dann und wann gerne in seine Musik. „Im Frühling denkt das Röslein: ‚Wer nicht leiden will, muss schön sein.‘ … Ich hab‘ mich wohl verhört, wie bitte?“

Der Tonfall bleibt darstellend und ironisch distanziert. Der Hörer möge sich doch alles selbst zusammeninterpretieren, der Künstler stellt nur Musik und den Gag. Obwohl die Aussage klar ist, ist Alligatoah kein Oberlehrer mit erhobenem Zeigefinger oder verbitterter Protestsänger. Auch auf der Bühne wird gewollte Überheblichkeit durch Humor und Selbstironie gekonnt wettgemacht. Sein Co-Rapper BattleBoi Basti wird nach einer über Jubelrufe entschiedene Rapbattle inklusive Fechtkampf als Verlierer an den Pranger gestellt, obwohl er eigentlich den lauteren Applaus erntete. Der Zuschauer nimmt es amüsiert hin. Später veralbert Alligatoah nacheinander seine Bandkollegen und ihre Instrumente, dabei aber stets auf Augenhöhe und unterhaltsam. Über das Keyboard sagt er, er kenne eigentlich nur schwarze und weiße Tasten vom Klavier. „Simpel genug, ähnlich wie mein Weltbild.“

Alligatoah ist nicht einfach nur Musiker auf der Bühne. Ein gehöriger Teil seines Bühnenauftritts besteht aus einer Art Stand-Up-Programm. Er interagiert mit Band, Publikum und Bühne. Kein einziger Song folgt unmittelbar auf den davor. Seine Sprechsequenzen wirken erstaunlich souverän: keine Verhaspler oder Versprecher, wohlüberlegt formuliert, trotzdem nicht vorgescriptet und aufgesagt.

Er ist Profi. Spätestens Ende 2015 hat Alligatoah den Durchbruch geschafft, als er sein neuestes Album Musik ist keine Lösung herausbrachte. Eigentlich schon 2013 mit Triebwerke, aber jetzt kennen ihn halt auch die, die sonst keinen Rap mögen.

Dabei macht Alligatoah mehr als nur Rap: Seine Melodien, vornehmlich im Refrain, tituliert er selber als „Zirkusfeeling erweckend“; sie sind eingängig und fast singsangartig, etwa in Willst du  oder in Denk an die Kinder. Die Lieder sind nicht einfach mit einem Beat unterlegt, sondern leben mit von den Bandinstrumenten. Manche Liedpassagen haben sogar härtere Rockklänge und verschwimmen in den Genres. Trotzdem gehört der teils blitzschnelle Sprechgesang zum Markenzeichen von Alligatoah. Nicht selten entdeckt man erst beim wiederholten Hören eine versteckte Spitze im Text, weil sie zuvor untergegangen war.

Umso erstaunlicher ist, wie textsicher das Publikum in Hannover die Lyrics mitsingt, als wären es simpel verfasste Schlagersongs. Es ist allerdings auch das mindeste, was man von den Fans in der Halle erwarten kann, nachdem mindestens in der ersten Hälfte des Konzerts sich kaum jemand zur Musik bewegt. Viel mehr entsteht der Eindruck, als würde die freche Minderheit, die durch ihr Getanze im Innenraum gelegentlich jemanden anrempelt, vom Rest komisch angeguckt. Erst zur brachialen Stampfnummer Fick ihn doch taut die Menge auf. Als später von Alligatoah zum Pogo aufgerufen wird, lässt sich der Stimmung nicht mehr vorwerfen, nicht da zu sein. Für die entsprechende Eskalation ist traditionell der Klassiker Es ist noch Suppe da zuständig. An folklorischem Ambiente fehlt es nicht. An anderer Stelle wird Über den Wolken angestimmt. Ein weiteres Lied wird mit der Melodie von My heart will go on gespielt.

Sprechchöre fordern eine Zugabe, die die Gäste auch bekommen sollen. Am Ende des Konzertes gehen zufriedene Gesichter aus der Veranstaltungshalle. Der Boden in den vorderen Reihen ist voll von Spuren eines guten Konzerts: etwas Dreck von draußen, zertretenes Grün eines in die Menge geworfenen Blunenstraußes, Zigarettenstummel von Leuten, die sich nach dem Suppen-Pogo erst mal eine Kippe anzündeten, und sogar ein Tampon.

Ja, Alligatoah ist irgendwie im Mainstream angekommen. Aber das macht nichts. Was gut ist, kann und muss sich nicht immer vor der Masse ducken.

Bildquellen

  • 14808005_1169179439869507_957510250_o: Matthias Jungnickel