The sun always shines on tv

Damit Sie auch morgen noch kraftvoll zusehen können – Product Placement im ZDF – The Sun Always Shines On TV

In Folge 40 seiner Fernsehkolumne hatte Mathias Mertens ZDF geschaut und eine Welt des Product Placements entdeckt (28. Oktober 2001)

Als man während der Werbepause von ran am Samstag herumzappte, konnte man im ZDF Zeuge einer bemerkenswerten Szene werden. In der Vorabendserie Unser Charlie, die mit einem Schimpansen in Kinderklamotten aufwartet, um Großeltern und Enkel gemeinsam vor dem Fernsehschirm zu vereinen, trug es sich zu. Man sah die Mutter in ein intensives Gespräch mit (wahrscheinlich, Fans der Serie könnten da gewiß Auskunft geben) ihrer Tochter verwickelt, als es an der Tür klingelte. Das Gespräch war so wichtig, daß auf dieses Klingeln erst einmal nicht reagiert werden konnte, außerdem trug Mutter noch einen Bademantel, es schien also früher Morgen zu sein. Nach einigen Sätzen wichtigen Fernsehsitcomdialogs, die entscheidende Information für das Verständnis der nachfolgenden Geschehnisse enthalten mußten, klingelte es zum zweiten Mal. Jetzt fiel der blau-gelbe Schemen hinter der Milchglaseingangstür endlich auf, und Mutter stapfte im Bademantel zur Haustür, nicht ohne noch eine weitere pädagogische Sentenz an ihre mutmaßliche Tochter loszuwerden. Vor der Tür stand der Briefträger, der freundlich grüßte und erzählte, daß er extra zweimal geklingelt habe, weil er doch ein Päckchen für sie habe und er ihr nicht zumuten wollte, daß sie es dann extra auf dem Postamt abholen müsse. Deshalb habe er so enervierend geklingelt, nur um ihr Unannehmlichkeiten zu ersparen. Die restliche Post hatte er auch noch dabei, in einem kleinen, ordentlichen Bündel, das er ihr in die Hand drückte. Mutter bedankte sich und schloß die Tür. Die Kamera blieb jetzt nocht ein bißchen draußen bei dem freundlichen Briefträger, folgte ihm zu seinem gelben Golf, der quer zur Tür geparkt war und verweilte ein wenig auf dem großen, deutlich lesbaren Schriftzug „Deutsche Post“. Erst dann verschwand der Bote aus dieser Geschichte.

Was soll daran bemerkenswert sein? Nun, vor allem, daß es eine groteske Verzerrung der Wirklichkeit ist. Briefträger kommen nicht morgens früh, wenn man noch im Bademantel auf dem Hausflur familiendiplomatische Verhandlungen führen muß, sondern um 14:20 Uhr, wenn es bereits zu spät ist, um auf dringende Sendungen noch zur rechten Zeit reagieren zu können. Außerdem klingeln Briefträger nicht ein zweites Mal, um ein Päckchen unbedingt zu übergeben und dem Empfänger damit den Weg zum Postamt zu ersparen. Sie drücken einfach auf einen Schlag die acht Klingeln aller Wohnparteien des Hauses, drücken dem Bewohner des Erdgeschosses das Päckchen in die Hand und fragen, ob er nicht die Sendung annehmen könne, er habe bei den anderen geklingelt, aber sie wären wohl nicht da. Alles das, während der Betroffene dieses Gespräch im dritten Stock mithört und vergeblich versucht, sich bemerkbar zu machen. In den allermeisten Fällen wird die orange Karte mit dem Vermerk „Sie können die Sendung werktags abholen, heute jedoch nicht.“ schon vorher geschrieben und einfach im Vorbeigehen in den Briefkasten geschmissen. Wozu klingeln und womöglich Treppen schreiben, wenn es doch so einfach geht. Pech hat man aber auch, wenn man wider Erwarten an einen pflichtbewußten Briefträger geraten ist, der die Büchersendung von Amazon (ohne vorher geklingelt zu haben) minutenlang in den zu engen Briefkastenschlitz hämmert, so daß man den ohnehin schon verbeulten Inhalt nur noch durch Herausschneiden aus dem Fach bekommt, dessen Klappe aber unwiderruflich zerbrochen ist. (Alle Angaben sind einer repräsentativen Stichprobe aus der Wittelsbacherallee 23 in Frankfurt im Jahr 2001 entnommen).

Gerade daß diese Szene die Wirklichkeit so grotesk verzerrt, deutet allerdings auf ihren wahren Charakter hin: Sie war ein Werbespot. Das erklärt auch die erzählerisch völlig unerheblichen Bilder vom Briefträger und seinem Auto mit der Deutsche Post-Aufschrift. Auch Schokoriegel werden nicht mit Bildern von Herzinfarkt-Patienten beworben, auch Kaffee wird nicht mit Aufnahmen von hypernervösen, aschfahlen Gesichtern bebildert. Stattdessen sieht man knackige Matrosen, die den Kummer über eine verheiratete Bekanntschaft mit einem Biß in die Zuckerbombe verlieren, oder joggende, basketballspielende Modedesignerinnen, deren Hand mit einer Kaffeetasse verwachsen scheint, weil sie von morgens bis abends in ihrer Yuppie-Welt Koffein in sich reinkippen müssen. Folglich wirbt auch die Deutsche Post-AG nicht mit tumben Päckchenvernichtern, sondern mit sensiblen, pflichtbewußten, sozial engagierten Frühaufstehern. Bei Werbung geht es ums Image, nicht um Inhalte. Bei Werbung also. Aber das war doch eine Fernsehserie. Huch! Wie konnte das denn passieren? Gibt es da nicht irgendeine Regelung, die den öffentlich-rechtlichen vorschreibt, wann und wieviel Werbung sie, wenn überhaupt, zeigen dürfen? Macht es sich gut, auf den ganzen Veranstaltungen über die Boulevardisierung und Kommerzialisierung des Fernsehens zu wettern und das solide und grundanständige Programm des eigenen Senders zu predigen, während man gleichzeitig einen versteckten Deal mit einem Unternehmen eingeht, deren prominentester Werbepartner zufällig der prominenteste Moderator des eigenen Senders ist? Muß man da jetzt von einem Skandälchen sprechen?

Gemach, gemach. So schlimm ist das nicht. Es ist sogar relativ harmlos. Denn es ist relativ, also in Beziehung zu anderen Sachen im ZDF gesehen, nicht weiter besonders, sondern reiht sich nur ein in eine gängige Praxis. Da gab es größere Knüller. Fernsehanalytiker Stefan Raab hat vor einigen Monaten in den Bildern zu einem Lied irgendeiner Supermegaknüllerhitparadenpotpurrie-der-Volksmusik-Sendung im ZDF die penetrante Einblendung des Warsteiner-Signets nachgewiesen. Mit derselben Frequenz, mit der das Ferrero-Küßchen-Zeichen in einem entsprechenden Werbespot des Hauses auftaucht, wurde hier der Warsteiner-Kreis eingeblendet. In immer tollkühneren Verrenkungen, bis hin zu einem finalen Anstoßen mit sechs Gläsern, die alle zufällig so gedreht waren, daß man das Zeichen sehen konnte. Wie einem das so im Wirtshaus eben passiert, wenn man gemütlich zusammensitzt. Ein anderer Fall waren die Kulturblöcke, die im Dezember 2000 in die heute-Sendung um 19:00 Uhr eingebaut waren. In der Vorweihnachtzeit wurde man mehrere Male auf Premieren und Weihnachtsvorstellungen der Berliner Theater hingewiesen, mit Datum und relativ konkreter Angabe der Adresse. Dasselbe wiederholte sich zwischen den Jahren, als das Silverster- und Neujahrprogramm der Berliner Bühnen angepriesen wurde. Warum nur Berlin? Warum nicht auch Hamburg, München, Köln oder beliebige andere Städte der Republik? Irgendjemand mußte doch auch da ein Interesse gehabt haben, in einer ZDF-Sendung jenseits der Werbeblöcke aufzutauchen, um viel seriöser rüberzukommen als diese ganzen Proletenfirmen, die Werbespots nötig haben. Vielleicht irgendjemand, der von damaligen Diskussionen über überflüssige Bühnen in Berlin betroffen war? Wir wissen es nicht.

Es ist aber auch im umgangssprachlichen Sinn nur relativ skandalös. Als Mediennutzer werden wir täglich mit hunderten von Werbebotschaften attackiert, die an unserem antrainierten Schutzschild abprallen und keinerlei Wirkung zeigen, da werden wir diese verschämten Mogeleien erst recht überstehen. Peinlich ist nur die Doppelmoral, die dabei zum Ausdruck kommt. Macht es doch einfach direkt, dann können wir die Werbung abhaken und uns auf den Rest konzentrieren. Das machen wir doch schon bei den Privaten, und sie selbst auch. Vielleicht ist die Werbebotschaft sogar eine relevantere Information für unser Leben als die durchschnittliche Politikeräußerung oder die Kursschwankungen irgend eines Nemax-Unternehmens. Daß Warsteiner ein leckeres Bier braut könnte mehr Einfluß auf unsere Lebensführung haben als die Pressekonferenz des Deutsche Bank-Chefs. Einen solchen Weg gehen bereits die RTL 2-Nachrichten. Hier wechseln sich Meldungen über die Bombardierung von Afghanistan mit Berichten über die Tournee der No Angels oder den Entzug von Backstreet Boys-Mitglied AJ ab. „Widerlich“, schreien Kulturkritiker und Intendanten von öffentlich-rechtlichen Sendern. „Boulevardisierung.“ „Kommerzialisierung.“ Vertrauen bei dieser Schelte aber darauf, daß Berliner Theater ja den Anstrich von Hochkultur haben, also etwas Ernsthaftes und damit Nachrichtenwürdiges haben, so daß die Zuschauer die strukturelle Gleichheit mit den Backstreet Boys nicht erkennen. Und übersehen dabei, daß es sich für die Zielgruppe des RTL 2-Programms tatsächlich um gleichwertige Nachrichten handelt.

Wie sehr das ZDF sich mit der Praxis des Product Placement und der versteckten Werbung identifiziert hat, es sich aber immer noch nicht eingestehen will, zeigte sich an einer heute-Sendung im Sommer. Der Aufmacher, wohlgemerkt, die allerwichtigste Meldung des Tages war dort, daß am folgenden Sonntag in der Sendung Berlin direkt ein Interview mit FDP-Chef Guido Westerwelle zu sehen war. Es ging um keine besonderen Statements, es gab keine brisante Lage, nein, es war einfach nur das stinknormale Standard-Sommerpauseninterview. Der Inhalt dieser Top-Meldung war also bloß, daß es ein Interview gibt. Komisch, daß die anderen Sender das nicht ebenfalls als Aufmacher in ihren Hauptnachrichten hatten. Wenn es doch sonst an diesem Tag nichts Wichtigeres gegeben zu haben schien. Oder kann es sein, daß es sich dabei gar nicht um eine Nachricht, sondern um einen Werbespot für das ZDF gehandelt hat, den das ZDF in einer Nachrichtensendung versteckt hatte? Ts, ts! So was macht man doch nicht!

Bildquellen

  • The sun always shines on tv: Mathias Mertens