The sun always shines on tv

The Sun always shines on TV: Guck mal wer da spricht – Das neue Gesicht beim heute journal

Von 2000 bis 2002 schrieb der Medienwissenschaftler Mathias Mertens die sonntägliche Kolumne The sun always shines on TV über das Fernsehen. Heute: Teil 13 (14. Januar 2001)

Wer redet eigentlich beim Fernsehen? Oder, besser, weil kommunikationstheoretisch formuliert, wer oder was beim Fernsehen ist der Sender der Botschaft, die bei uns, dem Empfänger, ankommen soll. Zyniker werden jetzt fragen, ob man sich denn sicher sei, daß überhaupt eine Botschaft übermittelt wird. Kritiker werden Namen wie Leo Kirch oder John de Mol nennen. Studenten der Medienwissenschaft werden altklug rezitieren, daß das Medium die Botschaft sei. Das mag alles stimmen, aber assoziiere ich das, was ich sehe, mit solchen Instanzen? Nein. Wenn ich solche Antworten gebe, dann befinde ich mich bereits außerhalb des Kommunikationsprozesses Fernsehen und habe die Zeit und die Möglichkeit, den Gegenstand zu überdenken. Währenddessen sieht es aber ganz anders aus. Auch wenn ich weiß, daß das Programm Verwaltungsrats- oder Wirtschaftsinteressen artikuliert, so benötige ich doch beim Gucken die Illusion eines Gegenüber, dem ich vertraue oder den ich ablehne, damit ich das Gesehene und Gehörte in irgendeiner Weise verorten und charakterisieren kann. Zu diesem Zweck sind Moderatoren da. Sie steuern ein Gesicht und eine Stimme zu Inhalten bei, die sie überhaupt nicht zu kennen brauchen.

Man mag sich über den Presserummel, den die Berufung von Marietta Slomka zur neuen Moderatorin des heute journals ausgelöst hat, amüsieren und den Printmedien wieder einmal Aufbauschen von Nichtigkeiten vorwerfen. Das würde jedoch von einem falschen Verständnis der Medienlandschaft zeugen. Denn, wie oben ausgeführt, erst kommt die Fresse, dann kommt die Moral. Das Fernsehen funktioniert überhaupt erst über die Gesichter. Und wenn man das Fernsehen als das Leitmedium unserer Gesellschaft anerkennt, dann ist die Frage, durch welches Gesicht hindurch die Inhalte fließen dürfen, von enormer gesellschaftspolitischer Wichtigkeit. Denn davon hängt ab, ob wir überhaupt bereit sind, uns informieren zu lassen, in welcher inhaltlichen Verzerrung auch immer.

In der letzten Woche konnte man erleben, wie die Kommunikation im Fernsehen tatsächlich stattfindet. Petra Gerster verhaspelte sich beim Ablesen des Teleprompters, setzte neu an, nur um wieder zu stocken. Hilflos sagte sie live den Satz „Es tut mir leid, aber mein Auto Cue springt hin und her!“, erst dann besann sie sich auf das Manuskript auf ihrem Tisch und kündigte an, daß sie es damit versuchen wolle. Die Fassade war durchbrochen und das Nachrichtenlesen als ein Vordergrund entlarvt, hinter dem die eigentliche Kommunikation stattfindet. Nämlich: Eine Fernsehmoderatorin vermittelt uns das Bild einer Fernsehmoderatorin und benutzt einen Nachrichtentext als Requisite. Die Sichtbarmachung der Mechanik durch ihre Offenheit gegenüber dem Publikum will sagen, daß man ihr nicht die Schuld geben soll, sie würde perfekt funktionieren und das soll man bitte anerkennen. Es läßt sich vergleichen mit dem Absingen von Weihnachtsliedern durch die Kinder an Heiligabend. Den Eltern ist es völlig egal, welche Lieder sie singen oder wie gut sie es tun, alles, was sie wahrnehmen, ist, daß sie es überhaupt tun, daß sie damit ihren Eltern Wertschätzung entgegenbringen.

Ein anderes Beispiel der vergangenen Woche zeigt noch viel direkter, daß es nicht auf den Text ankommt, sondern auf die schiere Präsenz, weil hier noch nicht einmal etwas gesagt wurde. In den Tagesthemen wurde ein Bericht über die Absage einer Ausstellung mit Buchheim-Bildern gesendet. Im Anschluß gab es einen der ARD-typischen, dem Länderproporz gehorchenden, Kommentare aus einem Länderstudio, diesmal von Georg Schmolz vom MDR, der auf den blühenden Rechtsradikalismus im Osten verwies, für den diese Absage ein weiteres Symptom sei. Und nun geschah es, daß Ulrich Wickert nach diesem Kommentar schwieg. Sehr lange. So ungefähr 3 Sekunden. Also ewig. Bis er dann schließlich sagte, daß es sich bei diesem Kommentar nicht um die Meinung der Redaktion handele. Vielleicht hatte er einfach noch nicht die rote Lampe an seiner Kamera, so daß er einfach wartete, und die Bemerkung war die Standardfloskel, die nach jedem Kommentar folgt. Draußen im Land kam jedoch eine Botschaft an. Einfach nur, indem er schwieg. Peter Michalzik mußte dieses Schweigen in der Frankfurter Rundschau dann auch als ein „Echauffieren“ charakterisieren. Wohlgemerkt, ein Schweigen.

Ganz ähnlich konnte Tagesschau-Sprecherin Susanne Daubner vor einigen Monaten an Popularität gewinnen, als sie einfach nichts tat. Während sie im Frühstücksfernsehen die Nachrichten verlas, erschien plötzlich hinter ihr ein Mann von der Reinigungsfirma, sagte „Guten Morgen“ und verließ das Bild wieder. Susanne Daubner las weiter, als wäre nichts geschehen. Mit einem Schlag war sie eine Persönlichkeit. Weil sie sich weiter der Fassade unterworfen hatte, obwohl die Umstände doch diese Fassade gerade zerstörten. Insofern war das Festhalten an der Fassade plötzlich ein gänzlich anderer Kommunikationsvorgang, eine völlig andere Botschaft. Susanne Daubner war jetzt interessant, weil sie uns etwas zu sagen gehabt hat in diesem Moment. Für kurze Zeit war sie sogar ebenso preiswürdig wie weiland Günter Jauch und Marcel Reif, die 90 Minuten lang ein durch ein umgekipptes Tor nicht stattfindendes Fußballspiel kommentiert hatten.

Um endlich noch einmal auf Marietta Slomka zurückzukommen: Auch bei ihrer Berufung läßt sich ablesen, daß es nicht um etwas Inhaltliches im klassischen textuellen Sinn geht. Der Wirbel, den sie auslöst, hat nämlich nichts mit ihrer Art zu tun, Nachrichtentexte zu verfassen und vorzutragen. Dafür hat sie auch noch zu wenig Zeit gehabt. Das Hauptthema war, daß sie eine Frau ist. So banal das klingen mag, weil sie diese Tatsache ja mit ca. 52% der Weltbevölkerung teilt, so botschaftsträchtig ist das im Umfeld des heute journal. Zwar gab es vor Urzeiten Ingeborg Wurster, deren Bild wurde allerdings von einer knorrigen Männerriege verdrängt, die seitdem dem Journal sein tränensackiges, halsfaltiges Gesicht verliehen haben. Siegmund Gottlieb, Peter Voß, Eberhard Piltz, Wolf von Lojewski oder zuletzt Alexander Niemetz setzten den Standard für gut abgehangene journalistische Kompetenzausstrahlung. Als schmückendes Beiwerk daneben immer Vorlesefrauen wie Nina Ruge, Gundula Gause oder Anja Wolf, die dadurch an Profil gewann, daß sie heiratete und fortan Anja Charlet hieß. Eine Frau nun zur Hauptmoderatorin zu machen, kommt einem Paradigmenwechsel gleich. Man hatte die Zuschauer zwar schonend vorbereitet, indem Anja Charlet auch mal Aufwiedersehen sagen durfte und zuletzt sogar die Börsenschalte moderierte, aber sie hatte das Glück, Wolf von Lojewski dienlich zu sein, Gundula Gause bei Alexander Niemetz mußte sich immer noch der alten patriarchalen Ordnung fügen.

So löblich es angesichts dieses jahrelangen Chauvinismus ist, nun endlich eine Frau zu nehmen, so angreifbar ist es auch durch diese Vergangenheit geworden. Denn nun ist Marietta Slomka die politische Besetzung. Sie ist abgestempelt als die, die nur heute journal-Moderatorin geworden ist, weil Chefredakteur Nikolaus Brender verzweifelt nach einer Frau gesucht hat, die frei ist. Und, die durch ihr Alter von 31 Jahren (auch das prinzipiell löblich) den Chauvinismus eher noch bestätigt. Dürfen Männer nach langer Korrespondententätigkeit ihre Karriere unbefristet mit einer solchen Tätigkeit krönen, so müssen Frauen ganz früh ran, wenn sie überhaupt noch einige Jahre auf dem Fernsehschirm verbringen wollen, denn die biologischen Wechseljahre werden auch mit beruflicher Unfruchtbarkeit gleichgesetzt, was zu einer schnellen Entsorgung ins Nachmittagsprogramm oder in den Ruhestand führt. Anders ist es nicht zu erklären, warum eine so verdiente Sprecherin wie Brigitte Bastgen nicht das heute journal moderieren darf. Nach dem Austausch des heute-Teams verschwand sie einfach. Sie darf noch nicht einmal die neuen Stars Klaus-Peter Siegloch oder Petra Gerster vertreten, wenn diese unpäßlich sind. Für diesen Zweck hat man ja immer noch den bedeutend älteren Claus Seibel.

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  • The sun always shines on tv: Mathias Mertens