Einfach mal andere den Wein aussuchen lassen

Beim Projekt Winewichteln tauschten bereits im siebten Jahr über 2000 Weinprofis und -liebhaber handwerklich gut gemachte Weine mit Fremden

Der Name täuscht: Das Projekt Winewichteln spielt sich nur zum Teil in der Vorweihnachtszeit ab. Das Tauschkonzept des Wichtelns bildet zwar den saisonalen Rahmen dafür, einem wildfremden Menschen eine Flasche Wein zu schicken – und dafür von einem anderen Fremden eine zu erhalten. Es entfaltet sein Potenzial aber erst nach dem Trubel der Feiertage, wenn wieder genug Ruhe fürs Entkorken von Unvorhergesehenem eingekehrt ist.

Die Idee, die einige Autoren des Weinblogs Drunkenmonday seit sieben Jahren über eine Facebook-Gruppe bewerben und mit einem ehrenamtlichen Team umsetzen, macht inzwischen über 2000 Teilnehmer vor allem aus dem deutschsprachigen Raum neugierig. Für Hersteller hat guter Wein viel mit Konzepten und Ideen zu tun, mit Sorgfalt und Handwerk. Für Konsumenten hingegen geht es oft genug um glückliche Zufälle, um Situationen, Zusammenhänge, Timing und Empfehlungen.

Wein verkauft sich über Geschichten

Das Entdecken von Wein hat nur wenig mit richtig oder falsch zu tun, sondern eher mit Individualität. Längst ist das vor allem im Einzelhandel kein Geheimnis mehr: Wein verkauft sich über Geschichten – und die stecken hinter jeder Region, jeder Person, jeder Herangehensweise und jeder Überzeugung. Um solche Geschichten geht es auch bei Winewichteln, verbunden mit dem Glauben an Wein, der mit Anspruch, Leidenschaft und Kreativität hergestellt wird, vor allem auf kleinen Weingütern, oft mit Familientradition.

Viele Teilnehmer des Projekts haben Verbindungen zur Branche, sind Winzer, Händler oder Journalisten. Andere haben einfach nur Spaß an Wein. Jeder verschickt einen Wein, dessen Qualität und Hintergrund ihn persönlich überzeugen, was auch immer das bedeuten mag. Das Spannende ist die fremde Perspektive: Was mögen andere, was interessiert sie, worauf würde man selbst nicht kommen? Winewichteln ist eine Wette, ein Loskauf.

Im schlimmsten Fall erhält ein Teilnehmer gar keinen Wein, weil sein zugeloster Versender seinen Teil der Abmachung nicht einhält. Im besten Fall erhält er eine Horizonterweiterung, etwas Überraschendes. Der Wein, den ich im Dezember verschickt habe, hatte mich zuvor selbst überrascht. Sein Name sagt bereits viel über die Philosophie des Winzers: Perpedes hat ihn Alfred Moritz genannt, übersetzt also zu Fuß. Moritz übernahm sein Weingut in Horitschon, im Osten des österreichischen Burgenlands, vor 16 Jahren als Quereinsteiger von den Eltern.

Bereits zwei Jahre später stellte er auf biologische Bewirtschaftung um. Er betreut seine nur drei Hektar außer in der Weinlese zumeist alleine. Bei einer Jahresproduktion von etwa 15.000 Flaschen hat er jede einzelne davon selbst mehrfach in der Hand, zum Beispiel beim Bekleben mit Etiketten aus Filz. Wie die meisten seiner Weine ist der Perpedes ein Blaufränkisch von über 50 Jahre alten Rebstöcken, die auf lehmigem Boden wachsen.

Moritz greift so wenig wie möglich in die Entwicklung seiner Weine ein, lässt sie ohne die Verwendung von Reinzuchthefen spontan vergären, setzt nichts hinzu und korrigiert nichts. Er lässt sie in Fässern aus heimischen Hölzern reifen, der Perpedes von 2019 lagerte in Eichen-, Kastanien- und Akazienholz. Das macht den fertigen Wein ein wenig rauchig, dabei aber weich und warm. Es ist ein purer, ehrlicher Wein, dessen intensives Aroma nach eingelegten Kirschen von Gewürzen wie Nelke und Zimt umspielt wird.

Gedankenreise mit Wein

Mein Wichtelpendant erhalte ich kurz vor Weihnachten. Es ist ein Weißburgunder Sonnenmorgen trocken 2019 vom Weingut Lindenhof aus Windesheim in der Nähe von Bad Kreuznach. Für mich ein mehrfacher Geheimtipp: Weißburgunder kaufe ich selten, ich kenne wenig Wein aus dem Anbaugebiet Nahe und vom mit zehn Hektar ebenfalls eher kleine Familienweingut, das Martin Reimann vor einigen Jahren von seiner Familie übernahm, hatte ich bislang noch nie gehört.

Umso größer die Überraschung, dass der Weinführer Gault&Millau schreibt: „Es gibt in Deutschland vielleicht keinen zweiten Winzer, der sich so sehr um Weißburgunder bemüht.“ Ab und zu fährt Reimann nach Frankreich, um herauszufinden, wie den Kollegen elegante, klare Weine gelingen. Von dort hat er auch das Konzept mitgebracht, Erträge zu reduzieren, sich auf Wesentliches zu konzentrieren. Reimann hat sogar den Grauburgunder in den Familienweinbergen gerodet: „Ich mag keinen Grauburgunder, also mache ich keinen“, sagt er.

Der Weißburgunder Sonnenmorgen reift zu einem Viertel in Holzfässern. Das verleiht ihm Länge und Komplexität, einen sahnigen Auftakt mit gelben, reifen Früchten und einen Abschluss mit knackiger Säure und grünem Apfel. Dazwischen wirkt er fein und balanciert, mit hervorragend eingebundenen Holznoten. Es ist ein kraftvoller Wein – nicht nur, weil er mit 13,5 Volumenprozent genau so viel Alkohol enthält wie der rote Perpedes von Moritz. Und er macht tatsächlich Lust auf Weißburgunder.

Winewichteln erlaubt nicht nur neue Erfahrungen beim Verkosten, sondern bietet auch eine breite Plattform für Empfehlungen und Austausch. Viele Teilnehmer veröffentlichen den Inhalt ihrer Pakete in der entsprechenden Gruppe auf Facebook, kommentieren und diskutieren ihre Erfahrungen mit dem Projekt. Auf Fotos werden ungezählte Überraschungsflaschen gezeigt: ein etwas anderer, sehr assoziativer Weinführer, eine Gedankenreise durch eine unendlich wirkende Welt unentdeckter Möglichkeiten.

Bildquellen

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