Depressive Tage

Wenn das Leben wie ein Klumpen an dir hängt. Unsere Autorin über depressive Tage.

Ich hatte früher viele depressive Tage. Tage, an denen sich das Leben in schweren Klumpen an die Glieder hängt und alles zur Arbeit wird. Essen, Waschen – Arbeit. Anziehen, Emails, Telefon – Arbeit. Ich hatte früher viele Tage, an denen ich gesagt habe: Morgen wird alles besser. Wenn ich nur aufstehen könnte. Ich habe nicht mehr so viele dieser Tage, aber sie kommen und gehen wie die Bauarbeiter im Winter auf der Straße, die manchmal mit ihren Geräten dröhnen und mir fast den Kopf zerschmettern. Das ist eine schlechte Metapher, es sind bloß grade Bauarbeiter draußen und das Dröhnen zerschmettert mir fast den Kopf.

Heute ist einer dieser Tage, an denen das Leben in schweren Klumpen an mir hängt. Ich weiß nie, wann sie kommen. Ich war früh wach, bereit für Vorlesungen um acht, Kaffee getrunken, Frühstück gegessen, ein bisschen noch rumgesessen. Dann kam die Schwere. Ich saß auf dem Sofa und beobachtete die Zeit. Wenn ich jetzt losfahre komme ich noch pünktlich. Wenn ich jetzt losfahre verpasse ich nur den ersten Block. Ich schaute zu, wie alles schwerer wurde und dachte, wenn ich jetzt aufstehe, kann ich diesen Tag vielleicht noch abwenden und die Schwere noch abschütteln. Dann: Wenn ich jetzt losfahre komme ich pünktlich zur zweiten Vorlesung und ich muss. Ich muss doch hingehen, ich muss doch in der Vorlesung sitzen, denn später ist noch Tutorium und dann noch Nachhilfe und ich muss doch wollen, ich habe es mir doch ausgesucht. Ich werde abgehängt. Wieso studiere ich eigentlich noch in meinem Alter?

Heute ist einer dieser dunklen Tage, an denen draußen der Himmel strahlt und die Sonne hell ist und ich sehe, wie dreckig meine Fenster sind. Meine Tageslichtlampe in der Ecke ist noch an, weil ich wach wurde, als es noch dunkel war und seit dem das Sofa nicht verlassen habe. Die Lampe habe ich mir mal gekauft, um nicht so depressiv zu sein wegen der Dunkelheit. Heute scheint mir die helle klare Wintersonne durch das dreckige Fenster aufs Gesicht.

Immerhin kannst du noch Texte schreiben

Ich habe gelernt, wenn ich mich so fühle, muss ich rausgehen. Mir was Gutes tun, vielleicht frisches Gemüse kaufen und Salat essen. Ich esse gerne Salat. Ich sollte joggen gehen. Ich sollte meditieren. Ein Glas Wasser trinken. Zähneputzen. Duschen. Draußenkleidung anziehen. Ich sitze auf dem Sofa und habe etwas auf der Facebook-Seite der AfD kommentiert. Ab und zu sehe ich, zwischen den YouTube-Videos, meine eigene Reflektion im Bildschirm und mir gefällt nicht was ich sehe. Die AfD hat mir noch nicht zurück geschrieben. Warten, dass die AfD mir schreibt.

Ich schreibe einer Freundin: „Ich bin heute depressiv. Ich habe keine Lust dazu. Ich glaube, die Heilung ist es, öfter an einer Blume zu riechen, aber alle Blumen sind so weit weg.“ Sie schickt mir ein Foto von Blumen, die sie sich letztens gekauft hat um weniger depressiv zu sein. Immerhin kannst du noch Texte schreiben, sagt sie mir. Ich bin ganz aus dem Häuschen, sage ich. Immerhin kannst du noch Lieder schreiben, sage ich zu ihr. Vielleicht ist das der depressive Genius von dem immer alle reden, sagt sie mir. Klasse! Ich schicke drei Zwinkersmilies und schreibe „immer positiv denken“. Ich bin so froh, dass ironische Distanz zu meinen Emotionen auf keinen Fall eines meiner Probleme sein kann. Das wäre sonst echt blöd.

Ich werde Kaffee machen. Ich will nichts essen, nichts trinken, kein Wasser, keine Brause. Doch alles mit Koffein und Alkohol geht runter wie – naja, Rauschmittel in einen depressiven Kopf. Ich blicke auf das aufgeschlagene Buch vor mir auf dem Tisch. Es heißt Happiness. Geschrieben von einem französischen Buddhisten. Es ist ein tolles Buch. Glücklichsein kann man lernen, man muss es bloß üben. Vielleicht habe ich bloß Muskelkater vom ganzen Üben. Das Buch ist mir grade scheißegal. Scheiss auf Meditieren. Scheiß auf mindful contemplation. Scheiß doch drauf.

Es sitzt hier mit mir auf dem Sofa, der Teil, der das Leid will. Nicht auf diese gesunde „Ich nehme alles an und gebe meinen Emotionen Raum“-Weise, sondern auf diese „Unternimm alle Maßnahmen, damit es dir bloß nicht besser geht“-Weise, die (so habe ich letztens überraschend erfahren) nicht jeder kennt. Der Teil, der irgendwo in der Leere sitzt und will, dass alles, alles leer ist. Nicht buddhistisch leer. Sondern ausgehöhlt. Tot. Dass die Leere mir bis in die Kehle steigt und ich nicht mehr atmen kann, weil da zu viel Nichts ist. Der Teil, der zu viel trinkt. Der Teil, der zu viel raucht. Der Teil, der jede Ausflucht dankend validiert. Der Teil, der alles was sonst wichtig ist verdrängt und in den Schatten treten lässt, sodass man gar nicht mehr weiß, was es eigentlich war, was man tun wollte und wieso man überhaupt etwas tut. Ob es nicht besser wäre einfach abzubrechen – egal was. Das ist der Teil, den man nicht gerne anguckt, weil er zugleich den leisen Zweifel sät, ob man nicht selbst daran schuld ist, dass man depressiv ist. Was soll die schönste Therapie, wenn man keine Lust dazu hat? Was soll der schönste Text, wenn man keine Lust hat weiterzuschreiben.

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  • living-on-the-edge-844873_1920: Pixabay

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