Facebooks Imagekampagne: Mache Facebook zu deiner Filterblase

Es heißt, die Facebook-Nutzung erzeuge Filterblasen und Echokammern. Facebooks große Algorithmus-Änderung im Jahr 2017, die bis heute nachwirkt. Und die aktuelle Werbekampagne scheint das zu bestätigen.

„Es gibt einfach zu viele inhaltslose Unterhaltungsvideos.“ Das ist die Kritik einer jungen Frau an Facebook. Dargestellt wird diese Kritik in Form eines Werbeplakats, das Bestandteil von Facebooks Anzeigenkampagne Mache Facebook zu deinem Facebook ist, mit der das soziale Netzwerk seit geraumer Zeit versucht, das Vertrauen der deutschen User zurückzugewinnen. In Anbetracht von Datenschutzskandalen und Hate Speech litt Facebooks Ansehen hierzulande.


Ich persönlich schenkte Facebooks Imagekampagne bisher nicht weiter Beachtung. Die Probleme, die auf diesen Plakaten angesprochen wurden, schienen für mich persönliche Ärgernisse im Umgang mit der Plattform zu sein: Ich weiß nicht, welche Posts mein Chef oder Fremde sehen können! Ich will nicht die Foodporn-Bilder meiner nervigen Freunde sehen müssen! Ich weiß nicht, wie ich alte, peinliche Einträge von mir löschen kann! – usw. usf.

Aus meiner Sicht First-World-Probleme, bei denen ich mir denke: Wo ist das Problem? Dann poste doch nicht so viel Mist von dir oder lerne endlich, mit den Konto-Einstellungen umzugehen! Oder noch besser: Dann lösch doch einfach deinen Facebook-Account!

Neue Dimension

Doch die Kritik an den „vielen inhaltslosen Unterhaltungsvideos“ besitzt für mich eine neue Dimension. Denn während sich die bisherigen Probleme aus dem Umgang mit Facebook selbst ergaben, zielt Facebook hier auf einen Aspekt ab, der gar nicht in seinem Verantwortungsbereich liegt: Inhalte, die von facebookfremden Medienunternehmen auf dem sozialen Netzwerk bereitgestellt werden.

Dieser Umstand beschäftigt mich aus zweierlei Gründen. Zum einen bin ich selbst bei einem solchen Medienunternehmen angestellt, dass „inhaltslose Unterhaltungsvideos“ produziert und u.a. auf Facebook vertreibt. Das heißt, für mich meine Kollegen und meinen Arbeitgeber stellt sich die Frage, wie wir mit Facebooks Haltung gegenüber externen Inhalten umgehen sollen. Da dies aber eine betriebsinterne Herausforderung darstellt, kann und soll hierauf nicht weiter eingegangen werden.

Weitreichender ist aus meiner Sicht ohnehin der zweite Grund, der über die Strategie einzelner Unternehmen hinaus reicht, betrifft er doch den Medienkonsum im Allgemeinen.

Mach Facebook zu deinem Internet

Dazu muss man vorab wissen, dass Facebooks Strategie darin besteht, möglichst verhindern zu wollen, dass die User das Internet außerhalb Facebooks erkunden. Sie sollen auf dem sozialen Netzwerk bleiben, damit dieses von ihren Daten und den dortigen Werbeeinblendungen profitiert. Vor allem im asiatischen Raum geht diese Strategie auf, da Facebook dort quasi als das Internet selbst wahrgenommen wird.

Im Gegensatz dazu besteht der – zumindest aus Sicht meiner Arbeit – wichtigste Aspekt in der Beziehung zwischen Medienunternehmen und Facebook darin, die User auf die eigene Webseite zu locken, um mit den dortigen Werbeeinblendungen selbst Geld zu verdienen.

Um dem entgegenzuwirken, änderte Facebook 2017 seinen Algorithmus. Seitdem sind die Inhalte von Medienunternehmen im Newsfeed der User weniger stark präsent. Mein Arbeitgeber ist bei weitem nicht das einzige Unternehmen, das mit der Beschneidung der Reichweite zu kämpfen hatte und nach wie vor kämpft. Laut einer großangelegten Analyse des Onlinebranchendienstes Meedia verlor zum Beispiel die Bild, die größte deutsche Medien-Page, im Oktober dieses Jahres 51,7% der Likes, Reactions, Shares und Kommentare, die sie noch im Oktober 2017 mit ihrer Facebook-Seite erreicht hatte. Der Interaktions-Verlust des deutschen Buzzfeed-Ablegers liegt für denselben Zeitraum sogar bei 95,6%.

Facebooks Daumenschrauben

Facebook begründete die Änderung des Algorithmus mit Nutzerwünschen und der Rückkehr zur Ursprungsidee des Sozialen Netzwerkes in Form sozialer Interaktion zwischen Freunden. Man darf aber davon ausgehen, dass damit auch gegen das Baiting vorgegangen werden sollte, um sicherzustellen, dass den Usern keine Posts bzw. Links angezeigt werden, die sie auf externe Webseiten führen. Außerdem hat Facebook nun die Möglichkeit, die Anbieter von Inhalten dazu zu nötigen, sich ihren Platz im Newsfeed zu erkaufen.

Selbst bei Einhaltung formaler Kriterien, wonach die Headlines und Thumbnails der Posts clickbaitfrei zu gestalten sind, stellt aus Sicht der Medienschaffenden leider keine Garantie dar, in Facebooks Gunst und damit im Newsfeed selbst wieder zu steigen. Mein Arbeitgeber bekommt dies nach wie vor zu spüren. Zum einen ist der Algorithmus diesbezüglich zu komplex und bemisst aller Wahrscheinlichkeit nach weitaus mehr als nur die Gestaltung der Bilder und Überschriften, zum anderen stellt sich die Frage, inwiefern Facebook darüber hinaus selbst Kategorisierungen vornimmt und damit quasi gewisse Medien „bevorzugt“ oder weiter einschränkt.

Filterblasen und Echokammern

Tatsächlich konnten in den 12 Monaten nach der Algorithmus-Änderung seriöse, renommierte Medien wie der Spiegel oder die Tagesschau ihre Interaktionen auf Facebook steigern. Daneben werden in erster Linie Videos als Posting-Form abgestraft. Es scheint also, dass aktuell lediglich gegen die eingangs erwähnten „inhaltslosen Unterhaltungsvideos“ vorgegangen wird. Damit würde im Grunde den Nutzerwünschen entsprochen und das Thema bräuchte mich nicht weiter beschäftigen, so wie mich all die kleinen Problemchen mit Facebook schon vorher nicht weiter beschäftigt haben.

Jedoch sehe ich in Facebooks Verhalten gegenüber Medienunternehmen und die Sensibilisierung der User in Form dieser Werbekampagne die Gefahr, die berühmt-berüchtigte Filterblase und Echokammer, von der im Rahmen der Facebook-Nutzung die Rede ist, weiter zu begünstigen. Denn was bis jetzt noch „inhaltlose Unterhaltungsvideos“ trifft, kann prinzipiell jede Form von Inhalt auf dem sozialen Netzwerk treffen.

Auf der unteren Hälfte des eingangs zitierten Plakates steht zu lesen: „Du entscheidest, was du auf Facebook sehen willst. Beiträge, die dir nicht gefallen, kannst du einfach verbergen und siehst dann weniger ähnliche Beiträge.“ Bezieht sich das einzig auf „inhaltslose Unterhaltungsvideos“? Das Gefallen oder Nicht-Gefallen kann für stumpfsinnige Entertainmentvideos ebenso gelten wie für die Berichterstattung bestimmter Nachrichtenplattformen. Es klingt eher nach eine Aufforderung, sich eine eigene Filterblase zu schaffen.

„Die Schatten der Geräte“

Die Außenwelt aussperren; Inhalte, die die bereits bestehenden Interessen und Ansichten des Users bedienen; eine (Selbst-)Bestätigung der bestehenden Interessen und Ansichten durch die Peergroup in Form der Freunde und durch die ausbleibende Darstellung alternativer Inhalte: Facebook macht auf mich den Eindruck, bewusst oder unbewusst den Blick des Users über den Tellerrand hinaus einzuschränken oder zumindest nicht zu fördern. Es scheint, als hätte Platons Höhle ihr digitales Äquivalent gefunden.

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