Anatomical Man

Finde jetzt raus, welcher große Denker Du bist!

Mika Doe hat Horoskope ausprobiert und verzweifelt an der Frage: Welche Celebrity bin ich eigentlich? Und wenn ja wie viele? Und muss es P.T. Barnum sein?

Tut mir leid, ich weiß das eigentlich nicht, aber ich kann dir sagen, wer du mit großer Wahrscheinlichkeit nicht bist: Wernher von Braun. Dein Seelenverwandter Celebrity ist auch nicht Hitler und ganz egal, was du ankreuzt, die Antwort auf welches Gemüse du bist, wird niemals sein: „Du bist Rosenkohl – Du bist bitter und ekelhaft und Deine Angehörigen akzeptieren Dich nur, um Oma einen Gefallen zu tun.“

Viel eher bist du so: Neugierig, auch wenn du manchmal Angst hast, dass deine Interessen dich von wichtigen Pflichten abhalten. Du bist aufopferungsfähig und möchtest, dass dein Umfeld sich wohl fühlt. Trotzdem genießt du es, Zeit für dich allein zu haben.

Genauso mag es zwar vorkommen, dass eine Zeitschrift statt des Horoskops einen Blindtext druckt, aber es wird niemals drin stehen:

„Ihr Bruder Jonas nervt Sie mal wieder mit seiner paranoiden Art. Jupiter und Uranus wollen Ihnen sagen, dass Sie endlich aufhören müssen ihm Geld zu klauen und Mars im dritten Haus lässt darauf schließen, dass Sie ein furchtbarer, furchtbarer Mensch sind.“

Natürlich steht da eher was von Potential und Chancen, von auf-sich-selbst-achten und einen klaren Kopf bewahren (auch wenn die Umstände es schwierig scheinen lassen). Ich kann dir deshalb sagen, wer du bist und was in deinem Horoskop steht, weil ich genauso bin und weil dieselbe Grütze in jedem Horoskop der Welt steht.

Wir alle wissen all das (hoffentlich) und doch haben diese generalisierten Aussagen eine Anziehungskraft. Mit den unzähligen Persönlichkeitstests im Internet hat es das Ironisch-Bravo-Lesen-Teste-mich-ich-Teste-Dich Syndrom in unsere Timelines geschafft.

Bei all diesen Onlinetests habe ich Folgendes erfahren: Ich bin C3PO, Phoebe Buffay und Rupert Giles. In meinem vergangen Leben war ich Harvey Milk. Ich bin 75% North Carolina und vermutlich ein 20-jähriger, männlicher Teenager und ich gehöre -je nach Test- in die 90er oder 60er Jahre.

Ich beschäftige mich gerne mit den Fallstricken der generalisierten Selbst-Validierung durch Online-Tests und doch erwische ich mich immer wieder dabei, wie ich ernsthaft über meine Antworten nachdenke und die Ergebnisse auf ihre Richtigkeit prüfe. Dabei komme ich nicht selten zu dem Schluss, dass es stimmt, was mir da vorgesetzt wird. Das ist mir zwar ein bisschen peinlich, aber ich bin damit nicht allein. Das wunderbare an diesem Phänomen ist, dass es schon lange einen Namen hat.

A Little Something for Everybody

Der Effekt, allgemeingültige Aussagen auf uns selbst zu beziehen, nennt sich Barnum Effekt (auch Forer Effekt). Wir finden ihn in Horoskopen, beim Handlesen, beim Kommunizieren mit Geistern oder eben bei Persönlichkeitstests. Benannt ist dieses Phänomen nach dem ersten großen amerikanischen Showmaster P.T. Barnum. Mitte des 19. Jahrhunderts verursachte er einen Urknall der Unterhaltung und lieferte Erlebnisse für eine Gesellschaft, deren Identität noch in der Entstehung begriffen war. In seinem American Museum (im Grunde ein Kuriositätenkabinett mit Bildungsbehauptung) gab es laut seiner Aussage „A little something for everybody.“ Nach diesem Prinzip funktionieren auch Persönlichkeitstests. Vage, und meist positive Formulierungen, lassen uns glauben, jemand habe tatsächlich unseren Charakter beschrieben. Unpassendes wird schnell ausgefiltert (das nennt sich dann Confirmation Bias) und so bleibt am Ende ein Eindruck von einer positiven Beschreibung unserer selbst, die wir nur allzu gerne glauben, weil wir ihr ein gewisses Maß an Objektivität zuschreiben.

Natürlich ist der Effekt viel älter, als Barnum selbst. So verdiente zum Beispiel Johannes Kepler (der die Planetenbahnen berechnete) seinen Unterhalt auch mit dem Schreiben von Horoskopen für böhmische Herrscher. Bezahlung kann nicht der einzige Beweggrund gewesen sein, denn es sind auch Horoskope für seine Kinder und für ihn selbst überliefert. Im 17. Jahrhundert gab es noch keine klare Trennung von Astronomie und Astrologie und Kepler betrachtete beides durchaus als Wissenschaft. Gleichzeitig beschreibt er in der Weltharmonik (1619) eine absurde Dimension von der Auslegung der Himmelszeichen.

„Ich schreibe aber dem Himmel nicht die Leitung menschlicher Dinge zu. Meine philosophische Beobachtung ist himmelweit entfernt von jener Torheit, wenn man nicht lieber Verrücktheit sagen will. […] ich kenne eine Frau, die unter den gleichen Aspekten geboren ist. Sie ist von sehr unruhigem Geist, erreicht damit aber nicht nur nichts auf wissenschaftlichem Gebiet (was bei einer Frau nicht verwunderlich ist), sondern bringt auch ihre ganze Gemeinde in Aufregung und ist sich selber Urheberin beklagenswerten Elends.“

Diese Frau besitzt also -laut Kepler- genau wie er einen „unruhigen Geist“; das sagen auch die Sterne. Was sich bei ihm allerdings im Forscherdrang äußert, zeigt sich bei ihr in Hysterie. Hier zeigt sich, wie schnell die generalisierten Aussagen in sich zusammen fallen, sobald sie um nur wenige Details ergänzt werden.

Der Witz ist: Horoskope gehören schon seit langer Zeit in den Bullshit-Kanon und sind von hinreichend als Pseudowissenschaft klassifiziert. Zwar gibt es immer wieder traurige Beispiele von zerstörten Existenzen, die auf Scharlatanerie hereinfallen aber die Wissenschaft beschäftigt sich nicht mehr damit. Der Käse ist gegessen. Nicht ganz so gegessen sind allerdings Persönlichkeitstests. Hier kommt eine deutlich ernstere Komponente ins Spiel, denn wissenschaftlich zweifelhafte Testverfahren werden immer noch zur Diagnose von psychischen Störungen, bei Jobbewerbungen oder in amerikanischen Gerichtsverfahren eingesetzt. Das entspricht ungefähr einem Szenario, in dem dein Horoskop dafür verantwortlich ist, dass dir das Sorgerecht für deine Kinder entzogen wird.

Der Barnum-Effekt ist also quicklebendig. Testergebnisse, in denen ein bisschen was für jede und jeden von uns vorkommen haben nichts von ihrer Anziehungskraft verloren. Es ist umso passender, dass dieses Phänomen nach einem der ersten großen Unterhalter benannt ist. Denn wenn ein Persönlichkeitstest nicht ausgerechnet dazu eingesetzt wird, uns in eine Schublade zu stecken, die unser weiteres Leben bestimmt, tun sie vor allem eines: sie unterhalten.

Mit derselben Haltung, die wir einnehmen, wenn wir einem Zauberer zusehen, wie er ein Kaninchen aus dem Hut zieht, wollen wir wissen welchen Beruf wir eigentlich hätten haben sollen. Wir wollen unsere Erwartungen abgleichen, obwohl wir wissen, dass es eigentlich Quatsch ist. Der Zauberer kann nicht wirklich zaubern und ein Online Test ist nicht wirklich eine akkurate Beschreibung unsrer selbst. Trotzdem wollen wir all unseren Freunden und Freundinnen mitteilen, dass wir auf jeden Fall hätten SchriftstellerIn werden sollen. Ich, für meinen Teil, bin glücklich damit Rupert Giles zu sein.

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