The sun always shines on tv

I am what I am – Fachsimpel im Fernsehen – The Sun Always Shines On TV

Das Experteninterview ist ein Klassiker der Fernsehästhetik. Mathias Mertens erläutert, wieso gerade dieses für den Zuschauer nutzlos und für den Experten enttäuschend ist. (21. April 2002)

Eine der schönsten Stilblüten des Fernsehens ist der sogenannte „Experten-O-Ton“. Zur Vertiefung eines 1:20 min-Berichts in Tagesschau, heute journal oder RTL Aktuell sieht man zumeist studierte Leute, am besten versehen mit einer im Insert verwendbaren institutionellen Position wie Professor am Institut für Diesunddas, Vorsitzender des Vereins Soundso oder Geschäftsführer des Unternehmens Ixüpsilon. Nur im absoluten Notfall gehen auch Journalisten oder Buchautoren, aber gottseidank gibt es genügend mit akademischer Petersilie geschmückte Existenzen, die man eben wegen dieses Schmucks für den Bericht verwenden kann. Allerdings ist das Ergebnis äußerst irritierend. Das Maß an Irrelevanz und Plumpheit der Aussagen würde man nämlich noch nicht einmal dem berühmten Mann von der Straße zutrauen.

Nehmen wir ein typisches Beispiel. Da hat ein Fernsehsender für einen unmoralisch hohen Geldbetrag die Ausstrahlungsrechte an einem populären Science-Fiction-Film erworben. Um die Zuschauerzahlen in die Höhe zu treiben und dadurch das Geld einigermaßen wieder reinzukriegen, wird im Vorfeld nicht nur Werbung für den Sendetermin gemacht, sondern es werden auch formell nicht damit zusammenhängende seriöse Berichte in den Magazinen und Nachrichten des Senders gemacht. Das hat dann so dringende Anlässe wie „Heute vor 102 Jahren wurde der Filmtrick erfunden“ oder „Heute ist der 86. Todestags des Kameramanns des ersten Science-Fiction-Films“ oder „57 Jahre Digitaltechnik und wie sie die Künste verändert hat“. Neben einem Zusammenschnitt von PR-Material des Verleihers, der eben jenen Film angeboten hat, den man bald ausstrahlen wird, mit skurrilen, immer wieder gezeigten Archivbildern, hat man dann auch einen Experten ausgegraben, seines Zeichens wissenschaftlicher Assistent am Filminstitut der Universität Schaumburg-Lippe und Herausgeber einer Materialiensammlung zur Filmtechnik der späten 50er Jahre.

In der ersten Einstellung fällt hauptsächlich seine Erscheinung auf. Er sitzt natürlich vor einem Computer, auf dem entweder ein Star Wars-Bildschirmschoner flackert oder ein Worddokument auf seine Fertigstellung wartet, je nach Seriositätsbedürfnis des verantwortlichen Redakteurs. Im Hintergrund verschwimmt die für jeden Experten unvermeidliche Bücherwand zu einem undeutlichen, dekorativen Zeichen für Vergeistigung, während im Vordergrund ein Stapel von Filmrollendosen jede sinnvolle Arbeit an dem Schreibtisch erschweren würde, sich als funkelnder Signifikant für Cineastentum und technisches Interesse im Kameralicht allerdings sehr gut macht. Und der Experte selbst trägt das für Akademiker unvermeidlich „lockere“ Jackett, dieses braune oder blaue Cord- oder Leinending, das an den Ärmeln etwas abgescheuert und ausgebeult ist, am besten noch mit einem gefalteten Stapel Papier in der Seitentasche.

Hier lebt jemand nur für sein Wissen, hier ist jemand vom Geist eines Untersuchungsgegenstandes so übernommen worden, daß es schwer vorstellbar ist, daß er eine normale gesellschaftliche Existenz führt. Er ist völlig anders als wir, deshalb weiß er auch völlig andere Sachen und kann sie von einer anderen Ebene aus betrachten. Verfassungsrechtler oder Betriebswirtschaftsprofessoren sehen natürlich, abgesehen von der Bücherwand im Hintergrund, ganz anderes aus, sie haben einen dunklen Anzug und eine Krawatte und statt des Papiers an der Seite steckt bei ihnen ein Montblanc-Kuli in der Brusttasche. Denn ihr Gegenstand verlangt eben eine ihm angepaßte Erscheinung, da sind wir als Zuschauer recht wählerisch. Doch zurück zu unserem filmwissenschaftlichen Experten. Erst bei der zweiten Einstellung auf ihn, machen wir uns Gedanken darüber, was er eigentlich zu sagen hat. Wenn überhaupt. Denn seine Aussagen flutschen so gefällig durch die insgesamte Belanglosigkeit des Berichts, daß man sie kaum davon differenzieren kann. Beim ersten Mal, so glauben wir uns zu erinnern, hat er gesagt: „Heutzutage kommt kaum noch ein Film ohne Spezialeffekte aus.“ Ein schöner Satz, der statuarisch daherkommt und uns ein neues Paradigma zu verkünden scheint. Nur so richtig überzeugen will er uns nicht, haben wir doch selbst Star Wars, Terminator 2 und Independence Day gesehen und auf Parties über ihre Effekte gefachsimpelt. Deshalb hören wir beim zweiten Mal genauer hin und bekommen verkündet: „Bei vielen Filmen sind die Ausgaben für Spezialeffekte inzwischen der größte Posten des Budgets, noch vor denen für die Hauptdarsteller.“ Eine Erkenntnis, die uns zuletzt während der monatelangen Vorberichterstattung zur Titanic-Premiere in die Gehirne gehämmert wurde und die uns am Sinn von staatlichen Einrichtungen wie dem Institut für Filmwissenschaft der Universität Schaumburg-Lippe zweifeln lassen könnte. Wenn das die Forschungsergebnisse von gutbezahlten Beamten sind, dann könnte man auch die Volkshochschulen zu Universitäten erklären und so die Haushalte der Kultusministerien sanieren.

So simpel darf man dieses Simple allerdings nicht verstehen. Denn das, was die Experten dort im Fernsehen sagen, ist nicht das, was sie vor der Kamera gesagt haben. Sie sind zwar nicht falsch wiedergegeben worden, etwa, indem man 12 Wörter aus verschiedenen Sätzen zu einem neuen montiert und das Ganze dann computertechnisch geglättet hätte. Aber sie haben viel mehr und ganz anderes gesagt, als das, was seinen Eingang in den Beitrag gefunden hat. Den Satz „Heutzutage kommt kaum noch ein Film ohne Spezialeffekte aus“ hat unser Experte nämlich noch durch die Nachsätze ergänzt „Das weiß heute jedes Kind und das muß man nicht extra erwähnen. Viel interessanter wäre es, sich Gedanken darüber zu machen, ob sich die Welten verändert haben, in denen Filme heutzutage spielen, oder ob es einfach nur eine andere Art der Erzeugung von Vorstellungen ist, die schon seit Jahrhunderten in der einen oder anderen Weise aufgetaucht sind.“ Das hätte uns als Zuschauer wirklich interessiert, zumal der Experte dann auch zehn Minuten über dieses Thema geredet hat und dabei auf Ovids Metamorphosen, Carrolls Alice im Wunderland, Max Frischs Stiller und Wachowskis Matrix eingegangen ist. Und auch die Filmrollen sind gar nicht seine, sondern wurden vom Team mitgebracht, das ihn gleichzeitig auch gebeten hat, statt des Sweatshirts doch bitte dieses Jackett anzuziehen, daß sie im Flur gesehen hätten und daß er eigentlich nur zur Gartenarbeit anzieht.

Die verantwortlichen Redakteure waren aber nicht auf ein neues, überraschendes Statement aus, das die Zuschauer aus ihrem Dämmerzustand reißen würde und zu einem Reflexzucken auf der Fernbedienung hätte hinreißen können. Sondern sie folgten duldsam dem alten tautologischen Gesetz der Fernsehdemokratie: Wenn ich denke, daß ich das auch gekonnt hätte, dann bin ich zufrieden und will außer Fernsehen nichts mehr können wollen. Das wurde in dieser Kolumne ja schon mal angesichts der Off-Stimmen bei Parlamentsdebatten erörtert. Und je mehr ein Experte so aussieht, wie ich mir einen Experten vorstelle, desto weniger muß ich mich mit dem einzelnen Menschen und seinen mir unvertrauten Ansichten auseinandersetzen. Stattdessen sehe und höre ich mich dort in symbolischer Verkleidung. Die Verantwortlichen für solche 1:20-Berichte können sich also sicher sein, ihre Zuschauer auf ihrem Niveau befriedigt zu haben. Es ist also ein ausgetüfteltes Feedback-System, dessen strategisches Geschick intellektuell äußerst avanciert ist.

Wenn wir also das nächste Mal einen Psychologen sehen, der uns erklärt, daß „Streit genauso wichtig für die Ehe ist wie Harmonie“, einen Soziologen, der feststellt, daß „es heutzutage kein einheitliches Wertesystem mehr gibt“ oder einen Politologen, der uns darüber aufklärt, daß „die FDP als Partei der Mitte von unzufriedenen Wählern der großen Parteien profitiert“, dann sollten wir verständnisvoll nicken und ihre Enttäuschung teilen, daß ein Redakteur genau diesen Satz aus ihren halbstündigen Ausführungen herausgefischt hat und sie jetzt als Idiot dastehen. Es sei denn, es handelt sich um die sogenannten „Profi-Experten“, die das Spiel der Null-Sätze von vornherein begriffen haben und nur noch mit diesen Hülsen operieren. Die werden dann, wie z. B. der Politologe Jürgen Falter, immer wieder befragt, weil man sich sicher sein kann, daß man nicht erst lange, inhaltsreiche Passagen durchforsten muß, um eine Satzhülse zu finden, sondern in einer Minute Material für sechs Berichte erhält. Zur Belohnung werden sie dann auch zu Stammgästen in den Diskussionssimulationen wie Christiansen oder Berlin Mitte, bevor sie dann als dekorativer Kleiderständer mit Sprachausgabe in den Sendezeitdurchlauferhitzern anläßlich von Landtags- oder sogar Bundestagswahlen enden. Die „Profi-Experten“ verdienen unser Mitgefühl nicht. Die sind genau das, was sie sind. Nicht mehr und auch nicht weniger. Das geht ja gar nicht.

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  • The sun always shines on tv: Mathias Mertens