The sun always shines on tv

The Sun always Shines on TV: Here’s looking at you, kid – Verklärungsunterricht im Fernsehen

In Mathias Mertens historischer Fernsehkolumne The Sun always shines on TV geht es heute um Aufklärung, Geburt und Sexualisierung im Fernsehen. # 17 (11. Februar 2001)

In den 70er Jahren gab es in Deutschland einen handfesten Fernsehskandal. Schon daß die Sendung Sesamstraße, diese „Slumkunde aus dem Kübel“, wie ein besorgter Medienpädagoge damals differenziert argumentierte, überhaupt auf Sendung gegangen war, sorgte für Beunruhigung. Daß die deutsche Redaktion allerdings wagte, die Kinder mit einer abgefilmten Geburt zu konfrontieren, schien diesen Kritikern Recht zu geben und ihre Befürchtungen sogar zu übertreffen. Das, was da aus dem Kübel zu kommen schien, war so schrecklich, daß man es noch nicht einmal als Erwachsener ertragen konnte, deshalb war es für Kinder umso weniger geeignet. Aufklärung ja, aber bitte mit Querschnittszeichnungen, Korbblütlern und Pollenflug, nicht mit Körperflüssigkeiten sowie an- und abschwellender Leiblichkeit in Farbe und Stereoton.

In dieser Woche, ein Vierteljahrhundert nach diesen heißen Siebziger-Debatten, feierte der amerikanische Fernsehsender ABC den „Super Baby Tuesday“. Während des Frühstücksfernsehens gab es Schalten in mehrere Kreißsäle des Landes und immer, wenn einer der Säuglinge sich dazu entschloß, aus dem Mutterleib zu gleiten, dann war man live dabei. Offizieller Hintergrund dieser Aktion war, daß man zeigen wollte, daß durch die moderne Geburtsmedizin kaum noch schmerzhafte Geburten stattfinden. Es gab kein Geschrei und die Mütter lächelten selig und versonnen ob dieser glücklichen Begebenheit. Dieses Lächeln konnte der Zuschauer jedoch nicht wahrnehmen, denn alles, was er sah, war ein Hinterkopf, ein Deckengebirge und ein plötzlich dahinter auftauchender Säugling. Während der Säugling in seiner vollen Leiblichkeit, mit Nabelschnur und Schleimschicht präsentiert wurde, durfte die Mutter einzig als Gesicht erscheinen, neben das der Säugling gelegt werden konnte.

Nicht, daß hier dafür plädiert werden soll, man hätte die Mütter mit offenem Visier in voller gynäkologischer Pracht präsentieren sollen. Aber eine Überlegung wäre es wert. Wenn schon Geburt, dann auch mit Geburt. Das wäre allerdings wieder unzumutbar geworden. Und man wollte ja gerade zeigen, daß eine Geburt heutzutage völlig zumutbar geworden ist. Man bekommt als Mutter praktisch genausoviel davon mit, wie der Zuschauer zuhause, nämlich gar nichts. Man hat einen dicken Bauch und plötzlich ist ein Kind da. In gewisser Weise ist es eine retardierende Aufklärung für Erwachsene. So wie man die Kinder mit kleinen, uneigentlichen Geschichten an den mystifizierten Akt vorsichtig heranführen möchte (sich irgendwann unterwegs allerdings von ihnen verabschiedet und ihnen sagt, sie sollen schon mal vorgehen), so führt man hier die Zuschauer vorsichtig wieder weg und erklärt eine kleine, uneigentliche Geschichte zur Realität. Wenn man nicht zeigt, daß bei der Geburt etwas aus der Vulva herausgedrückt wird, dann läßt man auch die Tatsache verschwinden, daß es in gewisser Weise vor einiger Zeit in die Vulva hineingedrückt worden ist.

Denn auch diesen Teil des Aktes hat man gekonnt verschwinden lassen, indem man eine Dauerberieselung mit Nach-23-Uhr-Filmen betreibt, in denen zwar Männer und Frauen in eindeutigen Positionen, mit eindeutigen Bewegungen und eindeutigem Gegrunze gezeigt werden, der eigentliche Austausch jedoch nicht zu erkennen ist. Es ist nur ein Mythos von Zeugung, der dort präsentiert wird, ein sekundäres semiologisches System. Man nimmt den Geschlechtsakt zweier Menschen, der eine ganze Fülle von Bedeutungen hat, darunter auch den der Zeugung, und in dieser Kombination von Bedeutendem (Kopulation) und Bedeutetem (Fülle) ein Zeichen darstellt, setzt dieses Zeichen als Bedeutendes in ein neues Zeichensystem ein, wo es dann die sterilisierte, von jeder Ergebnishaftigkeit befreite, entsexualisierte und von auf ursprüngliches Bedeutetes hinweisenden Spuren bereinigte neue Bedeutung erhält. Das man Sex nämlich nicht sehen darf, daß man es verschweigen muß, und man es am besten so gut versteckt, daß es überhaupt gar nicht mehr stattfindet.

Die Vulva ist deshalb ein unerträgliches Organ. Weil sie nach innen führt und weil etwas aus ihr herauskommen kann. Weil dort ein Austausch stattfinden kann. Weil es dort nicht abgeschlossen ist. Weil man dort nichts verbergen kann, weil dort alles wieder auftaucht, weil dort die Konsequenzen von Handlungen sichtbar werden. Kurz gesagt, die Vulva läßt sich nicht zum Mythos machen. Deshalb konnte man sie am „Super Baby Tuesday“ auch nicht zeigen. Möglich war der schleimverschmierte Säugling. Denn trotz seiner ektoplasmatischen Verzerrung ist er ja abgeschlossen. Er kann also in ein sekundäres semiologisches System eingesetzt werden und ein Mythos sein. Er korrespondiert damit mit den anderen abgeschlossenen und abgetrennten Körpermythen, denen wir im Fernsehen begegnen. Der Brust zum Beispiel. Dem genauen Gegenteil zur Vulva. Nach außen gerichtet, perfekte Oberfläche, keine Gefahr, daß sie irgendetwas von uns verlangen könnte oder ihrerseits etwas geben könnte (der Sonderfall, daß wir sie Milch spritzen sehen, ist aus diesem Grund auch ausgeschlossen, so etwas ist aus den selben Gründen unanständig und kommt nicht im Fernsehen). Die Brust kann man in einem völlig von der Sexualität abgetrennten Sinn benutzen, wodurch sie zu einem perfekten Zeichen für den Mythos der Sexualität werden konnte. Die Vertittung der Bildmedien wird somit verständlich. Es ist die effektivste Art, um die ganzen unterschwellig brodelnden, zu schwer kontrollierbaren individuellen Aktionen führenden Aspekte der Sexualität aufzuheben. Die Brust wird als Placebo hingehalten, der stereotype Reiz befriedigt alle Regungen schon im Ansatz, Sexualität ist damit als erstes auf der Liste abgehakt.

Lange Zeit haben wir allerdings unter Sexismus gelitten. Nämlich dadurch, daß man mit einseitiger Vertittung nur die Männer in ihrer Triebregung unterdrückte. Die Frauen konnten sich ganz ungestört entfalten, nichts kontrollierte ihre Bedürfnisse und erstickte sie im Keim. Das mußte geändert werden. Nicht, indem man auf die Unterdrückung der Männer verzichtete, nein, sondern indem man nach einem äquivalenten Verfahren für die Frauen suchte. Erste Versuche mit dem männlichen Gesäß schlugen fehl. Es gelang zwar, den Frauen eine Schlüsselreaktion anzuerziehen, aber das Gesäß ist zu androgyn, beide Geschlechter besitzen es, und es ist daher nur Verpackung für etwas jeweils individuelles, was schon wieder gefährlich ist. Also einigte man sich schließlich nach einigem Zögern auf den Penis. Das Zögern war darin begründet, daß er die Entsprechung der Vulva war, also für das Unanständigste, den Austausch nämlich, stand, aber nach und nach erkannte man die Aspekte an ihm, die bei konsequenter Behandlung zu einer Mythisierung führen konnten.

Der Penis ist nämlich genau wie die Brust eine Ausstülpung des Körpers, ein abgeschlossenes Gebilde. Da kann nichts passieren. Der hängt oder steht da nur rum. Und das Gute an ihm ist, daß er während des Aktes verschwindet, man ihn also gar nicht zeigen könnte. Immer, wenn er zu sehen ist, ist er also nicht involviert. Nachdem man diese Erkenntnis hatte, konnte der Penis seine Fernsehkarriere antreten. Nun sieht man ihn nicht nur auf den einschlägigen Sendern, wo er in Beiträgen über Penisverlängerungsoperationen oder Längenwettbewerben auftaucht, sondern er schlenkert jetzt auch lässig durch Fernsehfilme des ZDF. In der Werbung kommt er noch nicht vor, aber das hat auch bei der Brust einige Zeit gedauert, die Verschwanzung wird irgendwann genau wie die Vertittung überhand nehmen. Er ist noch Beschränkungen unterworfen, denn anders als die Brust ist er doch veränderlich. Diese Veränderung ist schon wieder sexuell. Wie ein Uhrzeiger kann er anzeigen, wie unaufhörlich man sich dem eigentlichen Akt nähert, wann es fünf vor zwölf ist und man dringend für sein Verschwindenlassen sorgen muß. Aber da er das anzeigt, kann man auch frühzeitig wegschneiden. Das Bild natürlich.

Bildquellen

  • The sun always shines on tv: Mathias Mertens