Interviewreihe „Davon leben“: Filmemacherin Claudia Sárkány im Gespräch

Für unsere Interviewreihe „Davon leben“ spricht Martin Spieß heute mit der Filmemacherin Claudia Sárkány über Jungs, Kaffee, das Scheitern und Performance-Kunst.

Kunst machen – klar. Aber davon leben? Für „Davon leben“ trifft Martin Spieß sich mit Künstlerinnen und Künstlern an der Peripherie des ganz großen Erfolgs. Dort, wo es wenig Geld, aber viel Leidenschaft gibt. Heute im Gespräch: Claudia Sárkány, 35. Sie ist eine deutsche Filmemacherin, schreibt, führt Regie und taucht auch immer wieder als Figur in ihren eigenen Kurzfilmen auf, die auf internationalen Festivals liefen. Zurzeit arbeitet sie an ihrem Langfilmdebüt, einem Dokumentarfilm über die Ehe und ihr Scheitern.

Wann bist du wo geboren?

Am 29. November 1981 im Camdener University College Hospital in London.

Bist du gebürtige Engländerin oder waren deine Eltern gerade da im Urlaub?

Meine Mutter ist Deutsche, mein Vater ungarischer Slowake. Beide waren damals beim BBC Radio angestellt – sie im German Service, er war eine Art Sonderbeauftragter für alles hinterm eisernen Vorhang. Da haben sie sich kennengelernt. Mein Vater war ein paar Jahre davor aus dem slowakischen Teil der ehemaligen Tschechoslowakei nach England geflüchtet – im Kofferraum, nur mit Badehose und Pass. So hat er das zumindest immer erzählt.

Dann haben wir ja eine ähnliche Geschichte. Mein Vater ist Anfang der Siebziger aus der DDR in den Westen geflohen.

Für mich war das immer wie ein Abenteuermärchen, also die Geschichte: Zu der gehörte bei meinem Vater auch noch die Affäre mit einer Italienerin, deren Schwester einen Mafiafreund hatte, der ihm half, auf ein Schiff nach England – sein Sehnsuchtsort – zu kommen.

Bist du in London aufgewachsen?

Zuerst in Camden, dann in Walthamstow, in einem kleinen Reihenhaus. Aber nach etwa vier Jahren wurde meinem Vater eine Stelle beim Radio Freies Europa in München angeboten. Da wurde ihm sehr viel mehr bezahlt. Und da London teuer war, sind meine Eltern nach München gezogen. Mein Vater war immer unglücklich darüber. Er wäre wohl lieber in London geblieben und fand Deutschland und Deutsche irgendwie verachtenswert.

Und deine Mutter?

Die war auch unglücklich in München mit meinem kleinen Bruder und mir allein zuhause ohne Job. Sie wollte das Hausfrauenleben nicht mehr, hat uns Kinder eingepackt, ist mit uns zu ihrer Mutter nach Barsinghausen, einer kleinen Kleinstadt bei Hannover, gezogen und hat angefangen beim NDR in Kiel zu arbeiten. Mein Bruder und ich waren dann ein paar Jahre bei unserer Oma.

Eingepackt = sich von deinem Vater getrennt?

Sie hat sich zumindest räumlich von ihm getrennt. Wir sind auch noch mal für eine Weile zu unserem Vater nach München zurück. Meine Eltern hatten jahrelang so eine On-Off-Beziehung. Wussten nicht so recht. Urlaube und Weihnachten haben wir auch zusammen verbracht, aber dann sind immer die Fetzen geflogen. Mein Bruder und ich waren also immer froh, wenn diese Familienexperimentphasen vorbei waren.

Woran lag das Fetzenfliegen? Dass sie ihre Unzufriedenheit mit dem Leben in Deutschland aneinander ausließen?

Keine Ahnung. Ich glaube, das waren auch kulturelle Differenzen. Und mein Vater hat auch zu viel getrunken und war ein bisschen sadistisch drauf. Die Frau nach meiner Mutter hat er auch immer fertig gemacht. Ich glaube, er hatte immer viel Selbsthass, den er dann an seinem Umfeld ausgelassen hat. Rückblickend betrachtet habe ich auch den Eindruck, dass er komplett depressiv war, eigentlich seit ich mich erinnern kann. Und meine Mutter hat den Fehler gemacht, sich nicht einfach scheiden zu lassen, sondern ewig an so einer Idealvorstellung von Ehe und Familie festzuhalten. Als ich etwa zwölf Jahre alt war hab ich zum ersten Mal zu meiner Mutter gesagt, dass sie sich doch bitte einfach scheiden lassen soll. Es war wirklich ziemlich anstrengend mit den beiden.

Du sprichst von deinem Vater in der Vergangenheitsform. Weil er gestorben ist?

Ja, vor drei Jahren. Er war dreizehn Jahre davor einfach verschwunden, in gewisser Hinsicht hatte ich ihn schon begraben. Es war dann aber doch ein Schock, auch weil er sich plötzlich wieder gemeldet hat, nur um zu sagen: Ich sterbe.

Einfach verschwunden?

Als ich 15 Jahre alt war, hat mein Vater sich in eine 25-jährige Kollegin verliebt und ist mit ihr zusammengezogen. Die beiden sind dann bald nach Berlin gegangen, ohne eine Adresse oder Telefonnummer zu hinterlassen. Und dann war er ganz weg. Und hat sich nie wieder gemeldet. Ich hatte ihn noch zwei Mal angerufen, an meinem Geburtstag und an Weihnachten, und er war beide Male so genervt und abweisend, dass ich entschieden habe, ihm nicht hinterherzustalken.

Die kaputte Beziehung deiner Eltern ist also mindestens zu einem Teil verantwortlich für deinen Film über Heiraten und Scheitern, an dem du derzeit arbeitest?

Ja, natürlich, das ist ein wichtiger Teil meiner persönlichen Geschichte und meines Films. Und klar, der Fall meiner Eltern ist ein gutes Beispiel dafür, dass es wahrscheinlich besser gewesen wäre, wenn besonders meine Mutter nicht so Idealvorstellungen von Ehe und Familie gehabt und so einen Druck empfunden hätte, dass man das durchziehen muss. Ich bin verständlicherweise eher anders herum drauf – ich denke immer: Bloß nicht an etwas binden, das einem Unglück bringen könnte.

Meinst du, das ist womöglich auch mit ein Grund, weshalb du noch Single bist? Ich kenne das von mir: ich hatte jahrelang totale Hollywoodvorstellungen. Keine Frau konnte da ranreichen. Und dann habe ich mich gewundert, warum ich nie eine Beziehung hatte.

Also ich hatte zwei wichtige Beziehungen mit zwei tollen Männern, mit denen ich heute noch gut befreundet bin. Gerade der eine spielt noch eine wichtige Rolle und ich sehe den jeden zweiten Tag. Ich hab einfach kalte Füße bekommen und es beide Male beendet. Wahrscheinlich habe ich Angst vor potentiell schlechten Enden und davor, selbst verlassen zu werden. Jedenfalls finde ich es beruhigend, dass diese Männer noch in meinem Leben sind und mich schätzen und wir uns noch so nah sein können. Bestimmt bin ich jetzt deshalb Single, weil ich nicht wieder jemanden so verletzen will und irgendwie klar bekommen muss, ob ich vielleicht – Schock, Horror! – wie mein Vater bin.

Keine schönen Momente, in denen man sich solchen Fragen stellt. Aber immerhin tust du es und das ist mutig. Und richtig.

Was soll man sonst tun? Gut, man könnte versuchen, das Leben zu genießen, und man könnte heiraten und Kinder kriegen und so was… Aber ich hab das Gefühl, mir bleibt nichts anderes übrig. Aber das ist vielleicht der Mythos, den ich über mich selbst spinne. Manchmal denke ich, der Film verstärkt das: diese intensive Beschäftigung mit dem Thema und meiner Geschichte bringt mich dazu, mich selbst wie eine Figur zu betrachten und manche Eigenschaften einfach so festzulegen, weil es gut zum Konzept passt.

Ist es nicht eher so, dass man gerade erst dann, wenn man sich mit sich selbst auseinandergesetzt hat, eine gute Beziehung führen kann?

Ja, ich glaube das schon, aber gleichzeitig stehe ich mir mit meinem Perfektionswahn auch oft selbst im Weg herum. Da gibt es dann schon nette Typen, die mich bestimmt mögen und ich sie auch, aber ich bin dann immer so: Nein, ich muss erstmal alles für mich klären, vorher geht das hier nicht. Und vielleicht vergeht dann so mein Leben. Und für den Film ist es einfach viel cooler, wenn ich Single bin. Sonst ist es nicht so spannend.

Man kann diese Fragen aber auch nicht erschöpfend klären. Lieber mit einem tollen Mann zusammen sein und vielleicht mit seiner Hilfe weiterklären. Also nicht zaghaft sein.

Ja, absolut, das klingt sinnvoll. Nicht zaghaft sein trifft ja auf viele Lebensbereiche zu.

Ich komme mal zurück zu deiner Kindheit. Wie lange hast du in Barsinghausen gelebt?

Bis ich zwölf war. Dann sind wir nach Hannover gezogen. Zu diesem Zeitpunkt lebte ich bei meiner Mutter, mein Bruder bei unserem Vater. Dann gab es eben dieses Familienzusammenführungsexperiment, das gescheitert ist. Mein Bruder ist dann noch eine Weile zu meinem Vater und seiner Freundin gezogen, die sind dann aber nach Berlin und da wollte er nicht mit. Und dann hat unser Vater sich endgültig von uns getrennt.

Und wie lange bliebst du dann in Hannover? Bis zum Abitur?

Mein Bruder ist zu meiner Mutter gezogen und ich habe mich dann für ein Stipendium beworben: für ein so genanntes United World College. Ein internationales Internat, von dem es damals zehn weltweit gab. Ich bin nach Swaziland gezogen. Das ist ein kleines Königreich in Südafrika. Und habe dort mein Internationales Baccalaureat abgeschlossen. Mit achtzehn war ich fertig. Dann habe ich noch eine Weile bei Freunden in Mocambique und Zimbabwe gewohnt. Mit neunzehn war ich noch mal ein Jahr in Hannover in einer WG mit Freunden. Dann habe ich mein erstes Filmstudium gemacht, in England. Kleiner Küstenort namens Bournemouth. Dann ein paar Monate in New York, die sehr beflügelnd und inspirierend waren. Ich wollte dann unbedingt das mit der Regie vertiefen, weil ich an der NYU in so eine Filmklasse mit einem unglaublich tollen Lehrer gestolpert bin. Und dann habe ich mich in Köln an der Kunsthochschule beworben.

Nach Afrika, weil du raus wolltest aus allem?

Ja, ich wollte raus. Bestimmt wollte ich raus. War nicht so bewusst die Entscheidung. Jetzt denke ich: Warum wollte ich wohl als 16-Jährige 10.000 Kilometer weg von zuhause?

Und du hast einen Platz an der Kunsthochschule für Medien Köln bekommen?

Ja.

Und da hast du Film studiert?

Ja.

Und wie war’s?

Bombe.

Kannst du das etwas ausführen? (lacht)

Ich habe mich tatsächlich sehr wohl gefühlt, aber ich bin so ablenkbar, wahrscheinlich wäre es gut gewesen, wenn ich etwas mehr Abgabedruck gehabt hätte. Ich hab auch kurz vor meinem Diplom noch Character-Design-Kurse belegt und kleine Figuren aus Schrott gebaut. Das hat alles sehr viel Spaß gemacht und war eine schöne gemütliche Blase. Manchmal war es auch quälend, weil man immer dachte, dass das nächste Projekt das goldene Ei ist, das einem den großen Durchbruch verspricht. Aber dazwischen habe ich viel gespielt: also Sachen ohne konkretes Ziel gemacht, Dinge ausprobiert, kurze Filme gedreht. Ich hatte immer so eine Traumvorstellung, dass ich eine Renaissance-Frau sein darf, die ein bisschen zeichnet, ein bisschen singt, ein bisschen backt, ein bisschen schreibt, ein bisschen filmt, ein bisschen reitet…

Klingt awesome. Hast du dieser Vorstellung inzwischen Lebewohl gesagt?

Nicht so ganz. Ich finde es nicht leicht, immer nur eine Sache zu machen oder mich so festzulegen. Vielleicht kann ich ja doch noch irgendwie Renaissance-Frau werden. Ich versuche jetzt so blockmäßig zu arbeiten: eine Zeit lang Film, Zeichnen nur so nebenher. Dann kann ich wieder schreiben. Aber ich komm auch durcheinander. Und mein Zeitmanagement ist katastrophal. Deshalb ist aus mir auch nichts geworden. Ich kann nichts richtig und von allem ein bisschen.

Siehst du das so? Dass aus dir nichts geworden ist?

Ja.

Dass du das so siehst, finde ich ziemlich traurig.

Also, ich mag, was ich bisher gemacht habe und ich mache weiter, aber so von außen betrachtet und im Vergleich ist aus mir echt nichts geworden. Ich finde das auch ganz gut, da ist die Fallhöhe nicht so hoch. Es könnte ja vielleicht noch was werden. Meine beste Freundin Harriet – eine Performancekünstlerin, mit der ich auch immer wieder zusammenarbeite – meinte mal zu mir, dass sie glaubt, dass wir absichtlich dafür sorgen, dass wir uns nirgendwo so richtig etablieren. So können wir immer eine diffuse Traumvorstellung davon haben, wie es wäre, wenn wir mit einer Sache so erfolgreich wären, dass wir die dann für immer weiter machen müssten. Was ja dann in Wahrheit auch nur Arbeit ist und auch ernüchternd. So lässt man sich das für immer offen. Vielleicht zu vergleichen mit Bindungsunfähigkeit.

Eins meiner Lieblingszitate stammt von Mark Twain, der mal gesagt hat: „Comparison is the death of joy.“ Im Vergleich ist wahrscheinlich aus allen KünstlerInnen, mit denen ich für diese Serie gesprochen habe, nichts geworden. Aber Kunst besteht meiner Meinung nach nicht aus dem Erfolg, sondern aus dem Machen. Nicht weil es sich verkauft, ist es gut. Sondern weil es gut ist. Und mit dieser selbstkritischen Haltung erschwerst du dir das Arbeiten ja auch noch. So war es bei mir: ich konnte mich nicht mehr motivieren, weil ich dachte, dass es ja eh nichts bringt. Wozu ein Album aufnehmen, wenn es nur ein paar Hundert Leute kaufen? Wozu ein Buch schreiben, wenn es nur beim Indieverlag erscheint? Wozu ein Bild malen, wenn ich keine Ausstellung kriege und es keiner kauft? Aber man muss sich – das wird hier gerade etwas exorzistisch – davon freimachen.

Ja, ich stimme dir zu. Und ich bin selbst gar nicht so hart in meinem Urteil über andere. Ich habe Freunde, die machen unglaublich schöne Sachen, und ich stufe die ja nicht ein in „erfolgreich“ und „nicht erfolgreich“. Ich denke da gar nicht drüber nach und bin einfach Fan. Natürlich tut es mir aber manchmal leid und weh, wenn so wunderbare Künstler sich nicht durchsetzen können und sehr unter der Zurückweisung oder dem Nicht-Erfolg leiden oder sogar aufgeben.

Mit Verlaub: wenn du von dir sagst, es sei nichts aus dir geworden, klingst du genauso leidend. Schlimmer noch: du klingst, als habest du aufgegeben. Ist da was dran?

Nein, ich habe nicht aufgegeben. Aber mein Anspruch an mein eigenes Schaffen ist ein anderer. Es gab eine Phase, da habe ich unter Absagen so gelitten, als wären es jedes Mal romantische Zurückweisungen: kompletter Herzschmerz. Ich wollte da einfach ganz viel, ganz schnell und war panisch. Und dann bin ich körperlich und seelisch ganz krank geworden davon, weil ich mich so zugemacht und gar nichts mehr mit Freude getan habe. Und dann habe ich mich wieder erholt, und seitdem versuche ich mich immer wieder daran zu erinnern, dass ich alles nur zu meinem eigenen Vergnügen machen will. Aber immer Vergnügen zu haben bei der Arbeit ist für sich schon ganz schön harte Arbeit.

Wieso ist das harte Arbeit? Wenn man es macht, weil man es machen will, bringt es doch automatisch Freude. Ist zumindest bei mir so.

Also, speziell beim Filmemachen ist man ja meistens sehr davon abhängig, dass andere einem Geld dafür geben und die wollen dir dann – speziell hier in Deutschland – alle reinreden. Ich habe den Eindruck, dass man da besonders kämpfen muss, um seine eigene Vision durchzusetzen.

Das ist nicht nur dein Eindruck. Ein Freund von mir ist Comedy-Autor und der hat diese Erfahrung auch immer wieder gemacht. Dass Leute, vor allem solche, die keine Ahnung haben, dir in dein Projekt reinreden wollen.

Ja, du hast Recht. Ich finde es manchmal nicht leicht, mir sicher zu sein, was ich konkret möchte – will ich jetzt, dass der Film gemacht wird, oder will ich, dass der Film zu meinen Bedingungen gemacht wird? Eigentlich natürlich beides, aber im Eifer des Gefechts vergesse ich dann manchmal, warum ich das alles überhaupt machen wollte. Weil es sich so entfernt von einer spontanen, intuitiven Idee, wenn lauter Leute reinreden.

Anders als bei meinen künstlerischen Arbeitsfeldern ist es beim Film ja wirklich so, dass ohne (viel) Geld am Ende gar nichts passiert. Wenn ich einen Song oder ein Buch schreibe oder ein Bild male, kann ich das irgendwie veröffentlichen oder verkaufen. Aber du sitzt im schlimmsten Fall mit einem Drehbuch rum. Wie gehst du damit dann um?

Ich weine. Und ich zeichne und schreibe dann wieder was und dann geht es mir besser, weil ich es in der Hand habe. Manchmal ist diese Zurückweisung auch ein Motor, weil ich denke: Jetzt erst recht! Und manchmal bin ich auch wütend, was mich auch wieder antreibt. Zum Beispiel, wenn ein Redakteur, der auf dem bequemen Geldgebe-Sessel sitzt, so etwas sagt wie: „Das ist einfach zu banal.“ oder „Das ist zu persönlich.“ Beides sind schwache Argumente, finde ich, denn ich mag gerade die Filme, die auch von Banalität handeln und sehr persönlich sind. Aber die werden hier eher selten gefördert.

Du bist noch nicht an dem Punkt, wo es dich emotional nicht mehr trifft, weil du eben weißt, wie das Geschäft ist und dich deswegen weniger emotional involvierst? Oder gehört Emotionalität einfach dazu, weil deine Arbeit eben auch emotional ist?

Ja, für mich gehört die Emotionalität dazu, aber auch, weil ich so bin, wie ich bin. Und ich erzähle Geschichten so, wie ich sie erzähle, weil ich so bin. Ich kenne Leute, die sind da viel cooler. Die sehen das eher wie ein Spiel, wie einen Sport. Die bewundere ich und so wäre ich lieber. In allen Lebensbereichen. Bei mir ist immer alles eher so dramatisch. Hab ich bestimmt vom ungarischen Vater… Aber wenn ich weine, weine ich für den Exorzismus. Das hilft. Und manchmal hängen mir Absagen nach und manchmal nicht so. Kommt immer auf die jeweilige Grundkonstitution an, in der sie mich erreichen. Wenn ich ganz zufrieden und ausgeglichen bin, dann trifft es mich nicht so. Deswegen versuche ich auch dafür zu sorgen, dass ich mich ganz wohlfühle in meinem Leben. Dann kann ich besser arbeiten.

Wie machst du das konkret?

Ich sehe schöne Dinge an, Bilder, ich höre Musik, ich singe. Singen hilft. Ich achte darauf, regelmäßig für mich zu singen. Und ich muss spielen können. Es muss irgendwie Platz geben, um sinnlose Dinge zu tun. Wenn ich nur funktionieren muss und produzieren, dann kommt nichts mehr. Ich hab’s versucht. Das kann ich nicht. Ich muss immer darauf achten, dass ich Platz für Weiße-Wände-Anstarren und Auf-Wiesen-Rumrollen habe. Auch da habe ich Hochachtung vor Leuten, die einfach so ableisten und kreativ sein können, ohne dieses Rumgeeire. Das ich aber definitiv brauche, um gesund und glücklich und arbeitsfähig zu sein.

Wäre das hier kein Interview, sondern wirklich ein Exorzismus, würde ich womöglich noch weiter an dir rumbeten, um dir diese Ansicht zu nehmen, aus dir sei nichts geworden. Denn immerhin machst du ja deine Arbeit. Und du machst sie immer weiter. Trotz aller Rückschläge. Und dass man hin und wieder weint, ist auch vollkommen okay.

Ja, weinen gehört dazu. Aber manchmal denke ich auch: Warum? Warum mach ich mir das Leben so schwer?

Weil du ohne deine Kunst noch unglücklicher wärst. Die Alternative wäre nine to five. Und das ist keine Alternative, zumindest für mich nicht. Da nehme ich lieber die Schwierigkeiten des Künstlerlebens in Kauf.

Ich wäre bestimmt auch eine tolle Kindergärtnerin oder Grundschullehrerin. Da könnte ich mich auch ausleben und singen und zeichnen – und alles ohne, dass ich immer jemanden fragen muss, ob ich das jetzt darf. Manchmal stelle ich mir vor, dass ich plötzlich viel ausgeglichener, erfüllter wäre, weil ich meinen Wert nicht so viel von außen bestimmen lassen und so kämpfen muss, um über die Runden zu kommen. Und dann denke ich: Warum bin ich nicht gleich Grundschullehrerin geworden? Dann wiederum muss man überall kämpfen. Auch in einem Lehrerkollegium. Und mit Kindern. Ich glaube eh, dass es keinen idealen Job gibt, mit dem man immer glücklich ist. Aber es geht mir doch immer wieder so, dass ich mich frage: Würde ein anderer Karriereweg viel besser zu meiner Persönlichkeit passen?

Ist das Lehrerin- oder Erzieherin-Sein etwas, über das du konkret nachdenkst?

Nein. Nur beim Weiße-Wand-Anstarren. Das ist ein Tagtraum. Letztens meinte Harriet: „I’m seriously questioning this whole career and wonder whether I shouldn’t just have a baby in the woods.“

Solche zweifelnden Tagträume gehören (leider) auch dazu.

Aber ein Baby im Wald ist auch nicht die Lösung aller Probleme, glaube ich. Definitiv Ablenkung für eine Weile. Wovor ich allerdings richtig Angst habe, lässt sich am Beispiel meines Nebenjobs im Kino veranschaulichen. Da gibt es ganz junge Studenten, angehende Filmemacher, die finde ich cool und rührend und ich hoffe, dass es gut läuft für sie. Und es inspiriert mich, mit denen zu reden, die sind so enthusiastisch. Ich erinnere mich dann an den wilden Enthusiasmus, den ich mit Anfang 20 hatte, und den Optimismus, dass alles gut wird. Und ich habe riesige Angst, dass ich eine gescheiterte Persönlichkeit werde, die mit 50 noch jungen Leuten, die nicht darum gebeten haben, betrunken und mit heiserer Stimme erzählt, dass ich mal Filme machen wollte und an einem großen Projekt arbeite, seit zwanzig Jahren… Oh Gott, mein Horror, mein absoluter Horror!

Ja, diese Angst kenne ich auch. Da hilft nur weiterzumachen. Sich nicht unterkriegen lassen. Wenn der große Durchbruch nicht kommt, kommt er nicht. Aber deswegen aufs Kunstmachen verzichten? Nö. Ich bin sowieso der Meinung, dass wir verkorkst sind von der Vorstellung, Kunst sei untrennbar mit riesenhaftem Erfolg verbunden. Sage ich, dass ich Schriftsteller bin, kommt die Bestsellerliste. Erzählst du, dass du Filmemacherin bist, kommt gleich Kino. Und ich mache diese Serie ja nicht mit gescheiterten Künstlerinnen und Künstlerin, sondern mit denen in der Peripherie. Mit denen ohne Mainstream-Erfolg, ohne den großen Durchbruch und ohne die fette Kohle. Aber again: deren Arbeit ist deswegen ja nicht weniger wert oder weniger Kunst, nur weil sie nicht massenhaft gekauft wird.

Ja, das sehe ich alles genau so. Gleichzeitig denke ich aber auch manchmal, dass das eine wahre Lebenstragödie sein kann, dass jemand, weil er einem spezifischen Traum hinterherjagt, andere Dinge zurückstellt oder ganz darauf verzichtet: zum Beispiel Familie. Einen anderen Job, der einen vielleicht eh mehr ausgefüllt hätte, weil man mehr im Austausch mit anderen gewesen wäre, als im stillen Kämmerlein zu vereinsamen. Irgendeine Form von Absicherung im Alter. Es gibt ja solche Figuren, mein Vater war sicherlich auch so jemand, die eine Vorstellung von sich und ihrem Leben haben, die sie nicht aufgeben wollen und darüber verarmen und vereinsamen. Hoffentlich passiert mir das nicht, denke ich immer mal wieder.

Man könnte argumentieren, dass dich das reflektierte Nachdenken darüber vor so einem Weg schützt.

Ich habe mal einen Film gesehen, der von einem Schriftsteller in Paris handelte, der keinen kommerziellen Erfolg hatte, aber stur weitergearbeitet hat. Und am Ende liegt er in seinem alten Anzug auf dem Gehweg und die Menschen gehen an ihm vorbei, manchmal gibt es einen kurzen Seitenblick, aber am Ende ist er vergessen und unwichtig. Dass er so fest an seinem bedingungslosen Schriftstellerdasein festgehalten hat, hat ihm wenig gebracht am Ende. Na ja, aber das ist eben meine Horrorvision. Hoffen wir, dass ich nicht so ende. (lacht) Aber kannst du mir bitte eine Frage stellen, auf die ich eine leichtere, lustigere Antwort geben kann? Das Gespräch kann doch nicht so enden. Irgendwas mit Welpen und Hoffnung, vielleicht.

(lacht) Ich wollte schon sagen, dass du es mir echt schwer machst, ein versöhnliches Ende zu finden…

Im echten Leben gibt es ja meistens eben nicht so konkrete Enden, mal abgesehen vom Ende-Ende, dem Tod, da sind die Enden auch immer Anfänge. Das Leben ist kein Spielfilm, sondern eher ein serielles Format. Ich glaube – Vorsicht, jetzt wird’s kitschig! – an diese Kraft von Neu-Anfängen, der Möglichkeit, sich nach Rückschlägen und Enttäuschungen neu zu erfinden, wieder anzufangen. Mit 20 und mit 40 und sogar mit 70, wenn man so lange durchhält.

Ich fände es aber auch nicht schlimm, wenn es so endete. Du hast nun mal diese Ängste.

Nein, nein, so soll es nicht enden, es soll ein hoffnungsvoller Cliffhanger sein darauf, wie es wohl weitergeht mit mir.

Du könnest beispielsweise sagen, dass du jetzt Schluss machen musst, weil du gerade von diesem süßen Typen aus dem Kino eine Einladung zum Kaffee bekommen hast.

Nee, ich wollte was Großes über Kunst und das Leben sagen. Nicht über Jungs und Kaffee…

Okay, vielleicht hilft das: trotz all der Ängste und Zweifel machst du weiter?

Ja, ich mache weiter. Und selbst wenn ich noch Grundschullehrerin werde, würde ich weitermachen. In irgendeiner Form werde ich immer Geschichten erzählen und sie aufschreiben oder zeichnen oder singen, weil ich einfach immer so viel erzählen will. Eigentlich glaube ich fest daran, dass sich der Erfolg eines Menschen – also, wenn er auf dem Sterbebett liegt oder auf der Straße, weil er überraschend von einem Auto erfasst wurde – darin abzeichnet, ob er ganz zufrieden und glücklich war. Die Menschen, die ich am meisten verehre, sind ja eh die, die abgesehen von dem, was sie so beruflich schaffen, ein selbstbestimmtes Leben führen und großherzig sind und andere inspirieren – ob jetzt auf künstlerische oder persönliche Weise. Am Ende kann man gar nicht so richtig scheitern, wenn man sich und seinen Idealen treu bleibt. Und sich und anderen gegenüber kein Arschloch ist.

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