Konstantin Flemig: Hang zu Kriegsgebieten

Marcel Durer hat seinen ehemaligen Kommilitonen Konstantin Flemig interviewt. Ein Gespräch mit einem Regisseur, dessen Dokumentarfilme für gewöhnlich in Kriegsgebieten gedreht werden.

Ich würde euch gerne einen Freund von mir, Konstantin Flemig, vorstellen. Konstantin und ich kennen uns von unserem gemeinsamen Studium an der Filmakademie Baden-Württemberg, wo er gerade seinen Abschluss in dokumentarischer Regie gemacht hat. Uns beide verband sehr schnell unsere gemeinsame Vorliebe für MMA, vegetarisches Essen und Neil Gaiman. Zusammen mit ihm habe ich auch Oink’N’Slay umgesetzt – einen ernährungskritischen Ego-Shooter, bei dem man versucht sich als Schlachtschwein aus dem Industrieschlachthof freizukämpfen. Neben all dem teilten wir auch oft genug das ein oder andere Bierchen.
Doch leider hab ich ihn während meines Studiums nicht so oft zu Gesicht bekommen wie andere Kommilitonen. Dies lag vor allem daran, dass seine Dokumentarfilme ans Eingemachte gingen. Nicht selten hat es ihn dabei in Kriegsgebiete oder andere Gefahrensituationen gebracht um die ich ihn keinesfalls beneide.
Um ihn euch aber richtig vorstellen zu können, habe ich ihn interviewt – aus der sicheren und gemütlichen Umgebung meines Büros. Seit gestern ist er aus dem Ostkongo zurück.

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Hallo Konstantin. In den letzten Jahren, beziehungsweise seitdem ich dich kenne, bist du ja ordentlich herumgekommen. Dabei gingen die meisten Reisen in Gebiete, die man nicht unbedingt als typische Urlaubsziele bezeichnen würde. In welche Krisengebiete (oder Gebiete, die für den Laien wie solche wirken) bist du denn in den letzten fünf Jahren alles gereist?

Angefangen hat alles mit meinem Bewerbungsfilm für die Filmhochschule: Dafür bin ich 2010 in den Kongo gereist, wo ich eine kurze Dokumentation über eine Deutsche drehte, die ein Luxusrestaurant in Kinshasa leitet. Diese Dreharbeiten waren allerdings noch vergleichsweise handzahm. Später ging es dann mit einem Kriegsfotografen nach Ruanda, in den Irak und nach Syrien. Und gerade komme ich wieder aus dem Ostkongo zurück, wo mein Kameramann und ich eine Reportage über die UNO-Truppen gedreht haben.

Und du hast zudem bei einem von der Bundeswehr angebotenem Training für Kriegsreporter teilgenommen, richtig? Kannst du darüber etwas erzählen?

Das Training habe ich im Winter 2011 absolviert – und gleich einen eigenen Film darüber gedreht, Exit Exit Exit – Kriegsreporter in Ausbildung. Der Schwerpunkt lag auf simplen Verhaltensweisen, die im Einsatz entscheidend sein können: Woran höre ich, ob in meine Richtung geschossen wird? Welche Wand bietet mir welches Maß an Schutz vor Kugeln? Was für Wege kann ich gehen, und auf welchen muss man mit Landminen rechnen?
Darüber hinaus gab es eine sehr strapazierende Episode, in der eine Geiselhaft mit Verhören simuliert wurde. Der Sinn dahinter war, seine körperlichen und psychischen Grenzen kennen zu lernen, um im Ernstfall besser damit umgehen zu können.

Und würdest du im Nachhinein sagen, dieses Training war nützlich?

Alles in allem würde ich das Training definitiv jedem ans Herz legen, der in Kriegs- und Krisengebieten arbeiten möchte, auch wenn es natürlich „nur“ eine Simulation ist und das echte Leben niemals vollkommen nachstellen kann. Aber besser als völlig unvorbereitet zu sein ist es auf jeden Fall.

Wie fühlt es sich an, dorthin zu fliegen, von wo gerade unglaublich viele Menschen versuchen zu fliehen?

Ich habe es jedesmal als eine seltsame Mischung aus Nervosität und Euophorie erlebt. Natürlich weiß man, dass die Arbeit in gewissen Regionen mit Risiken verbunden ist.
Diese kann man durch gute Vorbereitung verringern, ganz ausschließen aber nie, und das weiß ich. Trotzdem liegt darüber immer eine Art „Jagdfieber“, das Gefühl, dass es wieder los geht, dass ich neue Geschichten entdecken, neue Menschen kennen lernen und über ein Thema berichten kann, das mir persönlich wichtig ist. Ich würde den Beruf nicht machen, wenn es dieses Kribbeln nicht geben würde. Aber natürlich muss man ganz ausdrücklich sagen, dass Krisengebiete keine Abenteuerspielplätze sind. Und ebenso wenig vergesse ich, dass es ein unglaubliches und ungerechtes Privileg ist, jederzeit wieder in ein Flugzeug steigen und ins sichere Europa fliegen zu können, während der Großteil der Menschen bleiben müssen – nur, weil ich einen anderen Pass besitze.

Hattest du das zweifelhafte Vergnügen in wirklich brenzlige Situationen zu kommen, wie sind diese entstanden und wie kommt man da wieder raus?

Ich hatte meistens Glück – und gutes Timing. 2014 waren mein Team – Kameramann Peter Wedig und Tonfrau Ana Monte – und ich etwa an der kurdischen Frontstadt Makhmur, drei Kilometer vom IS entfernt und haben gedreht. Ein paar Tage später gab es dort einen Vorstoß der Jihadisten. Wir waren im christlichen Viertel Kaffee trinken, ein paar Tage später ging vor dem Laden eine Autobombe hoch, und so weiter.
Das einzige Mal, wo es einigermaßen „brenzlig“ wurde, war 2010 im Kongo. Ich hatte versucht, mit versteckter Kamera aus dem Auto heraus zu filmen. Das fand eine Gruppe junger Männer nicht so prickelnd, rannten auf das Auto zu und wollten wohl die Kamera haben. Dummerweise war vor uns ein langam fahrender chinesischer LKW, so dass wir nicht abhauen konnten. Der bog Gott sei Dank doch noch ab und wir konnten losfahren. Auch wenn das in keinster Weise mit den Erlebnissen anderer Kriegsreporter vergleichbar ist, für den Moment war das als Adrenalinstoß genug! Es ist zwar eine furchtbar abgenutzte Phrase, aber versuchen, nicht in Panik auszubrechen und einigermaßen rational abzuschätzen, wie man als nächstes handelt – das ist meiner Meinung nach in den meisten Fällen das beste, was man tun kann. Ob das reicht ist eine andere Frage.

Vielen Dokumentarfilmern reicht es, irgendwas aus ihrem nähren Umfeld zu filmen und dann mit bedeutungsschwangerem Text aus dem OFF zu kommentieren. Ich würde mich jetzt mal aus dem Fenster lehnen und behaupten, dass dies bei dir nicht der Fall ist. Wie findest du die Themen für deine Filme?

Dokumentarfilm als Kunstform ist unglaublich vielfältig, und das ist auch gut so. Gerade in Deutschland habe ich den Eindruck, dass in der Szene viel Wert auf avantgardistisch-künstlerische Gestaltungsmethoden und tiefenpsychologische Deutungsmöglichkeiten gelegt wird – während das Prädikat „journalistisch“ eher abschätzig verwendet wird. Das ist alles nicht mein Fall.
Meine Filme würde ich als themenorientiert bezeichnen, in dem Sinne, dass mir die Botschaft und der Inhalt des Films wichtiger sind als verkünstelte Darstellungsformen. Letztere verlangen außerdem oft ein Maß an Planung und Planungssicherheit, dass in Krisengebieten nur schwer erreichbar wäre: Versuch mal an der Front zum IS mit einem zehnköpfigen Team mehrere Tage lang mit High-End-Kameras, Dollyfahrten und Kran zu arbeiten! Bei mir läuft es folgendermaßen ab: Ich lese sehr viel über das aktuelle politische Geschehen, sei es jetzt im Spiegel, der New York Times und Al Jazeera, aber auch in vielen kleineren lokalen Medien aus allen möglichen Ländern und Regionen. Wenn ich da auf etwas stoße, was mich persönlich interessiert und von dem ich denke „Das sollten mehr Menschen erfahren!“, dann beginnt meine eigentliche Recherche. Momentan stehen auf meiner „Würde ich gerne machen“-Liste etwa zwei Dutzend Themen. Manche wurden in der Zwischenzeit bereits von anderen Medien aufgegriffen, wie etwa die westliche PR-Maschinerie einiger zentralasiatischer Diktatoren. Aber selbst wenn dieses eine Thema damit „erledigt“ wäre – es werden immer mehr sein, als ich verwirklichen könnte.

Dann sag mal: Nach welchem Thema streckst du deine Fühler gerade besonders aus?

Ich würde gerne einen Film über die Menschen drehen, von denen man nie etwas hört, ohne die eine ernsthafte Berichterstattung über das Weltgeschehen aber überhaupt nicht möglich wäre: Die Stringer oder Fixer. Damit bezeichnet man die einheimischen Männer und Frauen, die mit ausländischen Journalisten zusammenarbeiten, Kontakte knüpfen, Termine ermöglichen, übersetzen, kurz gesagt: Die dafür sorgen, dass Reporter in Gebieten wie Syrien oder dem Irak überhaupt ihren Job machen können. Ihre Namen tauchen nie in den Schlagzeilen auf, und sie sind diejenigen, die vor Ort bleiben müssen, wenn die Journalisten längst wieder in ihren bequemen Redaktionen in Berlin, London oder New York sitzen. Und wenn sie getötet werden ist das meist nicht mal eine Randnotiz wert. Das würde ich gerne ändern, wenn auch „nur“ mit einem Film.

Apropos bequem. Du bist inzwischen wieder zurück im bequemen Mitteleuropa. Stichwort: Perspektivwechsel. Wie hält man es mit unseren Wohlstandsproblemen aus, wenn man wirkliches Elend vor Ort gesehen hat und wie verkraftet man Letzteres?

Ich habe es bereits von so vielen Kollegen gehört, dass ich es ebenfalls schon fast als Phrase betrachtet hatte, aber es stimmt: Nach einer Stunde in einem jesidischen Flüchtlingslager oder einem Interview mit dem Überlebenden eines Massakers sehen alltägliche Probleme zu Hause sehr viel kleiner, sehr viel erträglicher aus.
Ich würde nie soweit gehen, einzelnen Menschen in Deutschland vorzuwerfen, zu viel über ihre Probleme zu jammern, nur weil es anderswo jemanden gibt, dem es noch viel dreckiger geht. Mir persönlich hat es aber sehr geholfen, eine ruhigere und vor allem dankbarere Einstellung zum Leben zu bekommen. Wenn etwa mein Smartphone den Geist aufgibt rege ich mich natürlich im ersten Moment auf; im zweiten aber denke ich: Wenigstens besitze ich ein Smartphone. Und im dritten Moment denke ich dann: Wenigstens habe ich noch Hände, um es zu benutzen. Das ist leider mehr, als andere von sich behaupten können.

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Vielen Dank, Konstantin. Ich bin froh, dass du wohlbehalten wieder zurück bist. Möchtest du noch etwas los werden?

Ja. Was gerade in Deutschland passiert, macht mir große Angst. Menschen, die vor Krieg und Gewalt flüchten konnten müssen in Angst leben, von rechtsradikalen Mobs verprügelt oder in ihren Unterkünften verbrannt zu werden. Bei uns. In Deutschland. 2015. Gleichzeitig sehe ich, wie endlich ein „Aufstand der Anständigen“ beginnt, im Fernsehen, auf Facebook, auf der Straße. Das muss weitergehen, und das muss stärker werden. Ich möchte deswegen alle, die diesen Text lesen, ganz ausdrücklich bitten, sich in irgendeiner Form für Flüchtlinge in Deutschland und Europa einzusetzen. Egal ob mit Taten oder mit Worten. Für jeden einzelnen Hetzer muss es hundert geben, die ihm so entschieden widersprechen, für jeden rechtsradikalen Demonstranten müssen hundert bereit sein, sich ihm entgegen zu stellen. Ein Deutschland, in dem eine kleine Gruppe gewalttätiger Psychopathen mordet, während die Mehrheit schweigt, gab es schon einmal. Es liegt an jedem von uns, dass das nie wieder passieren kann.

Bildquellen

  • 11942555_994426957247130_395828554_o: Konstantin Flemig
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