Interviewreihe „Davon leben“ – Interview mit Tobias Brutscher (Zauberer)

In unserer Interviewreihe “Davon leben” spricht Martin Spieß mit dem Zauberer Tobias Brutscher über geheime Magische Zirkel, den Unterschied zwischen Zauberern und Entertainern und die Frage, wie rund es läuft, wenn man zaubert.

Kunst machen – klar. Aber davon leben? Für „Davon leben“ trifft Martin Spieß sich mit Künstlerinnen und Künstlern an der Peripherie des ganz großen Erfolgs. Dort, wo es wenig Geld, aber viel Leidenschaft gibt. Heute im Gespräch: Tobias Brutscher, 40, ein deutscher Zauberer. Er lebt mit Frau und zwei Kindern im Rheinland.

Du bist 1976 in Kevelaer am Niederrhein geboren und hast da Schule, Abitur und Zivildienst gemacht. Hast du schon immer gezaubert oder wie kamst du dazu?

Ich bin tatsächlich schon als 4- bis 5-Jähriger durchs Haus gesaust und habe versucht, alles zu verwandeln oder verschwinden zu lassen. Mein großes Vorbild war dann mit sechs oder sieben Jahren Catweasel, ein alter Zausel, der durch die Zeit reist, aber überhaupt nicht gut zaubern kann. Das war eine der ersten amerikanischen Serien im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Für mich hat es aber ausgereicht, dass der irgendwie zaubern konnte. Das hat mich als Kind schon fasziniert. Ich denke immer wieder mal, dass mir die Zauberei offensichtlich in die Wiege gelegt worden ist. Mit sieben oder acht hatte ich dann auch einen Zauberkasten – und war total enttäuscht, weil die Zauberkunststücke fast ausschließlich nicht für Kinderhände machbar oder aber die Erwachsenen so fantasielos waren, dass sie mir immer sofort gesagt haben, wie ein Trick funktioniert – schlechtes Publikum! Dann habe ich das viele Jahre vergessen und erst mit 18 Jahren, durch eine gewonnene Eintrittskarte für eine David-Copperfield-Show in Köln, wiederentdeckt. Das war schon toll, aber so riesengroß, dass ich sofort dachte: „Näher dran wäre irgendwie schöner.“ Dann habe ich mir Bücher besorgt, habe den Magischen Zirkel von Deutschland kontaktiert und jetzt, nach vielen Jahren, bin ich völlig magiesüchtig.

Für mich als alter Rollenspieler klingt magischer Zirkel irgendwie okkult. (lacht)

Eher Old-Cult. (lacht) Der Magische Zirkel von Deutschland (MzvD) ist eine Vereinigung von ZauberInnen, die mal Hüter aller Geheimnisse waren. Ich war nie ein Vereinstyp, wollte aber schon wissen, was die machen. Das war dann als junger Mensch ein bisschen frustrierend, weil das alles so streng und durchritualisiert war. Heute sind die auch lockerer geworden, heute zählt eher das Entertainment – Geheimnisse gibt es jedenfalls kaum noch, weil alles mit einem Mausklick zu erfahren ist. Der MZvD macht heutzutage noch schöne Sachen: Galaveranstaltungen und Ausschreibungen für Weltmeisterschaften und so. Da sind aber dann meistens auch nur Zauberer, die Zauberern zuschauen. Ich will aber doch die Menschen erreichen, die staunenden Auges die Welt sehen können! Zauberer können das nicht oder nicht mehr. Die hocken dann da und zerreißen sich das Maul, wenn mal ein Kollege „unsauber“ arbeitet. Es gibt aber auch da wirklich herausragende Menschen, deren Nähe man ruhig suchen sollte. Es gibt auf dem deutschsprachigen Sektor ganz allgemein fulminant gute Leute: Christoph Borer, Jan Forster, Thorsten Strothmann, Jan Becker, Alexander Kölle, Desimo und viele mehr. Das sind aber meist Leute, die sich eben von Zirkeln fernhalten beziehungsweise ihren eigen Stil fern von Vereinigungen gefunden haben.

Und du hast kein Problem damit, so offen über den MZvD zu reden?

Ich spreche ja nicht über Namen. Und ich habe jetzt schon lange keinen Kontakt mehr. Es war einfach nicht mein Ding. Ich möchte schon selbst entscheiden können, wo und wann ich auftrete. Damals hieß es: „Nee, wir sagen dir, wann du so weit bist.“ Ich fand das ungut. Aber das ist auch ein Stück weit deutsche Mentalität. Die Briten sind da beispielsweise viel lockerer und machen grandios respektlose Zauberprogramme.

Wenn du nicht mit dem MZvD arbeiten konntest, wie hast du es dann gemacht? Über die von dir erwähnten Bücher?

Ja, Bücher waren mein Lernmittel Nummer eins. Dann gab es einen Mitschüler, der genauso drauf war wie ich. Mit ihm habe ich viel trainiert. Wir haben uns gegenseitig Effekte vorgespielt und dann Kritik geübt. Das war sehr produktiv. Wenn die Abende länger wurden, auch schon mal feucht-fröhlich. Später kamen dann Lehrvideos von Profikollegen hinzu, was heute DVDs sind. Die teilen darin ihr Material – und machen damit natürlich auch Geld. Noch etwas später, da war ich 20 Jahre alt, habe ich in einem Zauberfachgeschäft in Köln gearbeitet. Dort habe ich jeden Tag Zauberkunststücke vorgeführt. Bezahltes Training war das – besser geht’s nicht.

Und schließlich hast du, als du 25 warst, in Hildesheim Kulturwissenschaften studiert.

Ich hatte Erfahrungen bei verschiedenen TV-Formaten und bei den Bühnen der Stadt Köln gemacht. Das Theater aber war mir irgendwie näher. Ich hatte den Eindruck, da einfach weiterlernen zu können, also in Bezug auf Bühnenkunst. Ich erfuhr von dem Studiengang, der ja einen hohen Praxisanteil hat, meldete mich zur Aufnahmeprüfung an, zauberte und wurde aufgenommen.

Du wurdest aufgenommen, fühltest dich aber nicht angenommen, oder?

Ich habe die Zauberei erst mal ein bisschen ruhen lassen und habe recht viel Theater gespielt. Meine Vorstellung von Theater war sehr klassisch. Im Studium habe ich dann gemerkt, dass links und rechts des bekannten Weges noch unheimlich viel Potential ist. Irgendwann habe ich dann einen Weg gefunden, Zauberkunst und darstellendes Spiel miteinander zu kombinieren. Darüber wollte ich meine Diplomarbeit schreiben, das war nicht so einfach. Angenommenwerden ist aber auch so eine Sache bei einem Studium mit lauter Individualisten. Ich sag es mal so: Ich musste für meine Sache kämpfen. Es gab immer Leute, die cool fanden, was ich machte, aber eben auch welche, die das belächelt haben.

Ging es dir mit der Zauberei auch außerhalb des Studiums in Hildesheim so? Musstest du auch andernorts dafür kämpfen, dass die Zauberei nicht belächelt wird?

Klar! Ich bin jetzt 40 Jahre alt und verdiene meine Brötchen mit Karten, Seilen, Ringen und so weiter. Da denkt schon so manch einer, dass bei mir irgendwas nicht rund laufen kann. Das ist aber bei jedem Bühnenmenschen der Fall, denke ich. Wenn wir ticken würden wie alle anderen, könnten wir wohl kaum auf eine Bühne oder vor ein Publikum treten. Aber ich kämpfe nicht mehr. Das bin ich einfach – und gut. Aber das mit dem Begriff „Zauberer“ ist schon so eine Sache. Damit wird immer noch Kindergeburtstag assoziiert. Deswegen nennen sich die meisten „Magier“, „Entertainer“ oder „Comedian“. Der Begriff „Zauberei“ ist einfach Kassengift, auch für Veranstalter.

Warum nennst du dich trotzdem Zauberer?

Ganz einfach: Die anderen tun es nicht mehr (lacht). Und ich find es blöd etwas anzugeben, was ich nicht bin. Comedy gehört schon auch dazu, und Entertainment auch. Aber Magie? Das klingt für mich zu okkult, nach finsteren Ritualen und so. Aber ich führe klassische Zauberkunst ohne Apparate vor. So ist das nun mal. Außerdem braucht man ja heute einen knackigen Suchbegriff für seine Webdomain: In meinem Fall tobias-der-zauberer.de. Etwas lang, aber das bin ich.

Du hast nach deinem Studium jahrelang Vollzeit im Bereich Theaterpädagogik gearbeitet und erst kürzlich einen Cut gemacht, um freiberuflich als Zauberer zu arbeiten. Wie kam es dazu?

Ich war am Theater einfach nicht mehr glücklich. Ich habe viel mit jungen Menschen zu tun gehabt und diesen Teil der Arbeit auch sehr geschätzt. Aber man ist als Theaterpädagoge in Theaterbetrieben dann doch immer ein bisschen der Appendix, wenn man mit den Produktionen nicht direkt was zu tun hat. Die Nachwuchsarbeit ist für die Betriebe im Idealfall ein schönes Prestige-Objekt. Wenn es aber drauf ankommt, zählt der Nachwuchs sehr wenig. Das darf man aber unter keinen Umständen laut sagen. Ich habe also einen Strich unter festangestellter, theaterpädagogischer Arbeit an Theaterhäusern gezogen. Zauberkunst war außerdem jeden Tag in meinem Kopf gegenwärtig. Und ich bin davon überzeugt, dass man Ideen, Wünsche oder Träume, die man nicht aus dem Kopf bekommt, nicht wegdrücken sollte. Das kann nicht gesund sein, zumindest, was künstlerische Ambitionen betrifft. Also ist hier noch mal die Chance, nach vielen Jahren das zu tun, was ich wirklich liebe.

Wenn du von Liebe sprichst, unterstelle ich, dass du guter Dinge bist. Oder siehst du der vollkommenen Hinwendung zur Zauberei auch mit Angst oder Zweifel entgegen, und sei es nur aus einer finanziellen Perspektive?

Zweifel gibt es jeden Tag. Angst, zumindest momentan, nicht. Zweifel finde ich aber auch sehr wichtig. Man darf sich davon nur nicht zurückdrängen lassen. In den letzten Jahren habe ich viele gestandene Bühnengrößen gesehen, die im Off zittern wie kleine Kinder, bevor es auf die Bühne geht. Aber sie gehen da raus. Zweifel gehören dazu.

Ich meine nicht unbedingt Bühnenangst oder Lampenfieber, ich meine eher die Angst vor dem künstlerischen Misserfolg oder der Geldnot.

Geldnot ist schon übel. Das beunruhigt schon, wenn man immer wieder neu ansetzen, immer wieder neu nach Auftraggebern suchen muss. Besonders mit meinen zwei Kindern. Aber momentan bin ich guter Dinge. Frag in einem Jahr noch mal. (lacht)

Was machst du in solchen Situationen? Wie holst du dich aus grüblerischen Phasen raus?

Ich suche mir Publikum. Wenn ich keins bekommen kann, wird’s mies. (lacht laut) Da will ich dann schon mal hinschmeißen. Das will ich sehr oft. Aber dann kommt ein Auftrag und alles ist gut.

Hilft dir deine Familie, nicht alles hinzuschmeißen? Oder bist du auf dich allein gestellt?

Mit Kindern ist der Druck größer. Man muss Ergebnisse bringen: finanziell, und zwar pronto. Aber meine Familie unterstützt mich. Die finden das zwar irgendwie auch verschroben, aber kommen damit klar. Für meine Tochter bin ich noch so eine Art lebendige Märchenfigur wie der Nikolaus oder so. Mal sehen was passiert, wenn sie dahinterkommt, dass ich Tricks verwende.

Du bist also zufrieden? Oder belastet es dich manchmal, nicht David Copperfield oder David Blaine zu sein?

Große Namen sind schon toll. Die haben aber natürlich auch sehr hart gearbeitet. David Blaine ist da ein gutes Beispiel. Der Mann hat sich aus dem Nichts erschaffen und ist in meinen Augen umwerfend.

Nicht nur in deinen!

Stimmt. Jedenfalls habe ich so eine Größenvorstellung wie Blaine nie im Sinn gehabt, da bin ich wahrscheinlich auch schon über das Verfallsdatum hinaus. Aber ich fühle mich in einer glücklichen Lage. Andere suchen das ganze Leben nach einem Inhalt. Für mich ist der Inhalt mit der Zauberei da. Wieder andere dümpeln in ihrem Beruf so vor sich hin. Grauenhaft! Bei mir ist das nicht so. Jeder Auftrag ist anders. Super! Kürzlich habe ich einen echt tollen Kollegen getroffen, der meinte: „Gott sei Dank habe ich hochbezahlte Aufträge, da muss ich nicht so viel arbeiten.“ Ich dachte: „Hä? Alter, gib mir Publikum, gib mir ein Kartenspiel und ich arbeite jeden Tag.“ Ich liebe das!

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  • FG6A5664: André Wälscher