Interviewreihe „Davon leben“: Tontechniker Jörg Reinke im Gespräch

Für unsere Interviewreihe „Davon leben“ spricht Martin Spieß heute mit dem Tontechniker Jörg Reinke über Brotjobs und Depri-Phasen.

Kunst machen – klar. Aber davon leben? Für „Davon leben“ trifft Martin Spieß sich mit Künstlerinnen und Künstlern an der Peripherie des ganz großen Erfolgs. Dort, wo es wenig Geld, aber viel Leidenschaft gibt. Heute im Gespräch: Jörg Reinke, 35. Er ist ein Berliner Tontechniker und betreibt das Tonstudio Tonevision, das nach etlichen Jahren in Berlin-Frohnau vor zwei Jahren nach Bergfelde umgezogen ist.

Du bist am 11. September 1981 in Berlin geboren, richtig? In Frohnau aufgewachsen, Schule, Abitur, Zivi?

Ich bin gebürtiger Charlottenburger. Aber ich habe kein Abi. Ich frage mich, wieso du so einen wie mich überhaupt interviewst (lacht). Und ich hab Wehrdienst gemacht. Danach kamen eine Selbstfindungsphase und diverse Nebenjobs.

Was waren das für Nebenjobs? Und hatten die was mit der Selbstfindung zu tun?

Das waren verschiedene Umzugshelferjobs, aber auch Kulissenbau für Filme, zum Beispiel. Und die waren gut, um zu wissen, was ich nicht machen will. Aber darüber bin ich auch wieder auf meinen Favorit Tontechnik getroffen. Das war in der fünften und sechsten Klasse schon eine Lieblingsbeschäftigung: mit Tapedecks zu hantieren, Tapes zu kleben, zu überspielen, aufzunehmen und so. Außerdem spielte ich Schlagzeug in der Schulband. Musikunterricht hingegen war komischerweise stets ein Graus. Auch mein Schlagzeuglehrer wollte mir Notenwerte auf der Snaredrum beibringen, dabei hat mich der treibende Beat von Michael Jacksons Bad wesentlich mehr begeistert. Die musikalische Simplizität war, was mich damals gereizt hat. Vorausgesetzt, es war gut gemischt. (lacht)

Das war also schon der Grundstein für deine spätere Arbeit.

Ja. Wir haben damals mit der Band bei uns im Wohnzimmer mit dem Ghettoblaster meines Vaters (Silber von Sharp) einen Song von unserer damaligen Lieblingsband Metallica aufgenommen. Beim Anhören kam dann die ernüchternde Feststellung, dass es doch anders klingt als das Original. Gerade in Hinsicht auf die Drums, die ich spielte. Dann war erstmal Ruhe, im schönsten Doppelsinn. Und bis ich überhaupt erst die Idee wieder aufgriff, was mit Musik zu machen, verging ein gutes Jahrzehnt.

Die Selbstfindungsphase.

Genau. Ich lieh mir den veralteten Musikcomputer eines Kumpels, der bei ihm zusammen mit einem E-mu Synthie, mit dem man ohne Computer Klänge erzeugen konnte, verstaubte. Es war grausam. Erst später, als Propellerheads Musiksoftware Reason raus kam, hat es angefangen, richtig Spaß zu machen. Ich stand damals wie heute auf simple, aber drückende Beats. Hip Hop war genau mein Ding. Reason ist genial für so was. Der Alternativtraum war natürlich der Drumcomputer-Klassiker MPC von Akai. Aber ein PC war erschwinglicher.

Wann hast du dich anderer Musik außerhalb von Rapbeats geöffnet? Im Zusammenhang mit der ersten Band, die du aufgenommen hast?

Es hat sich irgendwann rumgesprochen, dass ich so was mache, und es kamen befreundete Bands auf mich zu. Ab dann hab ich diverse Genres aufgenommen. Es ging auch eigentlich nur darum, die Technik zu bedienen und Klang zu bearbeiten. Das reizt mich auch heute noch. Also eine Performance soundmäßig so zu unterstützen, dass man am Ende gern zuhören mag.

Was du aufnimmst, ist also letztlich egal? Weil für dich die klangliche Bearbeitung zählt?

Es gibt Grenzen.

Zum Beispiel?

Wenn Gitarren zu Waffen werden, gebe ich die Sache gern an Kollegen ab. Genres wie Metal sind nicht so meins. Dafür reichen meine Nerven nicht aus.

Ergibt Sinn: da geht es ja nicht mehr um Klang, sondern um Lautstärke.

Na ja… es geht schon um Klang, aber je verzerrter eine Gitarre bei gleicher Lautstärke ist, desto unangenehmer wirkt sie auf mich. Alles ab Crunch ist für mich nahezu Lärm. Es ist wie harmonisches Rauschen.

Du warst am Anfang auch für zwei Semester an der School for Audio Engineering (SAE) in Berlin, aber das war auch nicht so deins, richtig?

Ich hab mich da sehr unwohl gefühlt, ja. Die Dozenten waren hochnäsig und oft unwissend, vor allem aber praxisfern. Und es war damals schon veraltetes Wissen. Viel Geschichte und Theorie, wenig Nutzen. Ich wollte dort was lernen, was ich direkt zuhause umsetzen kann und was mir direkt nützt. Als einer der Dozenten dann sagte, er wisse nicht, warum wir alle hier sitzen, weil es eh keine Jobs gibt, stellte ich mich darauf ein, es als Hobby weiterzumachen.

Was du ja heute nicht tust. Es ist ja dein Beruf geworden.

Eine Berufung ist es nach wie vor. Ganz zum Leben reicht es dann doch nicht.

Das tut es bei den wenigsten der Leute, die ich für diese Serie interviewt habe. Darum geht es mir ja in diesen Gesprächen: ich möchte herausfinden, was die Leute antreibt, ihrer Berufung zu folgen, auch wenn es zum Leben nicht reicht und der große Erfolg (noch) nicht eingetreten ist beziehungsweise sich wohl nicht einstellen wird. Was ist dieser Antrieb für dich?

Spaß. Tontechnik ist das, was mir Spaß macht. Die damit verbundene Musik muss für mich ertragbar sein, sonst ist es harte Arbeit. Im besten Fall ist es eine Art Spiel- und Erfindungstrieb. Etwas, das nicht langweilig wird. Ich bin eigentlich Tüftler, sozusagen.

Und am Ende ist egal, dass du nicht davon leben kannst? Weil du zu gerne tüftelst?

Irgendwie egal, ja. Oder vielleicht eher nicht so wichtig. Es kommen immer wieder neue Plug-ins, Tools, Programme, Add-ons, die ich auschecken kann, die mich inspirieren oder animieren, was anderes, was Neues zu machen. Es kommen immer neue Bands oder Solokünstler, die an mich herantreten oder die ich durch Zufall kennenlerne. Es kommen immer neue Aufnahmesituationen, die ich ausprobiere. Es wird nie langweilig. Und Künstler sind meist interessante Personen mit einer unkonventionellen Sichtweise.

Und im Idealfall inspiriert man sich gegenseitig: der Künstler hat eine Idee, die du vorher nicht hattest, oder umgekehrt – und das macht die Arbeit unvorhersehbar und spannend. Kannst du Beispiele für solche spannenden Begegnungen nennen? Oder ausgefallene Orte, an denen du aufgenommen hast?

Es sind überwiegend Dinge, die man selbst miterlebt haben muss. Schwer zu beschreiben ist die Energie, die selbst ein Mitte-50-jähriger Kettenraucher aufbringt, wenn es darum geht, ein Solo auf der Gitarre einzuspielen oder den perfekten Vocal-Take zu bringen. Es geht dabei nicht um Geld, was ja allgemein der Grund ist, sich besonders ins Zeug zu legen. Es sind Energien, die durch Leidenschaft geweckt werden. Und ich versuche, das einzufangen. Um möglichst authentisch zu sein und so wenig wie möglich nachbearbeiten zu müssen, stelle ich mir manchmal das Klangbild in Gedanken vor. Alles, was dieses Bild unterstützt, ist dann hilfreich. Deswegen kam es auch schon vor, dass die Aufnahme von Chören kurzerhand im WC des Studios stattfand. Um den natürlichen Hall der Fliesen zu nutzen. Und manchmal ergibt es sich, dass ich zufällig eine Band kennenlerne. Wie zum Beispiel 2013 Temple Haze, bei einer Jamsession in einem Berliner Club. Ein damals 17-jähriger Ami, der mit seiner Band voller Leidenschaft und viel Talent umherzieht. Seine Stimme und sein Engagement haben mich beeindruckt. Ich sprach ihn nach dem Konzert an und fragte ihn, ob er sich vorstellen könne, das mal im Studio aufzunehmen. Ich habe die Jungs dann in ihrem kleinen Kellerproberaum besucht. Wir besprachen den Ablauf und die Songauswahl und nach ein paar Wochen fingen wir mit den Aufnahmen an. Der Moment, wenn alle Mikrofone stehen, wenn alles eingestellt ist, wenn der Kopfhörer-Mix jedes Musikers passt und man sich einfach zurücklehnen kann, um zuzuhören…

…das ist magisch, oder? So geht es mir zumindest im Studio, als Musiker, also von der anderen Seite aus: das abzuliefern, was dann bei dir an- und aufs Band kommt.

Ja, absolut. Die Gänsehaut aufs Band bringen. Ich sage das immer wieder gerne: der Job von Tontechniker und Band im Studio ist es, richtig gute Zeit festzuhalten. Ein Satz, den ich auch dir schon oft gesagt habe.

Ich weiß! Und ich unterschreibe ihn nach wie vor. Aber ich will noch mal zu einer Bemerkung zurückkommen, die du eben machtest. Du sagtest: „Ganz zum Leben reicht es dann doch nicht.“ Was machst du, um dich über Wasser zu halten?

Die letzten zwei Jahre habe ich Winterdienst gemacht, und im Sommer helfe ich bei Gartenarbeit und mache kleinere handwerkliche Jobs. Zäune bauen zum Beispiel. Und da ich mich mit Studiotechnik auskenne, bietet sich ab und an auch mal ein wenig Handel mit Studio-Equipment an.

Ich mag körperliche Arbeit ja sehr, weil ich sie als tollen Ausgleich zur Kopfarbeit empfinde. Geht dir das auch so?

Absolut. Es lindert die physischen Nachteile des digitalen Zeitalters.

Du meinst das viele Rumsitzen?

Nicht nur das. Vor allem das Gefühl, nichts Wirkliches geschaffen zu haben.

Albert Einstein hat mal den Satz gesagt: „Holzhacken ist deshalb so beliebt, weil man bei dieser Tätigkeit den Erfolg sofort sieht.“

Das stimmt noch immer.

Sehe ich genauso. Wenn ich Obst für den Winter einlagere, Laub reche, Holz säge oder Grünzeug schreddere, sehe ich am Ende des Tages immer, was ich alles geschafft habe. Und ich mag es auch, verschwitzt und kaputt zu sein. Man merkt viel eher, dass man sich angestrengt hat.

So ist es! Der Mensch ist einfach nicht dafür gemacht, seinen Tatendrang nur durch virtuelle Erzeugnisse zu stillen.

Du findest es am Ende also nicht nur gar nicht schlimm, sondern sogar gut, dass du nicht von deiner künstlerischen Arbeit leben kannst. Weil du durch die Brotjobs den Ausgleich der körperlichen Arbeit bekommst.

So kann man es sehen. Ich brauche die körperliche Betätigung, die mir den Ausgleich schafft, so dass ich mich bei längeren Studiojobs anderweitig körperlich betätige, durch Joggen oder Fitness.

Und du bist nicht frustriert ob der Tatsache, dass du neben dem Studio noch was anderes arbeiten musst?

Frustriert nicht. Es wäre schön wenn, aber so geht es auch.

Nicht frustriert weil?

Frustrierend ist es nur, wenn es gar nichts zu tun gibt.

Das Tun selbst also ist dir Freude genug.

Ja. Richtig frustrierend wird es dann, wenn man wie ich als Selbständiger an die Altervorsorge denkt.

Was man tunlichst vermeiden sollte.

Daran zu denken? Ja, absolut!

Und lieber versuchen, das Jetzt zu genießen.

Es bleibt auch nichts anderes übrig…

…als optimistisch zu sein. Aber hast du auch Phasen des Zweifels oder der Melancholie?

Selbstverständlich. Ich denke, das ist normal – und der Antrieb für Veränderung beziehungsweise für Bewegung.

Und was tust du dann? Was veränderst du, wo bewegst du dich hin?

Es ist wie so oft im Leben: hat man eine Idee, neigt man dazu, die damit verbundenen Probleme zu sehen. Redet man dann auch noch mit Freunden darüber, ist es meist mit dem Optimismus vorbei. Der Punkt ist: man weiß nie, was daraus wird, wenn man es nicht versucht. Also einfach machen. Und sei es eine spontane Werbeaktion mit Flyern oder so.

„Einfach machen“ klingt so als gäbe es nie Momente, in denen du dich vor lauter Zweifeln im Bett verkriechen willst. Du machst einfach, ja? Klappt das immer?

Nein. Aber Depri-Phasen gehen auch wieder vorbei. Außerdem sind Selbstmitleid und Stillstand die denkbar schlechtesten Ratgeber.

Was tust du in solchen Phasen? Wie holst du dich da raus? Wieder durch körperliche Arbeit oder Sport?

Ja. Irgendwann packt einen der Tatendrang. Außerdem kann man gar nicht so lange liegen. Das hab ich auch mal versucht. Irgendwann tut einem alles weh. Vielleicht sähe die Sache sonst anders aus. (lacht)

Zur Website von Tonevision.

Bildquellen

  • Jörg Reinke: privat