Konservative Revolution: Die Bürde des Konservatismus

Konservative Werte predigen, sie aber nicht leben. Viele werden den eigenen hehren Idealen nicht gerecht. Doch wer soll dann bloß die konservative Revolution anführen?

Wir befinden uns inmitten einer politischen Revolution, meine sehr verehrten Damen und Herren. Wie, das wussten sie gar nicht? Anders als ’68 findet diese Revolution allerdings nicht auf den Straßen statt, sondern … tja, leider muss ich zu meiner Schande gestehen, dass ich auch nicht so recht weiß, wo sie eigentlich stattfindet. Denn assoziiert man Revolutionen gemeinhin mit linkspolitischen Bewegungen, sind es diesmal Deutschlands Konservative, die die Revolution ausgerufen haben.
Eine konservative Revolution, ausgerufen von Intellektuellen und Schriftstellern – bzw. von jenen, die sich dafür halten – sowie ehemaligen Bundesverkehrsministern. Bisher war ich mir gar nicht bewusst, dass Reaktionismus und progressiver Umsturz bestehender Verhältnisse Hand in Hand gehen können, geschweige denn, dass wir Deutschen zu so etwas wie einer Revolution überhaupt fähig sind.
Aber vielleicht bedienen sich die Rückwärtsgewandten auch einfach nur der ursprünglichen Bedeutung des Wortes Revolution: der Umlaufbewegung der Planeten um die Sonne, wonach alles zu seinem Ausgangspunkt zurückkehrt. Vor der französischen Revolution 1789 beschrieb „Revolution“ in diesem Sinne die Wiederherstellung des alten legitimen Zustandes. In diesem Sinne wären die Deutschkonservativen in der Tat revolutionär.

Beschäftigungstherapie oder Überzeugungstäter?

Doch was treibt diese – wie ich vermute – privilegierten, gut gebildeten, heterosexuellen, weißen Männer mittleren Alters an, eine konservative Revolution auszurufen? Sicherlich spielt politische Überzeugung oder zumindest Sympathie mit der rechten Sache eine Rolle. Vielleicht fühlen sie sich als geistige Elite dieses Landes nicht ausreichend gewürdigt und versuchen nun, mit politischer Agitation einen neuen Absatzmarkt für ihre Texte zu erschließen. Natürlich kann es auch sein, dass sie einfach keinen mehr hoch kriegen und Masturbation somit keine Option mehr darstellt, die Schreibblockade zu überbrücken.
Oder sind sie tatsächlich mit dem Führungspersonal der vorherrschenden konservativen Parteien hierzulande unzufrieden? Bei genauerer Betrachtung und mit ein wenig Verständnis ließe sich Letzteres sogar halbwegs nachvollziehen.

Frauen- und Familienbild

Mit Angela Merkel als Parteichefin und mächtigster Frau der Welt fällt es der Union natürlich schwer, glaubhaft ein traditionelles Familienbild zu vermitteln, wonach sich die Rolle der Frau darauf beschränkt, sich gebärfreudig und männerhörig um den Haushalt zu kümmern.
Im Gegensatz zu Merkel hat Ursula von der Leyen zumindest das mit dem Kinderkriegen ganz gut drauf. Nur leider erdreistet sie sich, in eine der männlichsten aller Domänen vorzustoßen und als Oberbefehlshaberin unserer guten deutschen Armee vorstehen.
Aber als Gegenpol zur Feminisierung der Union gibt es zum Glück noch echte Männer – echte Männer wie Horst Seehofer, der diese bösen, bösen Ausländer in Lagern konzentrieren möchte, für mehr Sicherheit im Inneren sorgt und noch für echte christliche Werte wie der Ehe als Bund zwischen Mann und Frau steht.
Jedoch konnte dieser Bund als Versprechen vor Gott Herrn Seehofer einst nicht davon abzuhalten, ein uneheliches Kind in die Welt zu setzen. Vielleicht wollte er damit aber auch nur zum Ausdruck bringen, dass er alle Schöpfungen Gottes liebt – insbesondere die weiblichen Schöpfungen. Übrigens hat Markus Söder, der derzeitige Regent auf Bayerns Thron, es seinem Vorgänger diesbezüglich gleichgetan.

Heteronormativ

Gerade am Familienbild scheitert auch ein anderer Hoffnungsträger auf die Rolle, die Union wieder in konservative Fahrwasser zu steuern: Jens Spahn, seines Zeichens Bundesminister für ungefragtes Einmischen. Da gibt er sich soviel Mühe, Seehofer in den Schatten zu stellen, indem er Merkel kritisiert, dagegen ätzt, dass in Berlin zu wenig Deutsch gesprochen wird, und die Armen verhöhnt. Doch wer soll ihm die Rolle des Erzkonservativen abnehmen, nachdem er vergangenes Jahr seinen Lebensgefährten geheiratet hat und damit von der Ehe für alle profitiert, die Merkel zwar ermöglichte, aber gleichzeitig dagegen stimmte?
Meine Güte, wenn also schon die CDU/CSU ein hoffnungsloser Fall ist, bleibt wohl nur noch die AfD, um den Untergang des Abendlands zu verhindern. Sie wissen schon, diese rassistische, sexistische und homophobe Oppositionspartei, die auf Berliner Bezirksebene Transsexuelle in ihren Reihen hat und deren Fraktionschefin im Bundestag eine lesbische Frau ist, die mit einer Ausländerin zusammenlebt …

Das Gesicht der Revolution

Eine konservative Revolution lässt sich von Frauen, Schürzenjägern und Homosexuellen an der Spitze wohl nur schlecht anführen. Dass Konservative aber auch soviel wert auf ihre Werte legen müssen. Da Lobe ich mir doch meinen indifferenten Nihilismus, denn als Konservativer hat man es anscheinend wirklich nicht leicht. Zu hoch scheint die Messlatte der eigenen Wertvorstellungen zu liegen und zu leicht scheint man man über diese Hürde in das Fettnäpfchen der Bigotterie zu stolpern.
Aber nichtsdestotrotz leben Revolutionen von ihren Ikonen: Danton und Robespierre, Lenin, Ché Guevara, Rudi Dutschke. Doch wer könnte sich hierzulande als konservative Ikone anbieten und ihr ein Gesicht verleihen? Gibt es denn da draußen keinen halbwegs gut aussehenden, weißen, heterosexuellen Mann mittleren Alters, der gegen Ausländer hetzt und die Eliten fördert? Ich meine, so jemand wie … Ach, was weiß ich? … so jemand wie Christian Lindner zum Beispiel?!?

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