Lieber Vater Staat, warum bist manchmal so ein unausstehliches Arschloch?

Unser Kolumnist Mirko Wenig hat zum Glück eine journalistische Festanstellung: und päppelt sein überschaubares Festgehalt mit Dozentenstellen und Schreibaufträgen etwas auf. Nun hat er eine Steuerzahlung versäumt – und sieht sich mit der Pfändung konfrontiert. Er sucht das Gespräch mit Vater Staat.

Mensch Papa! Wir müssen wieder einmal reden. Also ich mit dir, lieber Vater Staat. Eigentlich hast du in mir ja einen treuen Sohn. Ich bin überzeugter Demokrat und glaube daran, dass ein starkes Gemeinwesen eine gute Idee ist. Ich zahle brav und gern meine Steuern und bin aus Überzeugung gesetzlich krankenversichert. Aber Papa, und das ist mein Problem: Mir ist aufgefallen, dass du oft als Tyrann auftrittst. Ein erhebliches Misstrauen gegen deine Töchter und Söhne hast. Und dass du gern nach unten trittst. Klartext, Papa: Du kannst ein ziemlich widerliches Arschloch sein!

Jetzt reg dich nur nicht auf und schrei nicht gleich wieder rum. Ist nicht gut für das Herz. Du bist schon geschwächt genug, weil die Jungs von der AfD und einige andere dir immerzu Gift in die Venen spritzen. Und es tut mir auch leid, dass ich dir kurz nach Weihnachten derart in den Rücken fallen muss. Mein Problem ist, Papa: Die Behörden und öffentlichen Unternehmen, die mit einer erbarmungslosen Härte gegen ihre Bürger auffallen. Selbst bei kleinsten Delikten. Die Finanzämter. Die Jobcenter. Der Rundfunkbeitrag. Die Deutsche Bahn. Scheiß Service, und dann werden die auch noch frech. Wobei frech vielleicht der falsche Eindruck ist. Sie bedrohen einen bis auf die Knochen. Sie wollen einen im Zweifel vernichten.

Ruhig, Papa, ruhig! Ich werde versuchen, es zu erklären. Schau mal, da wäre zum Beispiel die Sache mit dem Finanzamt. Du weißt ja, ich habe mir im letzten Jahr ein bisschen Geld dazu verdient, als Lehrkraft an der Uni. War nicht viel, denn auch deine Pädagogen im universitären Unterbau hältst du am Hungertuch. Von der VG Wort gibt es noch was obendrauf. Aber das Finanzamt hat mir dann eine recht hohe Steuer-Vorauszahlung für die Jahre 2018 und 2019 in Rechnung gestellt, quartalsweise zu bezahlen. Sehe ich ja alles ein. Ich weiß nicht, ob und wie viel ich im kommenden Jahr selbstständig verdienen werde. Aber gut, das ist ein anderes Thema.

Nun habe ich versehentlich eine Frist versäumt. Am 10.12. hätte ich dir 624 Euro aufs Konto überweisen sollen, so berichtet mir das Finanzamt Leipzig in einer „Mahnung mit Ankündigung der Vollstreckung“, die auf den 27.12. datiert ist. Ungefähr diesen Betrag musste ich im letzten Jahr als Freiberufler nachzahlen. Für die versäumte Vierzehn-Tages-Frist hast du, das Finanzamt, mir, deinem treuen Diener, satte elf Euro Mahngebühren berechnet, jeweils 5,50 Euro für die Einkommenssteuer und den Soli-Zuschlag. Elf Euro – du weißt, das ist für mich viel Geld, Papa? Kein privates Unternehmen könnte so schnell mit so hohen Gebühren zuschlagen! Auch der Rundfunkbeitrag verhängt sofort hohe Strafzahlungen bei Verzug, die Staatskasse für das rückzuzahlende Bafög sogar vier Prozent des säumigen Betrags. Und jene, die wenig Geld haben und nichts auf der Kante, müssen am meisten darunter leiden. Denn du greifst ihnen ja immer wieder in die Tasche, wenn sie im Verzug sind.

Jetzt höre ich dich wieder sagen: „Reg dich mal nicht auf! Wer zu spät zahlt, gehört eben bestraft! Sonst merkst du es ja nicht!“ Aber da ist noch etwas anderes, Papa. Du bedrohst mich nämlich in meiner Existenz. Glaubst du, ich habe nicht gemerkt, dass du mich fertig machen willst? Mich wie einen ungeliebten Stiefsohn behandelst? Ja Papa, nun guck doch nicht so deppert!

Es ist nämlich folgendes: Du hast mir mit Vollstreckung gedroht, wenn ich den Fehlbetrag nicht innerhalb von sieben Tagen ausgleiche. Dass du mir das Schreiben zwischen Weihnachten und Neujahr schickst, wo ich keinen deiner Finanzbearbeiter erreichen konnte, wohl weil sie im Urlaub sind: gegessen. Das lege ich dir als kleine Fiesheit aus, denn ich hätte den Sachverhalt schon gern mit deinem Finanzamt abgeklärt. Aber dieser Vollstreckungsbescheid bedroht meine Existenz als Freiberufler. Denn du wirst innerhalb kurzer Zeit mein Bankkonto sperren. Und das, ohne mir zuvor ein Mahnungsschreiben geschickt zu haben. Ist das nicht ein bisschen krass, Papa? Dass du mir einfach nach so einer kurzen Frist den Mann mit dem Kuckuck ins Haus schickst?

Jaja, ich weiß: Es gibt Gesetze und Regeln. Fristen, die einzuhalten sind. Aber was deine unnachgiebig harte Hand bedeutet, musste zum Beispiel eine befreundeten Familie erfahren, ein junges Paar mit Sohn. Der Vater leitet einen Verlag. Und weil er Fristen versäumt hat, wohl einfach, weil er -wie ich – nicht durchgesehen hat bei dem ganzen Steuerzeugs, hast du ihm das Geschäftskonto gesperrt, bis er seine vermeintliche Steuerschuld wieder ausgleicht. Du weißt, dass kann die berufliche Existenz eines Freiberuflers komplett zerstören, Papa! Er bekommt einen negativen Schufa-Eintrag. Er erhält keine Kredite mehr. Er kann keine größeren Investitionen und Anschaffungen mehr tätigen. Er muss im Zweifel aufgeben und seinen Betrieb schließen. Es geht hier um die Existenz, nicht weniger als die Existenz. Die du ruinierst und kaputt machst mit deiner brutalen Härte und fehlenden Kompromissbereitschaft.

Ich schlage also vor, dass du mehr Nachsicht walten lässt. Weniger Drohgebärde und mehr Bereitschaft zur Kooperation. Und dass du es nicht allein der Willkür deiner Sachbearbeiter und Beamten überlässt, ob sie Kulanz walten lassen oder nicht. Denn dein hartes Vorgehen schadet ja auch dem Vertrauen in die Demokratie, Papa. Die Bürger merken, dass du ihnen höchst misstrauisch gegenüber stehst. Du wirst als Gegner wahrgenommen und nicht als Partner oder gar Familienmitglied. Weißt du noch damals Papa, 2009, als ich nach meinem Studium Hartz IV bezog? Als ich mich komplett vor dir nackt machen musste und du mich nach jedem Cent durchfilzt hast? Eine Zahlung hatte ich zu spät angegeben, Papa, das Honorar für eine Theaterpremiere, weil ich sie auf dem Konto selbst nicht bemerkt hatte. Sofort hat deine Sachbearbeiterin meine Gelder unter das Existenzminimum gekürzt. Es war der Moment, wo auch ich ans Aufgeben dachte.

Mensch Papa, hast ja recht: Vielleicht höre ich mich jetzt an wie der FDP-Wähler, der ständig zu hohe Steuern zahlt auch wenn er seine Firma über eine Briefkastenfirma auf den Cayman Islands betreibt. Aber nein, darum geht es mir nicht. Ich habe nämlich den Verdacht, dass du deine großen Söhne anderer Väter ein wenig bevorzugst. Während die Amazons und Starbucks ihr Geld vor dir in sehr schlechten Verstecken verstecken dürfen „Huhu, haben wir tatsächlich etwas verdient? Das mussten wir doch alles über Lizenzgebühren an eine Auslandstochter überschreiben, hihihi“, greifst du vor allem bei den kleinen Kindern mit brutaler Härte durch. Bei den Existenzgründern. Bei den Solo-Selbstständigen ohne eigene Angestellte. Bei den Hartz-IV-Empfängern. Das gefällt mir nicht.

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