"NEO MAGAZIN ROYALE mit Jan Böhmermann": Jan Böhmermann sitzt mit gefalteten Händen am Schreibtisch und schaut grinsend in die Kamera.

Jan Böhmermann und die Schmähgedicht-Affäre: Die ich rief, die Geister, werd’ ich nun nicht los.

Die Schmähgedicht-Affäre um Jan Böhmermann schlägt immer größere Wellen und mausert sich langsam zu einer Staatsaffäre. So scheint es. Wie geht man damit um? Hätte es anders kommen können?

Vorgestern hat der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan einen Antrag auf Strafverfolgung von Jan Böhmermann eingereicht. Nach dem eine Woche lang quasi auf ein Verfahren gegen Böhmermann hinspekuliert wurde, hat sich bewahrheitet was die Medien fast schon hochgeschrieben haben. Nach dem Erdoğan-Lied von extra3 („Extra3 hat fast den dritten Weltkrieg ausgelöst“ – Zitat Böhmermann), einer Anzeige, Ärger mit den Diplomaten und einem finalen erfolgreichen politischen Beschwichtigungsversuch Seitens Angel Merkel schien der Käse gegessen.
Im Neo Magazin Royale vom 31. März trug Böhmermann dann sein „Schmähgedicht“ vor, oder besser: Er rahmte es explizit so ein, dass klar war, dass es rechtliche Grenzen und die Freiheiten der Presse gibt. “Alle Leute waren auf einmal auf einer Linie. Das muss zugelassen werden. Je suis extra3”. Böhmermann lobte sogar den expliziten Aufstand der Zivilgesellschaft, selbst den der opportunistischen Beatrix von Storch. Er machte klar, dass das, was er gleich tut verboten ist:

Böhmermann: “Es gibt Fälle in wo man in Deutschland, in Mitteleuropa Sachen macht die nicht erlaubt sind. Also es gibt Kunstfreiheit. Das eine ist Satire und Kunst und Spaß das ist erlaubt, und auf der anderen Seite… Ich glaube … wie heißt es?”
Kabelka: “Schmähkritik”
Böhmermann: “Schmähkritik. Das ist ein juristischer Ausdruck. Was ist Schmähkritik?”
Kabelka: “Wenn du Leute diffamierst. Wenn du einfach nur so untenrum argumentierst. Sie beschimpfst. Du sie herabsetzt.”
Böhmermann: “Herabwürdigen. Das ist Schmähkritik. Und das ist in Deutschland auch nicht erlaubt. Das ist auch nicht erlaubt. Haben Sie das verstanden Herr Erdogan. Das kann bestraft werden. Dann können auch Sachen gelöscht werden. Aber erst hinterher nicht vorher. Ist vielleicht etwas kompliziert. Vielleicht erklären wir das ‚mal an ‘nem praktischen Beispiel mal ganz Kurz. Ich hab ein Gedicht mit. Das heißt Schmähkritik.”
– Zitat Neo Magazin Royale vom 31. März 2016 (vgl. SPIEGEL Online)

Das Gedicht war also bereits ironisch gebrochen gerahmt. Und es scheint, dass jeder, der etwas anderes behauptet, den “Rahmen” nicht gesehen hat, sondern allein das Gedicht. Eine Sache bei der sich die öffentliche Diskussion mal entzünden könnte, aber ein Eklat mit Kontext wird selten ein Eklat, sondern meist schnell ein einvernehmliches Übereinkommen. Das Schmähgedicht war gerahmt in ein Konstrukt, das explizit immer wiederholte, wie strafbar Böhmermanns Tun sein könne, wenn es denn wirklich wäre wie schien, und nicht nur ein Spiel mit den zivilgesellschaftlichen Reflexen der Deutschen. In Deutschland herrscht Pressefreiheit. Journalisten wegen Hochverrats anzuklagen produziert – mit Recht – einen hochbrisanten innenpolitischen Skandal. Einer Satiresendung ein schales Liedchen verbieten zu wollen einen diplomatischen Konflikt. In der Türkei hingegen sind Journalisten unter ständiger Beobachtung und dauerhaft in Gefahr. Das Regime Erdoğans lässt keine Abweichungen und Kritik zu. Es herrscht faktische Gleichschaltung, und wie problematisch die Gleichschaltung der Medien ist wissen wir Deutschen noch am besten. All diese problematischen Ereignisse und Zustände spiegeln sich in Böhmermanns Versuch wieder. Er müsste, wenn wir in Deutschland auf unseren Freiheiten bestehen würden ein solches Gedicht in diesem Rahmen vortragen können. Wenn wir das als Zivilgesellschaft nicht mittragen können, dürfen wir uns vielleicht auch nicht mehr so lauthals Beschweren, wenn die türkische Regierung mal wieder Journalisten einsperrt, weil sie gegen Anstand und Moral verstoßen haben.

An Kooperation interessiert

Gut, man kann dagegen halten, dass Böhmermanns Gedicht rassistisch, schlecht und platt war. War es vielleicht auch, war es aber vielleicht auch mit Absicht. Damit es weh tut.
Aber hat jemand wie Erdoğan noch das Recht, sich über Beschimpfungen wie „Ziegenficker“ zu beschweren? Hat er nicht schon längst ein Niveau erreicht, das ihm jedes Recht nimmt die deutschen Medien zu kritisieren? Einem Slobodan Milosević hätte man getrost den Mittelfinger gezeigt, wenn er versucht hätte, wegen so etwas in Deutschland zu klagen. Auch bei Viktor Orban oder anderen innereuropäischen Halunken, die es mit Recht und Gesetz nicht so genau nehmen und welche von Böhmermann explizit aufgezählt werden, würde man die Beschwerden kaum ernst nehmen. Bei Erdoğan ist das scheinbar etwas anders. Die Türkei ist, trotz massiver Menschenrechtsverletzungen, hoher Korruption und der Einschränkung der Pressefreiheit ein politischer Partner der Europäer. Akut stellt die Türkei, so scheint man in der EU zu glauben, das letzte Bollwerk gegen die vermeintlich unberechenbaren Flüchtlingsströme dar. Dort kann unbürokratisch alles ausgewiesen werden was nicht niet- und nagelfest ist. Ein Plan, für den die EU 3 Milliarden Euro an die Türkei gezahlt hat.
Man ist also an der Kooperation mit der Türkei interessiert.

Isch liebe ihn, aber isch hasse ihn auch.

Die Bundesregierung ist jetzt in einer Zwickmühle. Nach Merkels Äußerung, dass das Gedicht „bewusst verletzend“ war – natürlich war es das, nur darum ging es – besteht zumindest die Möglichkeit, dass die Bundesregierung Erdoğans Gesuch um Strafverfolgung nach §103 StGB (dem Schah-Paragraphen) stattgeben könnte. Aber die Bundesregierung würde damit eine unmögliche Situation schaffen und sich in eine Reihe mit den ganzen tyrannischen Pseudo-Demokraten Europas stellen. Das ist etwas, was Merkel im Rahmen der Flüchtlingswelle gerade nicht getan hat, und dafür eine Menge Lob erntete. Zudem würde man den langen Arm der Unterdrückung durch Erdoğan bis nach Deutschland wachsen lassen.
Die andere Möglichkeit wäre wohl, den Antrag abzulehnen, Böhmermann mit dem Schrecken davon kommen zu lassen und sich eine potentielle Verstimmung mit der Türkei zu leisten. Vermutlich nichts, was nicht bald in Vergessenheit geraten könnte, aber mit der akuten Situation der Flüchtlingsproblematik im Hinterkopf ist Berlin damit vielleicht etwas vorsichtiger.
Es gäbe noch einen dritten Weg. Er ist der demokratische, und vielleicht der beste . Man lässt die Klage zu. Böhmermann kommt vor Gericht. Das Strafverfahren zieht sich – wie sowas ist – ewig hin und die Klage wird nach acht Monaten und vier Prozesstagen abgewiesen. (Was war eigentlich letzte Woche im NSU-Prozess los? Ach nix. Verstehe.) Warum? Weil die Klage selbst nicht haltbar ist. Kaum ein klar denkender deutscher Jurist würde Jan Böhmermann dafür verurteilen. Die Überprüfung von Böhmermanns Schuld, nichts anderes ist ein solches Verfahren würde für ihn gut ausgehen. Man hätte einmal die Gelegenheit ein Exempel zu statuieren – im ganz positiven Sinne. Man könnte zeigen, dass eine rechtsstaatliche Demokratie so ein Verfahren aushalten kann, und vor allem unterscheiden kann zwischen Schmach und Satire. Deutschland könnte an sich selbst zeigen, was die Türkei falsch macht, und wo die Grenzen zwischen grundgesetzliche Würde des Menschen und der Pressefreiheit liegen.
Bis der Prozess dann Monate später durch ist. interessiert die Geschichte niemanden mehr richtig und Jan Böhmermann hat schon fünf weitere Finanzminister, Fernsehmoderatoren oder Staatsoberhäupter auf ihrer eigenen Verbohrtheit in die Scheiße geritten.
Dass aber Angela Merkel über die Affäre stützen könnte, wie von einigen Seiten behauptet, ist wohl eher ein (Wunsch-?)Traum. Eine Angela Merkel kriegt auch ein Böhmermann nicht aus dem Amt.

Vielleicht auch einfach nicht so ernst nehmen

Vermutlich wäre aus Böhmermanns Gedicht ein vollständiger Rohrkrepierer geworden, wenn am Wochenende drauf das ZDF, während der zuständige Programmredakteur Norbert Himmler im Urlaub war, die Folge des Neo Magazin Royale nicht geschnitten hätte und das Gedicht entfernt. Dann wäre wohl keine Welle der Empörung über das Gedicht entstanden. Das Gedicht wäre längst in Vergessenheit geraten und man hätte sich eher über Ronja von Rönnes Weigerung „Schnapp die Wurst“ zu spielen echauffiert. Aber es kam die Pressemitteilung und alle Medien sprangen darauf an. Böhmermann hat wieder was gemacht, dass das altehrwürdige ZDF zum Handeln gezwungen hat. Wann kommt bloß der Punkt an dem die Sendeanstalt die Nase voll hat vom hipsterigen Fernsehclown? Mag es heute sein? Und was passiert jetzt eigentlich? Ach! Es gibt Paragraphen gegen Böhmermanns Tat? Das könnte strafbar sein? Sogar eine Form von Majestätsbeleidigung? Dann spekulieren wir doch mal so lange laut rum, bis auch der letzte Türke weiß, dass man Erdoğan im deutschen Fernsehen als Ziegenficker bezeichnen kann, ohne gleich hinter Gittern zu landen. Vielleicht hätte man Jan Böhmermanns Quatsch einfach mal nicht ganz so ernst nehmen müssen.
Die zivilgesellschaftliche Reaktion auf den Fall war bisher eher mau. Bei extra3 gingen alle fast noch auf die Straße, aber bei Böhmermann reagiert die Öffentlichkeit nur marginal. Ein wenig desinteressiert fast sogar, und es kommt zum schwächsten Fall der demokratischen Kritik, zur Change.org-Onlinepetition. 150.000 Klicks für “Je suis Böhmi – #freeböhmi”. Nicht mal für eine, immerhin demokratisch relevante, Bundestagspetition hat es gereicht, nein es musste Change.org sein, deren Petitionen eigentlich auch gleich im Schredder landen könnten. Die Energie. sich laut und sichtbar hinter die eigenen Medien und die deutsche Pressefreiheit zu stellen. hat die deutsche Zivilgesellschaft scheinbar schon bei extra3 aufgebraucht. Einzig ein kleiner Trittbrettfahrversuch von Dieter Hallervorden, ein wenig Schützenhilfe aus unerwarteter Ecke von Yannis Varoufakis und Oliver Welke standen dem Moderator bisher zur Seite.

Und jetzt, kleiner blasser Junge?

Jan Böhmermann hat die nächste Folge des Neo Magazin Royale abgesagt, ebenso wie die Sanft & Sorgfältig-Folge davor und auch seinen Auftritt beim Grimme-Preis. Inzwischen steht er sogar unter Polizeischutz. Es bleibt zu hoffen, dass Böhmermann aus dieser Zauberlehrling-Situation bald wieder herauskommt und nicht der Agenda der Bundesregierung zum Opfer wird. Aber Böhmermann wäre nicht Böhmermann, wenn er nicht auch daraus wieder was neues machen könnte.

 

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