#merkelschweigt nicht mehr. Was bringt’s?

Angela Merkel hat sich zu den Anschlägen gegen Flüchtlingsunterkünfte geäußert. Was bringt Merkels zögerliche und späte Äußerung?

Vor Kurzem schrieb Mika Doe auf, warum das Wort „Flüchtlingskrise“ ein Problem ist. Inzwischen hat sich an den vielen brennenden Flüchtlingsunterkünften und gewaltsamen Übergriffen gezeigt, dass Worte Macht haben und die falschen Worte Situationen verschärfen können. Und die richtigen Worte, zu zögerlich gesprochen, aber auch nicht helfen.

Die Asylgegner von Heidenau

Nach dem rechten Krawall in Heidenau empörten sich die „neuen Medien“: Es wurde nicht einfach falsch bezeichnet, es wurde überhaupt nicht bezeichnet. Wo die Menschen, die hierher flüchten, um dann teilweise zu Opfern rechter Gewalt zu werden, falsch problematisiert wurden, wurden die zugehörigen Täter einfach überhaupt nicht einordnend bezeichnet. Während auf Twitter Watch-Accounts wie Straßengezwitscher die Menschen, die gewalttätig gegen Flüchtlinge und Flüchtlingsunterkünfte werden, richtig als Rechte, Nazis und Rassisten bezeichnet wurden, wurde in den Mainstreammedien von „Asylkritikern“ gesprochen (wir erinnern uns: PEGIDA waren auch nur „besorgte Bürger“). Ein rechter Hintergrund wurde „vermutet“, obwohl Heidenau bei weitem nicht der erste Ort war, in dem es zu Ausschreitungen gegen Flüchtlinge kam.

Captain Obvious, möchte man meinen

Eindeutiger kann ein Zusammenhang eigentlich kaum sein, aber anders als bei einer tatsächlich komplizierten Gemengelage wie dem „Flüchtlingsproblem“ wollte man sich nun in den Redaktionen offenbar nicht zu voreiligen Urteilen hinreißen lassen. Das blieb den Menschen, die ziemlich schnell zum richtigen Urteil „rechter Terror“ kamen, nicht verborgen und so trendete am Tag nach den ersten Vorfällen in Heidenau blitzschnell der Hashtag #vermutlichefilme (Link: ). Auch zu anderen wilden „Vermutungen“ ließ man sich auf Twitter hinreißen.

https://twitter.com/Nabertronic/status/635583603674624000

Froben Homburger von der dpa hat sich inzwischen übrigens kritisch an der Kritik zum Wörtchen „vermutlich“ geäußert.

#merkelschweigt

Worauf aber alle wirklich warteten, war ein persönliches Statement von Angela Merkel, denn #merkelschweigt, bzw schwieg. Anders als andere Politiker, deren Kommentare zeitiger kamen, ließ die Kanzlerin sich ordentlich Zeit und schickte erst den Regierungssprecher vor, bevor sie selbst fast vier Tage nach #Heidenau vor das Mikrofon trat. Eigentlich schön, wenn das Staatsoberhaupt als Repräsentantin des Landes öffentlich rassistische Gewalt ablehnt. Leider wirkte die Verzögerung und Merkels stotteriger Vortrag überhaupt nicht so, als handele es sich hierbei im eine Meinung, hinter der die Kanzlerin auch selber steht. Angie war noch nie eine Emotionskanone, aber überzeugender und überzeugter hat sie in der Vergangenheit bei Gelegenheit gesprochen. Zynisch, wer denkt, nur der Druck der alten und vor allen Dingen neuen Medien hätte die Kanzlerin zu einem beschwichtigenden Pflichttermin aus der Reserve gelockt.

Zwei Tage später besuchte Angela Merkel als Zeichen Ihres Interesses dann noch Heidenau und spulte eine ähnliche Kassette ab.
Den Mob hat’s aber nicht interessiert. Der skandierte lustig „Volksverräterin“ und „Lügenpresse“ oder aber, besonders schön, „Fotze“, „Schlampe“ und „Hure“ während des Kanzlerinnenbesuchs. Den Mob hat’s auch vorher nicht interessiert, als er in Nauen ein weiteres Flüchtlingsheim anzündete, in Gestalt eines Betrunkenen Kinder in der Berliner U-Bahn bepisste und mit Messern bewaffnet ein paar Asylanten umlegen wollte. Und den Mob wird’s wahrscheinlich auch weiterhin nicht interessieren, wenn es augenscheinlich keine Konsequenzen für Täter gibt und die Gegenstimmen nicht endlich so laut sind wie die eigenen dummen Parolen.

#merkelschweigt nicht mehr

#merkelschweigt nicht mehr, das ist aber in einem Klima, in dem man endlich wieder alles sagen kann, „was mal gesagt werden muss“ egal. Ein Klima, in dem endlich auf political correctness und heimliche Meinungen verzichtet werden kann und stattdessen brennende Tatsachen geschaffen werden.
Was tun? Mit Verständnis kommt man den „besorgten Bürgern“ nicht bei, wenn die „Sorge“ in Hass umschlägt. Stattdessen bräuchte es vermutlich (pun intended!) erst einmal mehr, überwältigend mehr Gegenwind. Die Zahlen, die gegen „Die nehmen uns die Arbeit weg“ (oldschool) und „Wofür brauchen die so viel Taschengeld, dass dann bei mir fehlt?“ (newschool) sprechen, wiederholen bis zum Erbrechen. Klare Benennung von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Nicht nur punktuelle Statements und einzelne polizeiliche Maßnahmen bräuchte es, sondern mehr und anhaltend und von allen. In einem Land, in dem die Meinung der Mehrheit zählt, zeigen, dass es diese Mehrheit (hoffentlich) gibt, und sich nicht nur die Filterbubbles auf Twitter die Finger wundtippen. Zurückhaltung kann für niemanden mehr eine Option sein, der die Ausschreitungen und Stimmungsmache gegen Flüchtlinge und Migranten auch nur im Entferntesten falsch findet.

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