Ein offener Brief an Henryk M. Broder

Über Rassismus, generalisierende Urteile und den schönen Schein der Rhetorik. Unsere Autorin über Henryk M. Broders Meinungsbeitrag Was Blümchen in Idomeni zu sehen bekam.

Sehr geehrter Herr Broder,

ich möchte nicht mit Ihnen streiten, doch ich habe ein paar kleine Anmerkungen zu Ihrer Kolumne Was Blümchen in Idomeni zu sehen bekam  in der WELT.

Sie beginnen Ihren Artikel mit der Berichterstattung über den Besuch Norbert Blüms im Lager Idomeni. Aber ich glaube, es ging Ihnen nicht um Norbert Blüm, den Sie mit dem Spitznamen „Blümchen“ verniedlichen. Wie so einen lustigen alten Opa, der so naiv war zu glauben, die Rente sei sicher, und jetzt im Schlamm mit Flüchtlingen Kumbaya singen will. Sie stellen Ihre ganz eigenen Fragen zu seinem Besuch: Wie ist er dorthin gekommen? Was ist mit dem Kamerateam? „Hat er auch ein eigenes Dixie-Klo mitgebracht oder musste er am Morgen mit den anderen Flüchtlingen Schlange stehen?“
Diese Fragen wären berechtigt, wenn Sie an seinem Aufenthalt an sich interessiert wären. Wenn Ihre Fragen das Ziel des Erkenntnisgewinns hätten und nicht das Ziel, den Besuch als sentimentales Medienbekuscheln zu entlarven. Mich beschleicht das unangenehme Gefühl, Herr Broder, dass Sie kein Interesse am Erkenntnisgewinn haben, sondern Ihre Fragen einer ironischen Überleitung dienen. Denn Menschen werden immer so furchtbar betroffen, wenn es um Flüchtlinge geht. Die werden immer ganz empathisch und die Frage nach Norbert Blüms Stuhlgang lockert schon mal die Stimmung, für das, was Sie noch zu sagen haben.

Doch vielleicht tue ich Ihnen Unrecht, Herr Broder. Schließlich heißt Ihr Artikel ja Was Blümchen in Idomeni zu sehen bekam und Sie sind ja schon lange im Geschäft und bestimmt können Sie mir ganz genau erklären, was Blüm in Idomeni zu sehen bekam und ich bin mir sicher, dafür müssen Sie nicht einmal vor Ort gewesen sein. Sie sind ja schon lange im Geschäft.
Ihre zweite Frage sei komplexer, sagen Sie. Was wollen die Flüchtlinge eigentlich? Ich denke zwar, dass die Frage eigentlich nicht so sehr komplex ist, denn das Recht auf Asyl ist ein Menschenrecht und nicht sterben zu wollen ist doch auch nicht so kompliziert. Doch ich gebe Ihnen Recht, Herr Broder. Es ist gut, Fragen als komplex wahrzunehmen, denn häufig kommt es dann zu bedachteren Antworten, und das ist es doch, was wir alle wollen. Gute Antworten, besonders in diesen schwierigen Zeiten, in denen die Fremdenfeindlichkeit das ergreift, was wir „Deutsche Mitte“ nennen.

Sie beschreiben die Beharrlichkeit der Flüchtlinge. Sie schreiben, die Menschen harren dort aus, um den Moment der Grenzöffnung nicht zu verpassen. Eigentlich müssten die Flüchtlinge es besser wissen, denn Sie haben ja Smartphones und sind gut vernetzt, sagen Sie. Wie wunderlich. Herr Broder, ich muss Ihnen danken, denn nun erklären Sie der Leserschaft „die“ muslimische Kultur, ein exklusiver Einblick in die Psyche der Flüchtlinge. Ganz ohne Fußnoten, Zitate, Belege. Märtyrer zu sein, sei für Muslime, wie für „uns“ Eventmanager werden. Mal ehrlich, Märtyrer werden ist echt einfach, weil dafür braucht man keinen Bachelor in irgendwas mit Medien. Wieso harren denn diese ganzen Muslime da an der Grenze aus, wieso klammern sie sich an ihr Leben, wenn sie sich ihren Berufswunsch viel einfacher erfüllen könnten, ganz ohne Umweg über Europa? Sterben kann man überall, das hat uns diese Krise doch gelehrt.

Herr Broder, ich mache mir Sorgen. Betrachten Sie den Sachverhalt vielleicht doch nicht als so komplex, wie Sie sagen? Sie klingen, als wägten Sie ab, als seien Sie bedacht, als würde Ihnen all dies wirklich Kopfzerbrechen bereiten. Doch das ist nur Rhetorik, denn was Sie inhaltlich tatsächlich sagen, ist heftig und generalisierend. Rassismus nennt man das, wenn man solch generalisierende Aussagen über eine  Gruppe von Menschen auf Grund ihrer Herkunft macht. Doch es klingt nicht wie Rassismus, weil Sie sich gut ausdrücken können. Hier zum Beispiel: Sie schreiben, mit mehr Menschen aus anderen Ländern werde Deutschland „auch ein wenig gewaltaffiner, wie man spätestens seit der Silvesternacht in Köln und andernorts weiß, ohne dass dies einen Generalverdacht rechtfertigen würde.“

Wie clever, Herr Broder. Kein Generalverdacht! Nein! Nicht einmal eine Warnung, bloß ein ins-Gedächtnis-rufen. Wisst ihr noch? Da in der Silvesternacht. Sie rufen ins Gedächtnis, wägen ab und behaupten, doch was Sie sagen (wenn man Ihr rhetorisches Geschick einmal außen vorlässt), ist dies: Muslime teilen unsere Werte nicht. Sie verachten den Westen, aber wollen unseren Wohlstand ausnutzen, haben eine Doppelmoral (man kann ihnen also nicht trauen). Sie bringen Märtyrerkult nach Deutschland, und damit eine Form von Selbsttötung über die sie weder Scham noch Trauer empfinden (was bedeutet das für den Terrorismus, fragen Sie die Paranoiden zwischen den Zeilen). Sie glauben, sie hätten das unanfechtbare Recht in Deutschland zu leben und kennen keine Dankbarkeit.

Ich schrieb zwar, ich wolle mich nicht streiten, aber Herr Broder! Sie klingen wie die Rechten! Sie sagten doch, der Sachverhalt sei komplex, wieso kommen mir Ihre Antworten dann so eindimensional und, ja, menschenverachtend vor?
Sie schreiben: „Es ist, als würden Schiffbrüchige, die in einem Rettungsboot auf hoher See dahintreiben, darauf warten, dass ein Schiff ihrer Wahl vorbeikommt und sie aufnimmt. Es sollte schon ein großer Dampfer mit gutem Service sein, keine schlichte Barkasse.“ Diese Metapher hat mich schwer getroffen. Denn Ihnen ist doch durchaus bewusst, dass regelmäßig Menschen bei der Überquerung des Mittelmeers sterben. Diese Menschen kommen in Schlauchbooten. Ich weiß, es ist eine Metapher dafür, dass Flüchtlinge unbedingt nach Deutschland wollen, auf den großen Dampfer also. Doch Sie haben diese Metapher mit Absicht gewählt, fast so, als würden Sie sich über das Schicksal dieser Menschen lustig machen.
Woher kommt diese Häme im Angesicht einer humanitären Katastrophe? Wieso beantworten Sie nicht die Frage, was Blüm in Idomeni zu sehen bekam? Wieso behauptet Ihr Stil eine Differenzierung, während aus Ihren Worten Verachtung spricht? Wieso fragen wir uns, wie eine Partei wie die AfD so viele Stimmen erhalten kann, wenn Menschen wie Sie für Ihre Ergüsse einen Meinungsbeitrag in der Welt bekommen?

Mit freundlichem Gruß und mit noch immer zu Berge stehenden Haaren,
Mika

Bildquellen

  • Henryk_M._Broder,_hier_zur_Lesung_in_der_Reihe_ZU_GAST_BEI_DECIUS,_Marktstraße_52_in_Hannover_am_5._September_2013: Bernd Schwabe / CC BY-SA 3.0