Tatort Fan Fiction: Was sich liebt, das neckt sich

Wenn der Tatort mal wieder langweilig war: Die Tatort Fan Fiction ist es nicht. Besonders nicht, wenn es ans Lieben und Verlieben geht. Gila Hofmann hat für uns die schönste Tatort Slash Fan Fiction ausgegraben. Und erklärt, was es damit auf sich hat.

Während beim letzten Münsteraner Tatort „Erkläre Chimäre“ Twitter damit vollgespamt wurde, dass der Fall ganz schön öde war, ging für viele Menschen – vornehmlich Frauen – ein kleiner feuchter OTP-Traum in Erfüllung. Ein OTP ist ein One True Pairing, also das Paar einer Serie, eines Films, etc, das von der Fancommunity als ultimativ angesehen wird. Manchmal stimmt ein OTP mit den tatsächlichen Liebesbeziehungen im Original überein, manchmal auch nicht. Meistens liefert bei Nichtübereinstimmen die Serie selbst jedoch eine brauchbare Vorlage, mit der die Fans weiterarbeiten können. Thiel und Boerne sind zum Beispiel mit ihren ständigen Sticheleien das perfekte „alte Ehepaar“. Und in „Erkläre Chimäre“ ist die Beziehung noch ein wenig zweideutiger geworden. Statt zu twittern kann man sich eben auch auf eine ganz andere Art mit dem Tatort auseinandersetzen: Fan Fiction und, weil es so viele männliche Ermittlerpaare mit komplizierten Männerfreundschaften gibt, natürlich Slash Fan Fiction, also homoerotische Fan Fiction. Zwischen Homosozialität und Homoerotik liegt laut Sozialwissenschaft nur ein schmaler Grad, und an dieser Grenze schreiben Slash Fans.
In den einschlägigen, öffentlichen Fan Fiction-Archiven gibt es eine Menge Tatort Fan Fiction. Das meiste davon ist vielsagenderweise Münster-Slash: auf fanfiction.com finden sich zwar nur fünf Texte, alle jedoch zu Münster. Auf fanfiktion.de gibt es 345 Tatort Fan Fictions (Stand: 05. Juni 2015), davon 192 mit dem Pairing Thiel/Boerne und davon 108 mit „Slash“ getagged. Auf archiveofourown.org sieht es ähnlich aus: 408 Tatort- Fan Fictions (Stand: 05. Juni 2015), davon 219 zu Thiel/Boerne (217 davon auf deutsch). Anders als auf anderen Seiten kann man sich hier nicht gezielt die Anzahl von Texten mit einem bestimmten Tag anzeigen lassen, aber der am häufigsten genutzte Tag in der Kategorie „Tatort“ war „Slash“ mit 103 Taggings.

Slash? Nie gehört.

Was genau ist Slash? Seltsam dass das Genre immer noch ein literarisches Schattendasein führt, denn das Internet ist voll davon. Geboren wurde Slash Mitte des letzten Jahrhunderts, als Star Trek-Fans anfingen, Geschichten zu Kirk/Spock zu schreiben, das erste und ultimativste Slash-OTP (google it – das Leben wird sofort besser). Das Slash-Zeichen in der Mitte zwischen den Namen zeigt nicht nur an, dass die Personen ein Pairing sind, sondern war auch Namensgeber des Genres. Slash bezeichnet Fan Fiction homoerotischen, meist schwulen Inhalts (von harmlos bis Hardcore-Porno), die in der Mehrheit von heterosexuellen Frauen geschrieben wird. Slash mit weiblichen Pairings gibt es auch, allerdings weit weniger, weswegen das der Auffindbarkeit halber häufig als FemSlash bezeichnet wird. Was Slash für so viele Menschen interessant macht? Darauf gibt es keine eindeutige Antwort. Als Slashfan googelt man zwar reflexartig bei jeder Serie, jedem Film, jedem Spiel zuerst das Slash-OTP, kommt aber, wie die Fanforschung auch, auf keine schlüssige Formel zum großen „Warum?“. Hauptsächlich macht es Spaß, aus vielen Gründen. Wer sich gerne in die „Warum?“-Thematik einlesen will, der kann das hier fundiert tun.

Romantische Utopie

Es ist jedoch keineswegs so, dass sich sehr viele Frauen dauernd in Textform einen auf Thiel und Boerne runterholen. Erstens stammt die Mehrheit der Tatort-Fan Fictions in den hier genannten Archiven von nur ca. drei Autorinnen und zweitens sind die expliziten Geschichten in der absoluten Minderheit: eine einzige als Ü18-geratete „Porn Without Plot“-Geschichte gibt es auf fanfiktion.de, und auf archiveofourown.org sind es insgesamt 19 in den Contentkategorien „Explicit“ und „Mature“. Wenn sich also ein wohliges Gefühl verschafft wird, dann nur im Herzen, mit ganz vielen positiven Gefühlen. Bei fanfiktion.de sind 65% aller Thiel/Boerne-Slash-Texte mit „Romanze“ getagged, gleich danach kommt „Humor“. Bei archiveofourown.org fehlt auch hier das Tool um die Genre-Tags zu eruieren aber wenn man sich durchgescrollt wird schnell klar, dass es ähnlich aussieht. Das bestätigt, was bei intensiverer Beschäftigung mit Slash schnell klar wird: heißer Sex gehört dazu, jedoch meist nur angedeutet und als Krönung einer langen und schwierigen Liebesgeschichte. So wie man das von jeder guten Romanze kennt. Slash hat inhaltlich und strukturell viel weniger mit Pornographie und viel eher etwas mit romantischer Literatur zu tun. Im englischen Sprachraum gibt es das Genre „Romance“, dessen Definition wunderbar zu Slash passt, und wer Lust hat, kann sich mit den Konzepten „Romantopia“ und „Intimatopia“ auseinandersetzen, die Slash als utopisch-romantische Literatur beschreiben.

Kein Happy End für Thiel und Boerne

Das Witzige an „Erkläre Chimäre“ war nun, dass die Autoren nicht nur den Traum vieler, vieler Zuschauerinnen beinahe kanonisiert hätten, sondern unter den Vorzeichen der Komik erstens wahnsinnig plump vorgegangen sind (Zwei Männer, die sich nicht richtig leiden können, müssen ein Paar spielen. Wie wahnsinnig witzig. Nicht.) und sich zweitens der lahmsten, klischeehaftesten, abgenutztesten Slash-Trope bedient haben: die einfachste Erklärung mit dem schlüssigsten Plot-Twist, warum zwei Figuren sich ineinander verlieben, obwohl sie nichts miteinander am Hut haben oder sich nicht (so) mögen, ist, sie in eine vorgespielte Beziehung zu stecken. Die nur dazu dient und immer damit endet, dass die beiden sich ihrer wahren Gefühle für einander bewusst werden. Happy End. Spannung erzeugt dabei allein die Frage, wann die Beiden endlich darauf kommen, dass sie gerade „Beziehung“ mit den großen Lieben ihres Lebens spielen – die sie leider hassen.
Also Daumen hoch für die Autoren vom Tatort, die kein dummes Klischee ausgelassen – und sicher nicht nur deswegen, weil sie keine Ahnung von Slash und der großen Tatort-Slash-Fangemeinde haben – und dann nicht einmal das erzählerische Klischee konsequent durchgezogen haben, was den Tatort sofort sehr viel interessanter gemacht hätte. Und zwar für alle.
Und warum nochmal finden so viele Menschen schmalzige Liebesgeschichten mit Thiel und Boerne reizvoll? Die Frage versucht die Fanforschung seit mehr als dreißig Jahren zu beantworten, siehe oben. Wer den ersten Schritt zum Verständnis machen will, liest nach einem stressigen und anstrengenden Tag probehalber ein wenig guten Slash-Fluff, ein herzerweichend harmlos-kitschiges Fan Fiction-Genre. Oder wenn der Glauben an die Menschheit oder die Welt verloren gegangen ist. Nichts salbt die Seele so gut wie die Geschichte zweier Menschen, die trotz aller Widerstände (Off-Kanon! Homophobie! Gay for You!) zusammen finden. Natürlich hilft auch die nächstbeste Komödie mit Sandra Bullock.

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Hier noch die schönsten Textstellen der Münster-Slash-Recherche:

„Wir sind Ernie und Bert.“ Thiel hörte, wie ungläubig seine eigene Stimme klang.
„Das haben Sie doch gerade schon behauptet. Da brauchen Sie doch jetzt nicht so verdattert zu tun.“
„Aber jetzt weiß ich, dass es tatsächlich wahr ist“, sagte Thiel mit Bestimmtheit.
Boernes Blick umwölkte sich erneut, und Thiels Stimmung sank.
Aber ein paar Augenblicke später guckte Boerne schon wieder viel freundlicher und sagte beinahe fröhlich: „Da ist übrigens ein Fehler in Ihrer Schlussfolgerung, Thiel.“
„Wieso?“
„Sie haben doch gesagt, es würde sich lediglich um Gerüchte handeln, dass dieser Ernie und dieser Bert ein schwules Pärchen sind. Woher wollen Sie also wissen, dass jemand uns mitteilen wollte, dass wir auch …“ Boernes Stimme brach ab.
„Was hätte man uns denn sonst mitteilen wollen? Dass ich gern mit einem Quietscheentchen spiele? Oder dass Sie immer über mich den Kopf schütteln?“ Thiel lachte bitter auf. „Na, das letzte stimmt ja wahrscheinlich sogar.“
(http://www.fanfiktion.de/s/4f2ed164000202e70651d0d8/1/Ernie-und-Bert)

 

Einen Herzschlag lang geriet er ins Schwimmen. Natürlich wußte er, als weltgewandter Mann, wie er sich in einer solchen Situation zu verhalten hatte. Doch Thiel war nicht wie seine sonstigen Verabredungen, Thiel war anders. Mit Thiel lagen die Dinge anders. Er zweifelte noch, ob er einfach gehen, eine zweideutige Bemerkung machen, oder einen Kaffee in seinen eigenen vier Wänden anbieten sollte, da sagte Thiel auch schon, den Schlüssel in der Hand, „Also dann. Gute Nacht, Boerne. Das war ja… nett heute.“
Und weil ihn die Panik übermannte, was mit ihm geschähe, wenn diese Tür so einfach zwischen ihnen zufiel, faßte er einen unbedachten Entschluß. Er beugte sich zu Thiel hinab und küßte ihn. Leider wandte dieser sich in eben jenem Augenblick seinem Türschloß zu, und so verfehlte Boerne die anvisierten Lippen um Haaresbreite. Die Gesichter lediglich Zentimeter voneinander entfernt, starrten sie sich beide, aus unterschiedlichen Gründen entsetzt, an. Mehr zu sich selbst als zu Thiel murmelte er „Das kann ich besser“, überbrückte die Distanz zwischen ihnen erneut und diesmal fanden sie zueinander.
(http://www.fanfiktion.de/s/49d3123b0000c0df0651d0d8/1/Du-und-ich)

 

Boerne seufzte zufrieden. Der süße Geruch der Schokoladensauce, die Thiel langsam und bedächtig von seiner Haut küsste, stieg ihm in die Nase.
(http://www.fanfiktion.de/s/4ff092ce000202e70651d0d8/1/Schokoladensauce)

 

Boernes Lippen waren überraschend weich und Thiel mußte in den Kuß grinsen. Endlich hatte er einen bombensicheren Weg gefunden, wie er den Professor dazu bringen konnte, seine große Klappe zu halten.
(http://archiveofourown.org/works/101716)

 

„Wenn er ganz ehrlich mit sich war, und das war er nur sehr ungern, gab es neben den hundertachtzigtausend offensichtlichen Gründen warum Boernes Plan seinem Erbonkel eine homosexuelle Beziehung vorzutäuschen, um an dessen Geld zu gelangen, noch einen kleinen anderen Dorn, der ihm im Fuß steckte. Als Boerne ihm zum ersten Mal heute morgen an der Wohnungstür davon erzählt hatte, da schoß ihm sofort ein Bild durch den Kopf, dass er den ganzen Tag nicht hatte löschen können. Und dieses Bild war für ihn viel schwieriger zu überwinden, als die Angst, dass er sich lächerlich und zum Gespött des Präsidiums machen würde. Für einen kurzen Augenblick, so lang wie ein Wimpernschlag, hatte er es gesehen, gespürt, als ob es wahr wäre. Boerne und er. Nackt im Bett, die Arme umeinander geschlungen, küssend, Hände die über seine Haut fuhren und seinen Körper näher an den des anderen drückten. Und es hatte ihm die Luft zum Atmen abgeschnitten.
(http://archiveofourown.org/works/2559857/chapters/5691572)
[Anmerkung: Das hier ist ein Teil aus einer tatsächlichen „Erkläre Chimäre“-Fan Fiction]

 

„Also nee, Boerne, muß das sein?“
„Was denn?“
„Haben Sie nicht gelernt, daß man nicht mit den Fingern ißt?“
„Spargel wohl, auch wenn das vielleicht Ihren bescheidenen Horizont -“
Thiel verdrehte genervt die Augen. „Das sieht echt unanständig aus.“

„Ihre Phantasie möchte ich haben.“
Thiel spürte, wie ihm die Wärme ins Gesicht stieg.
(http://archiveofourown.org/works/941303/chapters/1835546)

Bildquellen

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