The Lobster: That’s Why the World Is Full of Dogs

Giorgos Lanthimos The Lobster tritt so lang auf seine ZuschauerInnen ein, bis sie ganz komische Geräusche machen

Die Grundidee des Plots ist so einfach wie genial und wird uns bereits in den ersten fünf Minuten des Films erzählt: Gezeigt wird eine Gesellschaft, die ihren Mitgliedern den Zwang auferlegt, in einer Paarbeziehung zu leben – wer allein ist, wird zum Tier, und diese Metapher ist hier ausnahmsweise einmal wörtlich gemeint. Immerhin können sich die meisten dieses Tier noch selbst aussuchen – glücklicherweise, denn dieser Umstand verleiht dem Film seinen rätselhaften Titel und sorgt zugleich dafür, dass die Bilder der irischen Landschaft mit allerlei Viehzeug bevölkert werden – Kamele und Flamingos tummeln sich in den nasskalten Wäldern und erinnern uns auch dann noch an das grundlegende Bedrohungsszenario, wenn es schon längst durch ein anderes überschrieben wurde.

Der Film als Black Box

Der Film des griechischen Regisseurs Giorgos Lanthimos erzählt eine Art behavioristischen Versuchsaufbau, die methodische Anordnung bildet sich ab bis in die Ebene der Sprechweise: Uns wird ein Protokoll vorgespielt, Kommunikation dient zum Austausch von Information, und ob sich hier eine fiktionale Realität abbildet oder ob der Hund schlauer ist als sein Herrchen und uns nur das zeigt, was wir sehen wollen, bleibt uns bei dieser Betrachtung notwendigerweise verborgen – was wir sehen ist eine Oberfläche, in die wir den Fingernagel auf Teufel komm raus nicht hineingebohrt bekommen.

So stehen wir wie Pawlow vorm Hundekäfig, und wenn das Glöckchen klingelt ahnen wir schon: Speichelfluss. Tatsächlich! Haken, weiter. Was wir nicht wissen: Wie fühlt sich das an für diesen Hund, Hunger, Appetit, Hoffnung, Enttäuschung? Als unwissenschaftlich, übergriffig, nicht objektiv erfassbar würde Pawlow diese Fragen verurteilen, und er hat Recht damit. Was als eben die beobachtbare Oberfläche kann ein Film überhaupt erzählen? Meisterhaft führt dieses eiskalte, böse Stück vor, dass das Publikum immer der Resonanzkörper ist und Gefühle nicht gezeigt oder erzählt werden können, sondern immer nur erzeugt – umso ungläubiger betrachten wir die Figur, die diesen filmtheoretischen Zugriff in der Erzählung verkörpert, die Frau, die absolut keine Gefühle hat und deshalb in ihrem Handeln völlig frei scheint. Ein toter Hund sorgt allerdings dafür, dass wir uns unserer eigenen Resonanzfähigkeit versichern können – klassischer kann man’s nicht machen: Old Yeller grüßt aus dem Jenseits.

One_of_Pavlov's_dogs

Homo homini…

Beeindruckend ist, wie gut es The Lobster schafft, universelle Wahrheiten – allen voran wohl die, dass der Mensch dem Menschen nichts anderes als ein Wolf und die höchste aller empathischen Handlungsmöglichkeiten gerade einmal ist, sich aus dem gegenseitigen Zerfleischen vornehm herauszuhalten – mit den historischen Erfahrungen der heutigen Lebenswelt zu verknüpfen – we dance alone, that’s why we only play electronic music. Einfachstes Mittel: Er eignet er sich hierzu eine Science-Fiction-typische Erzählweise an – berichtet wird von der Geschichte des Hummer-Mannes, aber eigentlich geht es ums System –, versetzt die Handlung aber in ein radikal gegenwärtiges Setting – anders als etwa in Arno Schmidts Gelehrtenrepublik, in der ja auch Menschen mit Hunde- und Pferde mit Menschenhirnen existieren dürfen, hat keine atomare Katastrophe das gegenwärtige System der Dinge verheert und außer Kraft gesetzt, kein Reset hat stattgefunden: In The Lobster fahren die Menschen mit unseren Autos durch die Gegend, sie tragen Anzüge aus feinem Zwirn und schmieren sich die schmerzende Stelle am Rücken mit Salben ein, die wie die unsrigen frei verkäuflichen mehr oder weniger effektiv helfen.

Dabei dürfen wir uns nicht nur wundern und stumm schreien, sondern auch lachen, über Bilder und Sätze und die schlauen Ideen, die sich auf der Mikroebene erzählen lassen: There’s blood and biscuits everywhere.

Wie gut, dass dieser Film, der in Deutschland eigentlich nur auf DVD erscheinen sollte, nun doch in ausgewählten Kinos zu sehen ist – das gibt uns allen Gelegenheit, beim nächsten Tinder-Date den ultimativen Test zu machen. Denn wer nach diesem Film noch miteinander ins Bett geht, ist entweder völlig verzweifelt, ziemlich gestört, wahnsinnig schlau oder extrem stumpf – nicht die schlechtesten Voraussetzungen für Wasauchimmer.

The Lobster 114 Minuten, Sony Pictures Home Entertainment