The sun always shines on tv

The Sun always shines on TV: The greatest show on earth – Live vom Petersplatz in Rom

In Mathias Mertens historischer Fernsehkolumne The Sun always shines on TV geht es heute um die Parallelen von Gottesdienst und Fernsehen . #19 (25. Februar 2001)

In der Talkshow III nach Neun wies der als Schriftsteller bezeichnete Anzugträger Benjamin von Stuckrad-Barre, seines Zeichens ehemaliger Gagschreiber der Harald Schmidt Show, auf die Ähnlichkeiten von Gottesdienst und Late-Night-Show hin. Beide besitzen einen Zeremonienmeister, der die Welt erklärt, ihre Verfehlungen aufzählt und die Besserung anmahnt, der die kanonischen Texte vorträgt und eine gewisse Liturgie pflegt. In beiden gibt es einen Tisch, an dem sich wichtige Abschnitte der Zeremonie abspielen, und beide werden musikalisch unterlegt. Dem ist nichts hinzuzufügen. Man muß allerdings fragen, ob man die Parallelen zwischen institutionalisierter Religion und Fernsehunterhaltung auf die Late-Night-Show beschränken sollte. Denn es ist durchaus möglich, im gesamten Fernsehprogramm eine säkularisierte Form des Dienstes an Gott zu sehen. Oder, historisch korrekt, in Gott das erste Massenmedium und in Jesus den ersten Popstar zu sehen.

Seit einiger Zeit wird sich das Fernsehen seiner Ursprünge bewußt. Die Frage war nur, ob man es den Zuschauern zumuten konnte, nicht mehr in verschlüsselter und sublimierter Form aufzutreten, sondern ganz direkt die alten Rituale zu präsentieren. Das letzte Jahr bot eine Gelegenheit zu einem vorsichtigen Test. In Rom wurde das Heilige Jahr gefeiert, eine riesige Samstagabendshow für die Stadt und den Erdkreis, mit dem herzergreifenden Aufbrechen der Türen durch den siechen Papst. Die Reaktionen waren recht positiv und somit einigermaßen ermunternd. Doch irgendetwas fehlte noch. Das Publikum identifiziert sich nicht mit Sendungen, sondern mit ihren Moderatoren. Es brauchte Gesichter, Köpfe, charismatische Gestalten, um das Religiöse des Fernsehens zu verkörpern.

Kurz gesagt: man benötigte einen Star. Egal wie spannend Autorennen, Tennis oder Skispringen an sich sind, populär wurden sie in Deutschland erst als es Michael Schumacher, Boris Becker und Martin Schmidt gab. Erst über diese Erfolgreichen aus dem eigenen Land fand man einen Zugang zu der Sportart, beziehungsweise man akzeptierte die Sportart als Rezeptionsmetapher, um sich der tribalen Heldenverehrung hingeben zu können. Genau das machte dann auch die Sportarten für das Fernsehen interessant. Eigentlich ist es völlig wurscht, ob es nun Tennis oder Minigolf ist, wenn Millionen von Menschen den einen Menschen aus ihrem Herkunftsgebiet abfeiern wollen, muß man sich eben die Übertragungsrechte sichern. Denn es verspricht die maximalen Werbeeinnahmen. Bei der Religion haperte es bisher in Deutschland an solchen charismatischen Stars. Der Papst ist zwar O.K., aber er kommt eben nicht aus Deutschland, sondern will uns sogar noch vorschreiben, wie wir zu bestimmten Themen Stellung nehmen sollen. Das konnte uns nicht gefallen. Jetzt kam allerdings Karl Lehmann. Und alles wurde anders. Karl Lehmann sollte Kardinal werden. Einer der, aus deren Mitte der nächste Papst gewählt werden soll. Und ein so netter und sympathischer Mensch noch dazu. Einer, der auch aufmüpfig ist, der sich mit Autoritäten anlegt. Ein echter Star sozusagen.

Kein Wunder, daß sich die Fernsehanstalten um die Übertragungsrechte der Kardinalsernennung rissen. Auf ARD, n-TV, N24 und Phoenix konnte man schließlich diese Woche live dabei sein, wenn unser Lehmi die rote Mütze des Papstkandidaten aufgesetzt bekommt. Gut, da waren auch noch drei andere Deutsche dabei, aber ehrlich, wen interessierten die schon? Kennt noch jemand die anderen Mitglieder des siegreichen Daviscup-Teams um Boris Becker? Oder mit welchen anderen Springern Martin Schmidt Mannschaftsweltmeister wurde? Nein. Denn ohne den Star sind die anderen nichts. Deshalb ist der Star alles. Auch bei Karl „Lehmi“ Lehmann ist es so und die Kommentatoren vom Peterplatz reagierten entsprechend auf die (viel zu wenigen) Großaufnahmen vom Kardinal. Auch hinter den immer wieder aufgestellten Spekulationen über den Gesundheitszustand von Johannes Paul II. war die leise Hoffnung spürbar, daß das Unglaubliche eintreten möge und unser Lehmi plötzlich der Heilige Vater würde. Unglaublich. Eine Geschichte wie die vom 17jährigen aus Leimen. Oder dem 16jährigen Martin. Oder der 15jährigen Franzi. Oder so.

Unter diesem Blickwinkel wirkte der Petersplatz wie ein Fußballstadion. Die Kamera fuhr an den Gesichtern der Kardinäle vorbei, als stünden hier zwei Fußballmannschaften während ihrer Nationalhymnen. Aber auch die Zweckentfremdung von Stadien, um Rockkonzerte abzuhalten, wurde evoziert. Man sah die Absperrungen im Innenraum, die die Zuschauermassen in überschaubare Blöcke kanalisieren sollten, man sah die Bühnenaufbauten an der Stirnseite des Ovals, die an christliche Tempelanlagen in Italien erinnern sollten. Als allerdings die Kommentatoren anfingen, das Kardinalssystem zu erklären und die einzelnen rotgekleideten Personen vorzustellen, da kippte dieser Eindruck. Plötzlich wurde klar, daß man einer Reality-Soap beiwohnte. Was dort stattfand war Big Brother – Der Einzug.

Denn was sind die Kardinäle anderes als die in den Container einziehenden Kandidaten. Auch diese bleiben so lange eingesperrt, bis sie durch Nominierungen und Ausschlußverfahren einen der ihren zum Sieger erklärt haben. „Der Sieger ist John!“ schreien die einen, „Habeamus Papam!“ signalisieren die anderen. Die Vorstellung der einzelnen Kardinäle ähnelt den Videos, die von den einzelnen Bewohner während der Sendung eingespielt werden, oder der Zusatzberichterstattung in Big Brother & Friends bzw. Big Brother – Die Reportage. Und wie bei Big Brother besteht der Charme der Kardinalsernennung, daß man es hier nicht mit Schauspiel- oder Moderationsprofis zu tun hat, sondern daß sich alle „authentisch“ verhalten. Die Kardinäle hielten ein Buch in der Hand, in dem der ganze Ablauf notiert war, damit ja keine Aussetzer passieren. Sogar das Vaterunser mußten sie ablesen, allerdings auf Italienisch (warum man es nicht auf Latein aufsagte, blieb allerdings ungeklärt). Auch ihren Schwur gegenüber dem Papst fanden sie in diesem Buch. Dem Dirigenten der Schola flog während des Gesangs die Partitur weg, so daß er verzweifelt die Seiten festhalten mußte, während er weiter souverän den Chor leiten wollte. Und bei den Umarmungen zwischen gerade ernannten Kardinal und Papst wußten beide Seiten jeweils nicht, wie man das machen sollte. Küßchen rechts und links, oder nur Umarmen, oder nur symbolisch Hinstrecken der Arme. Herrliche Unbeholfenheit, die man da betrachten konnte.

Die Frage, die bleibt, ist die nach der Henne und dem Ei. War zuerst Kardinalsernennung und dann die Papstwahl da, wofür die Chronologie der Historie sprechen würde, oder gab es zuerst die Reality-Soap, an deren Präsentationsformen sich die religiösen Institutionen orientiert und sich angepaßt haben. Wahrscheinlich ist es, wie immer, eine wechselseitige Beeinflussung, ein Rückkopplungsprozeß, der auf beiden Seiten zu neuen Entwicklungen geführt hat. Oder aber es liegt, wie so oft, alles nur im Auge des Betrachters. Weil wir die Reality-Soap gesehen haben, erscheint uns das Althergebrachte plötzlich als etwas Zeitgemäßes. Auch Guido Westerwelle stellte im Container ja fest, daß ihm die Prinzipien seltsam bekannt aus dem Bundestag waren. Auch dort wären überall Kameras, alle versuchten, sich herauszunominieren und es gäbe ständig wechselnde Hinterbankskoalitonen. Ihr Fernsehanstalten dort draußen: Sucht also weiter nach bisher nicht abgefilmten Geschehnissen, damit wir erkennen, wie universell das Fernsehen doch ist. Oder wie televisiv das Universum ist. Ganz wie man meint.

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  • The sun always shines on tv: Mathias Mertens