Vernissage body of work: Aus wie vielen Teilen besteht eine Frau?

Die Austellung body of work im Hannoveraner Ihmezentrum stellt Fragen nach Identität und Gewalt.

Donnerstagabend im Ihmezentrum in Hannover. Eine Party ist im Gange in einer Wohnung im vierten Stock des berühmten 70er-Jahre-Hochhauses. Menschen drängen sich auf dem engen Flur, unterhalten sich im Schlafzimmer, sitzen auf dem Sofa im Wohnzimmer, wo der Fernseher läuft. Es gibt Getränke und Knabberkram. In der Küche läuft die Geschirrspülmaschine. Jemand hält eine Rede, alle klatschen, stoßen an, unterhalten sich angeregt weiter. Doch unter all den Menschen fehlt einer: die Gastgeberin. Die Person, die hier wohnt, ist eine Figur – erschaffen von der Künstlerin und Photographin Katrin Ribbe für ihre Rauminstallation body of work. Ribbe selbst ist natürlich präsent: in persona wie auch in ihrer Arbeit. Doch die Figur, die sie erschaffen hat, ist ausschließlich in den Details anwesend: in der Art, wie sie lebt; in drei Zimmern, Küche, Bad; zwischen nach Farben sortierten Büchern, mit einem ordentlich aufgeschlagenen Bett, einer mit Schwarzlicht beleuchteten Abstellkammer, die wie ein Leichenschauhaus wirkt, weil sie die meisten Teile der Frau beherbergt und in einem Regalsystem ausstellt. Denn darum geht es: Um eine Frau, die sich bzw. Photographien ihrer selbst in Einzelteile zerlegt und auf Kissen gedruckt hat. In der Küche trocknen noch die Bezüge auf einer Leine und die Nähmaschine steht bereit für die Arbeit an den nächsten Kissen. Aus einer Ecke im Wohnzimmer und unter einer verschlossenen Tür hervor quellen die Kissen, die Einzelteile der Frau. Und auf dem Sofa liegt sie in ihrer dreigeteilten, ganzen Schönheit wie ein klassischer weiblicher Akt ähnlich der Venus von Urbino. Andere Kissen zeigen Perspektiven wie in dem Akt von Modigliani oder dem Ursprung der Welt von Courbet und der Geburt der Venus von Cabanel und vielen anderen Beispielen quer durch die Kunstgeschichte.

Meta-Ebenen in Film und Spiegel

Die Gewalt aber, die dem Körper angetan wird (und ab hier muss es nicht mehr zwingend ein weiblicher sein), ist das, was das Publikum reizt und teils verstört. Denn nicht nur ist der Körper in Teile zerlegt, sondern auch der Akt des Nähens, speziell wenn Nadel und Faden die auf den Stoff gedruckte Brustwarze durchstechen, sorgt für gemischte Gefühle. Das Nähen wird im Film gezeigt, der im Wohnzimmer in Dauerschleife läuft und sich zudem der Frau und ihren abstrakten Teilen, ihren gesellschaftlichen Rollen widmet: die zwiebelschneidende Hausfrau, die kümmernde Mutter, die akribische Sekretärin, die Unbekannte in der Straßenbahn – alles in ungeschönten, natürlich alltäglichen choker Close-ups und italian shots. Die bedruckten Kissen, Photographien, Photographien von Photographien, der Film und Spiegel erschaffen mediale Meta-Ebenen der (Selbst-)Re-flexion und werfen dabei diverse Fragen auf: Wann ist eine Frau eine Frau? Wie viel Gewalt tun wir uns als sozialen Wesen und unseren Körpern alltäglich an, indem wir Rollenbildern, gesellschaftlichen Erwartungen und Medienbildern gerecht werden wollen, wo wir doch eigentlich nur uns selbst treu bleiben sollten? Aus wie vielen Teilen bestehen wir – materiell und immateriell? Und wie weit sind wir im Optimierungswahn bereit zu gehen? Wie viel bleibt dann noch von uns? Diese letzte Frage kann man sich als Besucher_in der Installation prima im bedeutungsvollsten Raum des Kunstwerks stellen: dem Schlafzimmer. Denn dort wird man selbst zur Figur, die da ist und sichtbar und präsent ist – und gleichzeitig doch nicht.

Eine kluge, kurzweilige Einführung aus feministischem Blickwinkel übernahm Lisa Lucasson (She She Pop). Konzept und Photographie von Katrin Ribbe; raffiniertes und detailverliebtes Szenenbild von Dennis Ennen, Birgit Kloetzer und Anika Marquardt; kreatives und punktgenaues Licht von Reiner Brockelt; inhaltlich wichtiges, weil die Installation ergänzendes Video von Mathias Max Herrmann und Katrin Ribbe; Dramaturgische Beratung: Philipp Schulte.

Hier zu finden: Ihmezentrum, Eingang: Ihmepassage 7; geöffnet vom 17. bis 25. August 2017, täglich von 17 bis 22 Uhr. Finissage und Abschlussparty (möglicherweise mit Kissenschlacht?!) am 26. August 2017 ab 20 Uhr.

Bildquellen

  • Foto 17.08.17, 21 20 30: Jacqueline Moschkau
  • naked_pillow (1): Katrin Ribbe