Wo die wilden Karnickel wohnen

Kaninchen als Allegorie: Mit „Wie die Karnickel“ liegt nun Jasper Ffordes fluffiger Roman über Fremdenhass auch auf Deutsch vor.

„Das Ereignis erfüllt alle Merkmale der Satire. Wenn auch die Durchführung recht stümperhaft war“, sagt Peter Knox, der Erzähler in Jasper Ffordes Roman Wie die Karnickel. Stümperhaft ist die Durchführung des Buches nicht, eine Satire ganz sicher, also spricht vielleicht spricht da auch ein wenig der Autor. „Das Ereignis“ bezieht sich im Buch auf ein, nun ja, Ereignis, bei dem in der Welt des Romans hauptsächlich Kaninchen, aber auch Wiesel, Füchse, ein Elefant und einige andere Tiere vermenschlicht wurden. Soll heißen: Die Tiere sind etwa menschengroß, können sprechen und sind intelligent. Gerade von den Hasen gibt es viele – in Großbritannien etwa 1,2 Millionen – und die haben, sehr zum Ärger der Einwohner des kleinen, britischen Ortes Much Hemlock in dem der Roman spielt, auch eine eigene Sprache, Kultur und Religion mitgebracht. Auf englisch ist der Roman unter dem Titel The Constant Rabbit schon 2020 erschienen, die deutsche Übersetzung von Miriam Neidhardt erscheint im September im Satyr-Verlag.

Wie die Karnickel ist ein stark allegorischer Roman, wie auch die ersten zur Zeit verfügbaren Bände von Ffordes Farben-Trilogie, Rot und Grau, in denen Fforde ein auf künstlich angezüchteter Farbenblindheit basierendes soziales System in einem dystopischen Setting imaginiert.

Vegetarier? Schrecklich!

Wie die Karnickel zielt auf Fremdenhass ab. Eine eigenes eingerichtete Geheimpolizei der in Großbritannien regierenden Anti-Hasen Partei imaginiert, mit freundlicher Unterstützung der vermenschlichten Füchse, die „Operation Litter Bomb“ der Kaninchen, soll heißen: Man schwurbelt vor sich hin, dass die Kaninchen einen Bevölkerungsaustausch vorbereiten, schließlich können sie sich bedeutend schneller vermehren als Menschen. „Ich will nicht, dass hier passiert, was in Ross4 passiert ist“, sagt einer der Antagonisten. „Dort kann man sich vor lauter Kaninchen kaum noch bewegen, der ganze Ort riecht nach Salat und Englisch wird dort fast gar nicht mehr gesprochen.“ Noch dazu sind die Kaninchen – der Horror! – Vegetarier, achten auf die Natur und pflegen ein gemeinschaftlicheres Miteinander miteinander als die Engländer. „Sobald man eine Familie hereinlässt“, sagt einer der Antagonisten im Buch, „beginnt die Abwärtsspirale. Andere Kaninchen mit weniger gewissenhaften Moralvorstellungen ziehen nach – und mit ihnen kriminelle Elemente.“ Wobei die Kriminalität der Hasen sich – größtenteils – auf illegales Buddeln beschränkt.

Leperiphobe Hassgruppen und sonstige fiese Leute

Die Welt, die Fforde entfaltet, ist bösartig bekannt: Ein Geheimdienst, der gegen die Kaninchen – sowieso als Wesen zweiter Klasse eingestuft – arbeitet, unterstützt von einer extremistischen Regierung, die willkürliche Gesetze gegen sie erlässt, ein Ökosystem aus mehr oder weniger gewaltbereiten, leperiphoben Hassgruppen und wohlmeinenden Pro-Kaninchen-Gruppierungen. Der große Konflikt in dem Roman entspinnt sich, als alle Kaninchen in ein Reservat – oder, wenn man so will, Konzentrationslager – in Wales verfrachtet werden sollen und der eher rückgratlose Peter Knox zusammen mit seiner Kaninchen-Jugendfreundin Constance wider Willen beginnt, im Kaninchen-Untergrund zu agieren.

Und, ja, „Wie die Karnickel“ ist eine Satire – in dem Sinn, dass alles sehr lustig ist: Die Kaninchen, die in einer Menschenwelt zurechtkommen müssen, kulturelle Missverständnisse, Erörterungen der psychoaktiven Wirkungen von Karotten und Löwenzahnschnaps. Aber es ist auch eine bitterböse Allegorie, die Fremdenhass ins Absurde wendet – wer könnte schon Kaninchen hassen? – und daran durchexerziert, wie absurd Fremdenhass sein kann. Wie Populismus sich in den Köpfen der eigentlich ganz normalen Einwohner von Much Hemlock festsetzt, bis die Ängste der Menschen kaum noch etwas mit der Realität zu tun haben. Alles ist natürlich stark vereinfach, dennoch funktioniert Wie die Karnickel als allegorische, hochpolitisch-fluffige Geschichte sehr gut: Unsicherheit, Angst, Populismus und Hass schaukeln sich, auf den Rücken eigentlich wehrloser Wesen, immer weiter hoch, bis am Ende ein Konzentrationslager steht. Ähnlichkeiten mit der Realität sind da natürlich beabsichtigt. Aber immerhin: Wie die Karnickel geht gut aus.


Jasper Fforde: Wie die Karnickel
Satyr, 2025
408 Seiten, 25 Euro