Auf die politische Fresse

An André Pilz’ sechstem Roman Morden und lügen stimmt einfach alles – oder fast. Martin Spieß hat ihn gelesen.

Man weiß immer erst, was man vermisst, wenn es man es nicht mehr hat – oder es plötzlich wieder da ist, nachdem es lange weg war.

Auftritt André Pilz, dessen mittlerweile sechster Roman Morden und lügen gerade bei Suhrkamp erschienen ist. Einziges Manko: Der etwas lahme Titel. Nein, das stimmt nicht. Der Roman ist auch viel zu kurz. Ehe man sich richtig versieht, ist er schon zu Ende. Dabei würde man – wie bei jedem Buch des österreichischen Autors – auch noch zweihundert Seiten mehr lesen.

Denn André Pilz’ Geschichten entwickeln stets einen so unglaublichen Sog, dass man sich ihm nicht nur nicht entziehen kann, sondern es auch nicht will. Morden und lügen ist da keine Ausnahme.

Mit dem Gesicht in den Dreck

Der (Anti-) Held der Geschichte ist Jan, ein Schriftsteller, der gerade mit seiner Frau aufs Land gezogen ist, um dort wieder (mehr) zu schreiben und auch, um Geld zu sparen. Es wird schnell klar: Auch dieser Held von Pilz ist ein Underdog, einer, der kämpfen muss, um den Kopf über Wasser zu halten. Das gelingt ihm (natürlich) nicht immer, er strauchelt, er stolpert, fällt hin – manchmal sogar mit dem Gesicht in den Dreck.

Kaum in der Einöde angekommen, sucht ihn ein alter Mordfall aus Student*innentagen heim – in Form der Mutter des Mordopfers: Er habe doch etwas mit der Angelika gehabt, behauptet sie. Er habe doch damals nicht alles gesagt bei der Vernehmung.

Jan sagt, er erinnere sich nicht mehr, er wäre so betrunken gewesen wie vorher und nachher nie wieder. Insgeheim hat er Angst, dass er vielleicht sogar der Täter war, es aber einfach vergessen hat.

Scheitern und sterben

Diese Zweifel nagen so sehr an ihm, dass er seine Frau in der Pampa zurücklässt und in die alte Studienstadt fährt, um der Sache auf den Grund zu gehen. Er lernt die Bloggerin Haddah kennen, die ihre eigenen Motive hat, der Geschichte nachzuspüren, und gemeinsam begeben sie sich auf die Suche, die sie in ein Netz aus (Polizei-)Korruption, Rassismus und Sexismus führt. Ob sie da wieder lebend rauskommen?

Das ist bei André Pilz tatsächlich keine Floskel. Der Autor lässt seine Helden nicht nur gern auf die Fresse fallen, sondern am Ende ganz und gar scheitern – und manchmal sterben. Zu der Frage, ob Jan vielleicht wirklich der Täter ist und die einen als Leser*in geradezu um den Verstand bringt, kommt auch noch die Frage hinzu, ob Jan es bis zum Ende des Buches macht.

André Pilz ist aber nicht nur ein Meister spannender, sondern auch politischer Themen. Zu den Themen seiner bisherigen Romane gehören unter anderem Rassismus, Zwangsprostitution und Terrorismus. In Morden und lügen geht es um (alte) weiße (und einflussreiche) Männer, die People of Color drangsalieren, schikanieren und töten. Pilz macht Jan glücklicherweise nicht zum white saviour – die schwarze Muslima Haddah ist am Ende die (dankenswerterweise) viel stärkere Figur. Nicht dass sie nicht auch strugglen würde, aber anders als der Ich-Erzähler hat sie keine sexistische Macho-Vergangenheit. Außerdem rückt sie ihn immer wieder gerade, wenn er sich in alte (weiße) Muster verrennt.

André Pilz hat mit Morden und lügen wieder einmal einen fantastischen Roman hingelegt, der da hinschaut, wo es wehtut, und wovor die weiße Mehrheitsgesellschaft allzu gern die Augen verschließt.

André Pilz: Morden und lügen
Surhkamp, 2022
303 Seiten, 16 Euro