Zum Weltherztag: Wie man Leben rettet

Wie rettet man Leben? Zum Weltherztag ein Text von jemandem, der sich damit auskennt.

Mein Tag hat gerade begonnen. Dienst auf dem Rettungswagen. Nach Schichtbeginn war gerade noch Zeit, sich einen Kaffee aufzubrühen, der nun mutterseelenallein auf dem Schreibtisch der Rettungswache vor sich hin dampft.

Tatüü-Tataa-Tatüü-Tataa. Ich sitze auf dem Beifahrersitz des Rettungswagens und gucke grimmig aus dem Fenster. Ausgerechnet jetzt. Warum ausgerechnet jetzt? Typisch! In diesem Moment verrät uns ein Bildschirm auf dem Armaturenbrett, welcher Notfall meinen perfekten Kaffeemoment zunichte machte. “Bewusstlose Person – läuft blau an – weiblich, 64 Jahre NEF kommt“ steht dort (NEF = Notarzteinsatzfahrzeug). „Alles klar…“, sagt mein Kollege Martin. „…ich mache Dampf“. Er tritt auf das Gaspedal. Unser Ziel ist nicht weit entfernt. Es liegt in der Fußgängerzone auf der Haupteinkaufsstraße. Der Verkehr hält uns kaum auf, schließlich ist es Samstag und es sind wenige Autos auf der Straße unterwegs. Etwa vier Minuten nach dem Alarm biegen wir in die Zielstraße ein. Ein Blick in die Straße genügt und unser Einsatzort scheint klar. Etwa 100 Meter vor uns sehen wir eine Menschentraube, neben der wir kurze Zeit später zum Stehen kommen. Ich steige aus dem Rettungswagen, öffne die seitliche Schiebetür, schultere den Notfallrucksack, die mobile Sauerstoffflasche und unser tragbares EKG-Gerät. Martin bahnt sich bereits den Weg in die Mitte der Menschentraube, wo er die Patientin vermutet. Ich folge ihm. Umringt von Schaulustigen liegt dort eine Dame auf dem Rücken. Die Meldung, dass sie blau anlaufe, ist keine Übertreibung. Ein Mann kniet neben ihr, er hebt den Kopf in unsere Richtung, sein Blick ist verzweifelt. Martin überprüft Atmung und Puls. „Keine Atmung, kein Puls tastbar.“ Sofort beginnen wir mit der Reanimation, ich packe den Beatmungsbeutel aus, Martin beginnt auf den Brustkorb zu drücken. KNACK! Eine Rippe bricht und ein Schaudern geht durch die uns umringende Menschenmenge. Während ich einen Venenzugang vorbereite, fragt Martin laut in die Runde: „Gehört hier jemand zu der Dame? Kennt jemand diese Frau? Hat jemand gesehen, was passiert ist?“ Keine Antwort. Nicht einmal ein Raunen. Wie so oft. Keiner hat etwas gesehen oder die, die etwas gesehen haben, sind einfach weitergegangen. Die Stille wird durchbrochen von der sich nähernden Sirene des Notarztfahrzeugs, das gerade um die Ecke biegt. Dann geht alles ganz schnell. Der Notarzt und ein Rettungsassistent steigen aus, der Venenzugang wird gelegt, vorbereitete Medikamente injiziert, und gemeinsam können wir die Dame unter Reanimation in den Rettungswagen schaffen. Dort versuchen wir alles Menschenmögliche, um ihr Herz wieder zum Schlagen zu bringen. Doch alle Bemühungen sind vergebens. Sie wird kurze Zeit später für tot erklärt.

Man kann die Wartezeit auf den Rettungswagen nutzen, um Leben zu retten

Eine traurige Geschichte, wie sie sich so oft im Alltag des Rettungsdienstes abspielt. Wiederbelebungen gehören zum täglich Brot, Erfolglosigkeit beim Versuch, jemandem eine Chance auf das Überleben zu geben, auch. Der plötzliche Herztod stellt mit 80 000 bis 100 000 Fällen pro Jahr die häufigste Todesursache in Deutschland dar, eine Zahl, die so hoch nicht sein müsste (Quelle: https://www.einlebenretten.de). Doch es gibt einen Silberstreif am Horizont: Wir selbst können dabei helfen, diese Zahl zu senken, wir selbst können zum potentiellen Lebensretter werden. Warum ist es so wichtig, dass gerade wir uns damit beschäftigen,obwohl wir wahrscheinlich keine Fachleute für Medizin sind? Das liegt daran, dass bei einem Herzstillstand sofort Hilfe geleistet werden muss. Ruft man einen Rettungswagen, vergehen die wertvollsten Minuten, während man auf professionelle Hilfe wartet. Diese Wartezeit kann man nutzen, um Erste Hilfe zu leisten und dem Betroffenen eine Chance zu geben, zu überleben.

Nur liegt der letzte Erste-Hilfe-Kurs oft eine ganze Weile zurück und – ganz klar – man vergisst eine Menge. Da gab es Zahlen: 30 oder 15 Mal drücken, dann “irgendwie“ beatmen. Wie in der geschilderten Geschichte stehen oft viele Menschen um einen Hilfebedürftigen herum, wissen aber nicht genau, was sie tun sollen. Nachvollziehbarerweise erinnert man sich nicht mehr genau an das, was man im Erste-Hilfe-Kurs gelernt hat. Zu viele Informationen in zu kurzer Zeit. Deswegen folgt mein Tipp: Vergessen wir Zahlen und wenig hilfreiche Informationen! Denn um die Wiederbelebung vernünftig durchzuführen braucht man sich nur zwei Dinge zu merken.

Highway To Hell

Alle Jahre wieder werden die Richtlinien für die Wiederbelebung durch Laien auf den neuesten Stand gebracht. Vorbild für Deutsche Hilfsorganisationen ist dabei die American Heart Association. Und die rät für den Fall, dass man jemanden ohne Atmung findet, kurz und knapp: “Press hard and fast!“

Damit man nicht an der falschen Stelle drückt, hat man sich die sogenannte „between-the-nipples-Methode“ ausgedacht. Der Punkt, auf den gedrückt werden soll, liegt zwischen den Brustwarzen in der Mitte des Brustkorbes. Nachdem klar ist, „wo“ man drücken soll stellt sich nun die Frage nach dem „Wie“. Was bedeutet „press fast“?

Dazu gibt es Zahlen, die die Geschwindigkeit beschreiben, mit der gedrückt werden soll: Zwischen 100 und 120 Mal in der Minute. Aber halt. Wir wollten verwirrende Zahlen außen vor lassen und das tun wir jetzt auch. Stattdessen kann man sich mit Hilfe der Backstreet Boys, der Bee Gees, AC/DC und sogar mit Helene Fischer eine spitzenmäßige Eselsbrücke bauen. Die haben nämlich allesamt Lieder geschrieben, die die passende Geschwindigkeit vorgeben und sogar passende Titel haben. Lässt man in Gedanken Staying Alive von den Bee Gees, Atemlos von Helene Fischer, Quit Playing Games With My Heart von den Backstreet Boys oder für die hartgesotteneren Lebensretter Highway To Hell von AC/DC laufen, und drückt im Rhythmus dazu, dann liegt man goldrichtig und erhöht die Chancen für das Überleben des Betroffenen ganz massiv. Achtung: Nicht allzu laut mitsingen. Das sorgt für sehr skeptische Blicke der Umstehenden.

Also: Was war wichtig?

  1. Schnell und tief in der Mitte des Brustkorbs zwischen den Brustwarzen drücken.
  2. Highway To Hell, Staying Alive, Atemlos oder Quit Playing Games With My Heart sind perfekte Reanimationssongs. Im Rhythmus zu einem dieser Lieder drücken.

Halt! Da war noch etwas: Beatmung? Ja oder Nein?

Man muss während der Wiederbelebung als Laie nicht mehr zwangsläufig beatmen. Das ist eine gute Botschaft, denn unglücklicherweise sehen die meisten Menschen, die eine Wiederbelebung nötig haben, nicht aus wie Heidi Klum, sondern so, dass man sich nicht darum reißen würde, Ihnen den Kuss des Lebens zu spenden. Warum kann man die Beatmung im Zweifel weglassen? Im Blut liegen Sauerstoffreserven, die vier bis fünf Minuten halten können. Gerade in westlichen Industrienationen ist der Rettungsdienst dann häufig schon vor Ort und kann übernehmen. Zusätzlich hat man herausgefunden, dass die „Drück-Pause“ die man zum Beatmen macht, nicht länger sein sollte, als vier bis sechs Sekunden, da sonst der Effekt der Herzdruckmassage so gering ist, dass sie nicht mehr viel bringt.

Einen guten Eindruck davon, wie es geht, vermittelt das 3-Minuten-Video zur Reanimation mit Hinnerk Baumgarten und Johannes Hinrich von Borstel bei der Sendung DAS! im NDR Fernsehen.

Sollten Sie also in die Verlegenheit kommen, jemanden ohne Atmung vor sich auf der Straße zu finden, dann können Sie demjenigen mit diesem Wissen eine große Chance geben und im glücklichsten Fall sogar sein Leben retten.

 

Der Weltherztag ist eine Initiative der World Heart Federation (WHF), in der sich die Herzstiftungen und kardiologischen Fachgesellschaften von mehr als 100 Ländern zusammengeschlossen haben, so auch die Deutsche Herzstiftung.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich im resonanzboden, dem Blog der Ullstein Buchverlage. Johannes Hinrich von Borstel hat dort 2015 sein Buch Herzrasen kann man nicht mähen veröffentlicht.

Bildquellen