Beziehungsmodelle in Games: Vom Nicht-Finden der Liebe

Jan Fischer war auf der Suche nach Liebe aller Art. Gefunden hat er den steinigen Weg vom weißen zum gefüllten Blatt. Die vorsichtige Umschiffung eines großen Themas.

„Ich hätte gedacht, mit dir könnte man mehr Spaß haben“, sagt Titiana Sommertraum und läuft enttäuscht aus dem Restaurant. Hipster McCool – mein Sim mit dem wirklich grandiosen Schnurrbart – ist unglücklich. Unglücklich im roten Bereich. Nett, also: Misslungen. Das ist das Ergebnis meines ersten Dates in Die Sims 2. Hipster McCool beschließt daraufhin, noch eine Weile alleine zu tanzen. Die Spaßleiste füllt sich wieder etwas. Hipster McCool baggert gerade auch noch an Zacharias rum und an Graf Kasimir Reichard, dem Vampir. Als er aufhört zu tanzen, schicke ich ihn aus dem Restaurant nach Hause. Ohne zu bezahlen.

Vor dem weißen Blatt

Ich habe in Die Sims 3 Ehen zerstört, ich habe in Die Sims 2 mit einem Vampir geschlafen, ich habe in Fable III ein ganzes Dorf voller Untertanen, die in mich verliebt sind und mich heiraten wollen, ich weiß jetzt, wie kompliziert es ist in Skyrim jemanden zu heiraten, ich weiß, welche Bugs man ausnutzen muss um in Mass Effect mit mehreren NPCs gleichzeitig anzubandeln, ich habe am Ende von Gone Home eine Träne im Auge gehabt. Ich habe alle diese Texte gelesen, über Spieltheorie in Beziehungen, zum Beispiel, oder flammende Plädoyers für mehr homosexuelle Figuren in digitalen Spielen, lustige Erfahrungsberichte zu Polyamorie-Versuchen in offenen Welten.
Und jetzt? Ich weiß nicht, was ich schreiben soll. Weißes Blatt.

„Arschlochgamer“

Vielleicht kommt es noch jemandem vor, mir kommt es so vor, als poppten solche Dinge in letzter Zeit öfter im Stream auf. Wichtige, große Fragen nach Beziehungsmodellen die über Heteronormativität hinausgehen, große, wichtige Fragen nach Repräsentations- und Identifikationsfiguren unterschiedlichster sexueller Orientierungen in der ganzen Bandbreite kultureller Produktion – auch, und, vielleicht kommt mir das auch nur so vor, vor allem in digitalen Spielen. Wo sie ja tatsächlich auch rar gesät sind.
Ich dachte, es wäre lustig, sich mal anzuschauen, was in der Hinsicht machbar ist. Beziehungen in digitalen Spielen bis zu ihrem Extrem zu spielen. Das war die Grundidee. Und es ist ja auch lustig. Zu sehen, was geht und was nicht. Zu sehen, wo das Regelwerk aufgibt. Es ist ja auch lustig, wenn einem in Fable III eine Meute liebeskranker Dorfbewohner überall hin folgt und verzweifelt um eine Hochzeit bettelt. Wenn eifersüchtige Sims sich während eines Dates prügeln. Wenn Geschlechterpronomen in Mass Effect nicht mehr so ganz gut funktionieren. Ein Erfahrungsbericht mit den skurrilsten Szenen und daraus – das wäre der Plan gewesen – dann eine schöne, glitzernde These zu bauen. Mich ein wenig darüber aufregen, dass „Die Sims“ zwar schon immer homosexuelle Beziehungen erlaubt und seit Die Sims 3 auch Hochzeiten, dass Poly-Beziehungsmodelle aber immer an Eifersucht scheitern. Mich fragen, was es bedeutet, dass in „Fable III“ jeder Versuch, sich nicht geschlechtskonform zu kleiden oder zu frisieren mit abfälligen Bemerkungen irgendwelcher NPCs quitttiert wird. Mich noch mehr darüber aufregen, dass, sobald auch nur ein homosexueller Mann in einem Spiel auftaucht, sofort die „Arschlochgamer“ – wie Rainer Sigl diesen speziellen Menschenschlag auf videogametourism.at nennt – gegen „Verschwulung“ von Spielen auf die Barrikaden gehen, lesbische Beziehungen aber offenbar total in Ordnung sind. Und jetzt sitze ich hier, weiß, hetero, männlich, habe – die Erkenntnis kam gerade erst – noch nicht einmal im meinem Leben den Penis einen fremden Mannes auch nur berührt, und frage mich: Bin ich der richtige? Oder ist es arrogant, aus meiner Perspektive einen lustigen Artikel zu einem Problem zu machen, das nicht meines ist, zu einem Kampf, den viele Menschen ernsthaft führen, egal, von welcher Seite, der nicht mein Kampf ist und nie meiner war?

Unangebrachte, glitzernde Thesen

Ich möchte nicht falsch verstanden werden: Ich bin der erste, der sich freut, wenn „Beziehung“ in einem Spiel mehr ist als dass ein muskelbepackter Held mit einer Backstory aus der Mülltonne hinter dem Creative-Writing-Seminar mit einer Frau mit viel zu großen Brüsten  und der Charaktertiefe eines Käsebrötchens  vögelt. Wenn offene Welten in Games mehr Möglichkeiten, mehr Optionen, mehr Freiheiten bieten. Wenn ich meinem heldenhaften Fable III-König das schickste Ballkleid anziehen kann, das ich so finde und damit durch die Gegend ziehen kann. Wenn ich meinem Sim einen Vampir- und einen Gestankfetisch als Psycho-Ballast mit auf den Lebensweg geben kann und schauen kann, was daraus wird. Und natürlich ist es super, wenn dabei noch Menschengruppen oder Geschlechter oder Beziehungsmodelle mit einbezogen werden, die in Geschichten ansonsten unterrepräsentiert sind. Das alles ist toller Stoff für Geschichten abseits ausgetretener Pfade. Solche Geschichten sind es, die sich suche. Und Liebesgeschichten sind immer noch die besten Geschichten. Trotzdem: Das, was – davon gehe ich aus – Menschen, die es direkt betrifft, etwas bedeutet, einfach nur wegen seiner Skurrilität zu spielen, lustig darüber zu schreiben und und noch eine nette These aus meiner – unwissenden – Position irgendwas über Beziehungsmodelle in Games draufzuklatschen: Das wäre armselig. Unangebracht.

Homosexualität als persönliche Beleidigung

Tatsächlich wäre eine Feststellung, die man machen könnte, dass die Dinge, langsam, besser werden – wenn man als besser versteht, dass Spieler mehr Möglichkeiten haben Beziehungen zu spielen. „Ich glaube, das passiert schleichend“, sagte Lucien Soulban, Lead Writer bei Ubisoft in einem Interview, „Man muss sich nur mal anschauen, was in Mass Effect II und III geht, oder Dragon Age II oder Skyrim, oder die homosexuellen Figuren in Borderlands 2, von denen man das einfach nebenbei erfährt, ohne großes Trara.“ Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist, dass sich allein gegen homosexuelle Hauptfiguren oder Geschichten immer noch großer Widerstand regt, sowohl von Publishern, die – wieder Lucian Soulban – „Angst haben, es könnte die Verkaufszahlen negativ beeinflussen“, wie auch von Spielern, für die sich gegen alles sträuben was – so Dragon Age Lead Writer Dacid Gaider – „was sie dazu zwingt wahrzunehmen das Homosexualität existiert und das als persönliche Beleidigung auffassen.“

„Normal“ und „Irgendwie anders“

Interessant ist, der Gedanke kommt mir gerade erst, dass man ja sagen könnte: Die Prämisse, meine ganze Idee vom Anfang – Möglichkeiten von Beziehungsformen bis ins Extrem auszuloten – ist schon eine Idee, die zeigt, dass dahinter ein bestimmter Gedanke von „Normalität“ und einer von „Irgendwie anders“ steckt. Das ist auch so ein Ding, wieder dieses Perspektivending: Aus meiner ist es ja so, ich will das nicht, ist aber trotzdem so. Aus der Perspektive der Spiele auch: Homosexualität dehnt die Spielregeln in den meisten offenen Welten nicht, Polyamorie schon, zumindest in Die Sims – meine Versuche, da mehr als eine Beziehung zu jonglieren scheiterten immer an der Eifersucht beider Partner. Wobei es ja für Assassins Creed: Unity schon „zuviel Arbeit“ war, überhaupt einen weiblichen Protagonisten im Co-Op Modus zu haben.

Auf der Suche nach Möglichkeiten

Ich spiele gerne, das ist etwas, was ich mit voller Überzeugung und ohne Probleme sagen kann. Spielen heißt: Ausprobieren. Immer wieder zurückkommen, testen, eintauchen. Ich höre nicht auf, Titiana einzuladen, zu umgarnen, zu beflirten. Ich spiele den heldenhaften König, der mit wehendem Kleid durch sein Land läuft, mit dem einzigen Ziel, möglichst viele Untertanten sich in ihn verlieben zu lassen.
Ich spiele gerne. Das ist eine Richtung, aus der man, wenn man sich mit diesen ganzen komplizierten Beziehungskonstellationen und ihren RL-Implikationen, Problem und Ideologismen befasst, sehr gut kommen kann, egal aus welchem Hintergrund. Ein Satz, mit dem ich das weiße Blatt gut füllen kann. Gerade deshalb kann ich nicht verstehen, warum es Spieler gibt, die sich aufregen, wenn ihnen die Spielwelt plötzlich mehr Möglichkeiten, mehr Wege, die sie erkunden können, bietet.

Mehr Freiheit im Spiel

Tatsächlich wäre es zu hoch gehängt zu sagen: Es geht hier darum, aus einer – meiner – Identität zu fallen, es wäre zu hoch gehängt zu sagen: Ich probiere mich selbst aus, probiere Identitäten aus. Es wäre zu hoch gehängt zu sagen: Was am Ende hier auf meinem weißen Blatt stehen soll ist ein Aufschrei über Ungerechtigkeiten. Ich bin gegen Ungerechtigkeit jeder Art, selbstverständlich, wer nicht?, aber was ich tue, hat etwas mit dem Spielen zu tun – mit dem Spiel als Raum, in dem ich schaue, was innerhalb der Regeln machbar ist. Mein Anliegen ist nicht die für Gleichberechtigung von Beziehungsformen, sexuellen Identitäten und Geschlechtern im digitalen Spiel, obwohl das ein Anliegen ist, dass ich unterstützen kann. Mein Anliegen ist mehr Freiheit im Spiel, mehr Möglichkeiten, mehr Spaß, meine Spielfigur in alle möglichen Situationen zu bringen, Spiele, die ich liebe bis an die Ränder der Spielregeln spielen zu können. Interessanterweise überlappen sich die Anliegen. Bedürfnisse, so könnte man es vielleicht auch nennen.

Etwas passiert

Ich müsste das noch abschließen, mein weißes Blatt, mein Erfahrungsbericht, der keiner ist. Ich könnte sagen: Letztendlich lassen sich, mit etwas Mühe, die Regeln immer etwas dehnen, und die – teils panisch aufgeregten – Artikel, die zu dem Themenkomplex bei mir im Stream aufploppen zeigen mir, dass etwas passiert, dass diskutiert wird, dass sich nicht mehr nur Indies mit Beziehungsmodellen und sexuellen Orientierungen jenseits der 2er-Heteronormativität befassen. Ich könnte sagen: Titiana Sommertraum habe ich am Ende dann doch noch erfolgreich daten können. Ich könnte sagen: Es hat eine Weile auch in einer Dreier-Beziehung zusammen mit Graf Kasimir Reichard funktioniert. Am liebsten möchte ich aber sagen: Auch, wenn die ganzen Kinder, die mein crossdressender König gezeugt hat, eine Menge Aufmerksamkeit erfordern: Jedes Mal, wenn ich jetzt Fable III spiele, freue ich mich über Masse an Liebe, die ihm entgegengebracht wird. Ich habe hart daran gearbeitet. Dafür liebt ihn heute Brightwall, Und morgen das ganze Königreich.

 

Dieser Artikel erschien ursprünglich in einer leicht gekürzten und abgewandelten Fassung in der Nr. 7 des WASD – Games – Bookazines.

Bildquellen

  • Fable3 2013-12-12 16-42-07-89: Screenshot Fable III