Der Unzerstörbare: Zum Tod von Lemmy Kilmister

Man dachte immer, Lemmy Kilmister sei unzerstörbar. Nun hat es ihn doch erwischt. Und er wird fehlen. Solche Menschen werden einfach nicht mehr gebaut.

Wir waren jung, und wir hatten gerade entdeckt, was elektrische Gitarren können. Wir arbeiteten uns in den Stunden, in denen wir nicht in der Schule waren durch die Klassiker.  Wir tauschten CDs aus und kopierten sie auf Kassetten, weil es keine bessere Möglichkeit gab, später brannten wir CDs. Wir hörten Iron Maiden, wir diskutierten das Werk von Metallica und versuchten den Punkt zu finden, an dem es schlecht wurde, wir versuchten herauszufinden, ob wir AC/DC mochten oder nicht. Und selbstverständlich stolperten wir auch über die Väter des Metal-Umlauts, Motörhead.

Ich konnte damals, ehrlich gesagt, nicht so viel damit anfangen. Motörhead waren anders als Metallica mit ihrem dichten und leicht hochnäsigen Metal, anders als Iron Maiden mit ihrem naiven Künstlertum, anders als AC/DC mit ihrem immergleichen Bluesgerocke. Motörhead schienen sich keine Mühe zu geben. Sie bauten ihre Songs immer nur auf je einem Riff auf, rotzten sie einfach dahin und klangen, als hätten sie ihre Alben in einer blechernen Garage aufgenommen. Motörheads Songs klingen immer, als könnten sie jede Sekunde einfach so auseinanderfallen.

Motörhead, möchte ich damit sagen, sind eine schwierige Geliebte, und ich musste diese Songs erst lieben lernen.

Heute weiß ich, dass gerade diese Rotzigkeit, diese gottverdammte Ehrlichkeit, an der Lemmys Stimme einen großen Anteil hat, nur sehr schwer hinzubekommen ist. Dass diese Songs, die in jeder Sekunde fast auseinanderzufallen drohen, im Kern stabiler sind als jede Riff-Masturbation selbst der frühen Metallica.

Genauso könnte man übrigens über Lemmy sprechen: Man dachte immer, er könne in jeder Sekunde einfach vom viel zu viel gelebtem Leben zerbrechen, aber im Kern war er doch so stabil wie kaum ein anderer Mensch. Man glaubte ihm, und vor allem seiner Stimme, dass er 40 Jahre lang jeden Tag eine Flasche Jack Daniel’s getrunken hat und dazu Zigarren geraucht. Man glaubte ihm seine Drogengeschichten, seine Zuneigung zu Amphetaminen, zu allem möglichem, es ging die Legende, dass sein Körper ohne gar nicht mehr funktionieren würde. Man glaubte ihm, dass er unzerstörbar sei, unsterblich, fast, man musste sich den Typen ja nur mal ankucken, mit 70 Jahren noch auf Tour, mit einem ins Herz implantierten Defibrillator, was ja wohl besser zu ihm passte als zu sonst einem Menschen. Man glaubte ihm, wenn man ihn sah, dass er der Erlöser des echten, wahren, Rock’n’Roll war, auf die Erde gesandt, um in ständiger Selbstzerstörung aufzuerstehen und einen immer wieder daran zu erinnern, wie ehrlich und echt Musik klingen kann.

Und überhaupt: Es ist, als sei Lemmy immer irgendwie da gewesen, wenn Rock’n’Roll passierte. Inspiriert von einem Beatles-Konzert begann er zu spielen. Er war Roadie bei Jimi Hendrix. Motörhead wiederum hatte großen Einfluss darauf, wie Guns ’n‘ Roses, Metallica und Dave Grohl Musik machten. Ozzy Osbourne nannte ihn einen Freund. Lemmy war die graue Eminenz von jeder Musik, die brachiale E-Gitarren verwendet, sowohl, was Stil angeht als auch Style.

Nun hat Lemmy Kilmister den Beweis angetreten, dass er doch nicht unsterblich war, nicht ganz so unzerstörbar, wie man dachte. Und er wird schmerzlich fehlen. Menschen wie Lemmy werden einfach nicht mehr gebaut. „There he goes. One of God’s own prototypes. A high-powered mutant of some kind never even considered for mass production. Too weird to live, and too rare to die“, wie Hunter S. Thompson einmal schrieb. Nicht über Lemmy, aber es passt.

Zwei Tage nach der Krebsdiagnose ist gestern Lemmy Kilmister, einer der letzten, großen Rocker, im Alter von 70 Jahren verstorben. Möge es im Himmel Jack Daniel’s und die besten Zigarren geben. Und wenn nicht, lieber Lemmy, setz dich einfach aufs Motorrad und komm wieder zurück. In einer Welt, in der kreative Selbstzerstörung viel zu selten ist, brauchen wir Menschen wie dich.

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