25.5.1983 31. Bundesparteitag der CDU in der Congress-Halle 8 der Kölner Messe.

Drei Fragmente zu Helmut Kohl

Helmut Kohl ist tot. Er gestaltete die deutsche und die europäische Einheit mit. Keiner wurde so oft parodiert wie er. Er ist ein Symbol für das Westdeutschland der 80er-Jahre. Drei Fragmente.

Kohl und die 80er

Dass Helmut Kohl 16 Jahre lang Kanzler war, sorgte dafür, dass jeder, der ab dem Ende der 70er Jahre geboren wurde, bis zur Volljährigkeit quasi keinen anderen Kanzler kannte als ihn. Zum Ende der Präsidentschaft von Barack Obama gab es den Spruch, dass es in den USA Schulkinder gibt, die nie einen weißen Mann als Präsidenten hatten. Kohl regierte doppelt so lang. Es gab Kinder, die sich niemand anderen vorstellen konnten als Kanzler Kohl. Der Kanzler der eine Bundesrepublik Deutschland repräsentiert, die es so nicht mehr gibt. Der „Dicke“, wie ihn man ihn in der CDU nannte, stand für eine machtvolle, konservative und träge Bundesrepublik. Eine selbstzufriedene Ökonomiemaschine mitten in Europa.

Dicke Daimler gehörten ebenso zur Republik Kohl wie fettige Wirtschaftsvertreter. Eine Atmosphäre der Lähmung durchzog Westdeutschland in den 80ern. Der kalte Krieg schwelte vor sich hin und die RAF war nur noch ein Schatten ihrer selbst. Man hatte sich an den jährlichen toten Banker und die stete nukleare Bedrohung gewöhnt. Wimbledon-Finale: nachmittags. Tagesschau: abends. So ging es, bis die Wende kam. Ob Kohl sie nun einfädelte oder nicht: Früher oder später hätte man sich ohnehin mit der DDR auseinandersetzen müssen, denn die Wirtschaft des Arbeiter- und Bauernstaates war marode und die Sowjetunion zeigte sich zusehends weniger bereit den real existierenden Sozialismus zu bezahlen.

Kohl und die Birne

Wenige Kanzler verleiteten so sehr zur Parodie wie Helmut Kohl. Die brummelige Stimme, der pfälzische Dialekt und sein speckiges Gesicht mit dem Kassengestell – wie gemacht, um durch den Kakao gezogen zu werden. Kein Kanzler wurde von so vielen Komikern, Karikaturisten und Kabarettisten (mal mehr oder weniger gelungenen) durch den Kakao gezogen. Allen voran die Titanic, die in ihrer goldenen Zeit die „Birne“ regelmäßig lächerlich machte (Lustigerweise besann sich aber auch der SPIEGEL dieser Tage auf die eigene bildliche Hassliebe zum Kanzler).

Kohl polarisierte und die Popkultur dankte es ihm: Kohl war ein Symbol für das provinzielle Altmännergehabe, dass macho-mäßig und väterlich vor sich hin regierte. Das Ganze in einer Gesellschaft, in der der Kampf der 68er mit der eigenen Vätergeneration noch nachklang. Nach Kohl kam keiner mehr, der so gut und auf den Punkt parodiert werden konnte. Gerhard Schröder war mangels Dialekt schwer zu fassen und sein eigener Parodist. Angela Merkel hat optische und sprachliche Eigenheiten, die man leicht reproduzieren kann, jedoch mangelt es an inhaltlicher Kritikfläche. Die Kanzlerin spricht zu neutral und zu wenig, um gutes Material für eine durchdachte Stilparodie zu liefern. Seit Beginn ihrer Kanzlerschaft eiern die Merkel-Parodien auf dem Niveau eines schlechten Zoni-Witzes herum.

Die Geschichte und Kohl

Die Geschichte begann Kohl nach seinem Tod sofort zu überhöhen. Kritik an der Person und seiner Kanzlerschaft gehen zwischen ganzseitigen Huldigungen fast unter. Vergessen sind die Spendenaffäre, die fliegenden Eier und der NATO-Doppelbeschluss. Kohl ist der einzige deutsche Ehrenbürger Europas und EU-Kommisionspräsident Jean-Claude Juncker will ihm zu ehren einen europäischen Staatsakt veranstalten. Ein Novum.

Fast scheint es, als könnte man bald im Kohl-Mausoleum in Brüssel die sterblichen Überreste des Oggersheimers bewundern. Kohl wird zu einem Symbol von Einheit stilisiert und zum Übervater Europas erklärt. Die Vorgänge die für ein geeintes Europa gesorgt haben, sind zu Komplex um sie darzustellen, daher werden sie auf Helmut Kohl heruntergebrochen. Ein Mann, der soviel Charme versprühte, wie das Eichenfurnier-verkleidete Büro eines deutschen Postvorstehers im Jahr 1986, wird zum kosmopolitischen Vordenker Europas. Darauf einen Pfälzer Saumagen.