Dudelfunk nicht bekämpfen, sondern anpassen! Zur Kritik am Formatradio.

Die Radiolandschaft übertrifft sich gegenseitig in belanglosem Programm-Einerlei. Das Konzept „Formatradio“ macht das Medium zu einer zu Grunde analysierten Maschinerie. Aber daran sind die Radiomacher nicht alleine Schuld. Ein Kommentar.

So viel vorweg: Die Kritik, die seit Jahren auf das sogenannte Formatradio einprasselt, ist berechtigt. Zumindest, wenn man es schlecht findet, dass Radiosender kaum noch unterscheidbare Klangfarben haben, mindestens alle vier Stunden gemäß Durchschnitts-Verweildauer ihre ‚aktuellen Hits‘ wiederholen, den Hörer mit leeren Superlativ-Claims bombardieren, Content auf unter 1:30 Min. herunterbrechen und das gesamte immergleiche 24/7-Programm in einen streng geführten Sendeablauf stopfen. Kurz gesagt, dass Radiosender öden Dudelfunk betreiben. Der eckt nicht an, tut nicht weh, ist nicht relevant.

Der Dudelfunk begleitet allenfalls. Dieser vermeintlichen Funktion des Radios als seichtes Begleitmedium haben sich viele seiner Macher angepasst. Radiomacher trauen sich nichts mehr. Was gegen den Strich geht, könnte Hörerzahlen gefährden. Deshalb gibt es konformes Durchschnittsradio für den Massengeschmack, für den kleinsten gemeinsamen Nenner. Diesem Nenner zufolge stehen Hörer immer zwischen 6 und 8 Uhr auf, haben am Wochenende frei, mögen keinen Regen, lieben Fußball, sitzen im Auto und haben eine Familie, mit der sie im Park spazieren gehen. Und zwar am Wochenende, wenn sie frei haben.

Die Vorstellung von echten Hörern aus menschlichem Fleisch und Blut scheint längst überwunden. Es regiert die abstrakte Idee eines ausdefinierten, imaginären Durchschnittshörers mit Durchschnittsmusikgeschmack und Durchschnittsinteressen und Durchschnittsleben. So wie dem da oben, mit Spazierengehen und so. Dass vermutlich kein einziger Mensch auf der Welt existiert, der diesem Schema F tatsächlich entspricht, ist das eigentlich Absurde. Der ‚verdurchschnittlichte‘ Hörer funktioniert nur statistisch und annäherungsweise. Er funktioniert im System, aber nicht in der Realität. Und dafür, dass am Ende niemand wirklich diesem Zielgruppen-Prototypen entspricht, wird er von den Radiostrategen für ziemlich bare Münze genommen.

Ästhetik lässt sich nicht in Zahlen ausdrücken

Diese Abstrahierung von der Realität geht natürlich auch an den Stimmen des Radios nicht vorbei. Moderatoren müssen dem Willen des Formates entsprechen und werden in eine stramm sitzende Zwangsjacke aus Klischees, Rollenbildern und Durchschnittlichkeit gesteckt. Der Grundsatz: Freiheiten gefährden die Hörerzahlen – Glaubwürdigkeit kann man sich zumindest einreden. Und die Folge ist, dass das eigene On-Air-Produkt, welches einen Sender eigentlich erst einschaltenswert machen soll, seine Seele verliert und entfremdet. Programme büßen ihre Persönlichkeit ein und an dessen Stelle rückt ein maschinalisiertes Programmkonzept, das auf theoretischen Zahlen beruht. Beispiel: Hörer bleiben bei der Stange, wenn sie im Wetter dreimal und nicht nur zweimal direkt angesprochen werden? Na, dann werden Hörer ab jetzt ausnahmslos dreimal direkt im Wetter angesprochen. So will es die Analyse. Und Zahlen lügen bekanntlich nicht.

Nur was all diese Zielgruppenfanatiker nicht verstehen oder nicht interessiert: Ästhetik lässt sich nicht in Zahlen ausdrücken. Oder in Formaten. Je weiter sich die Analytik zuspitzt, desto mehr entlarven sich die Optimierungen als Scheinoptimierungen, deren Grundlage ausschließlich die Liebe zum Geld ist und nicht die Liebe zum Radiomachen. Und diese Einsicht quittieren viele potentielle Hörer damit, dass sie womöglich überhaupt kein Radio mehr hören.

So weit so schlecht. Nun lässt sich allerdings argumentieren, dass die Radioschaffenden in einem Dilemma festsitzen. Entweder macht man Wirtschaft oder man macht adäquates Radio – beides ginge nicht. Und wer sich gegen die Wirtschaft entscheidet, der braucht – zumindest als Privatsender – auch kein adäquates Radio zu machen. Denn wer dem Massengeschmack nicht Genüge tut, hat zwar ein paar ideologisch zufriedene Hörer, dafür jedoch geringe Chancen auf dem Markt, somit auch keine Einnahmen, mit dem sich der Betrieb fortführen ließe. Es ist wenig überraschend, aber bei aller Kritik am Formatradio ist es wichtig zu betonen, dass Radiomacher ihre Entscheidungen nicht im luftleeren Raum treffen. Sondern auch aus guten Gründen.

Einseitig adressierte Kritik

Die Komponente des Massengeschmacks, des großen Durchschnitts, führt unweigerlich auch zurück zu den Hörern. Denn die Hörer machen den Massengeschmack als vermeintliche Bestandteile dessen erst aus. Die Kritik am Formatradio ist zu einseitig adressiert, wenn sie sich nur an die Radioschaffenden richtet und nicht auch an die, die selbst Ansprüche an das Radioprogramm erheben und es durch An- und Wegschalten mitbeeinflussen.

Hier mal testweise die bewusste Gegenthese: Erst weil sich Hörer über unkonventionelles Programm echauffiert und daraufhin weggeschaltet haben, musste das Programm sukzessive zum Dudelfunk umgestaltet werden – so herum funktioniert die Kritik anscheinend auch. Es ist müßig zu diskutieren, ob zuerst das Programm schlecht war, das in der Folge die Hörer vergraulte oder ob zuerst die Hörer abwanderten, die wegen ihrer Empfindlichkeit für seichtes Programm sorgten. In jedem Fall aber macht dieses Wechselspiel von Ursache und Wirkung die ganze Debatte weitaus komplexer, als sie gemeinhin geführt wird.

Wir sollten nicht nur fragen, was Radiosender falsch machen. Wir sollten auch fragen, was Radiosender vor ihren Hörern noch richtig machen können. Einerseits positionieren sich die Hörer gegen ein entseeltes und eingeengtes Formatradio, andererseits sind die Hörer jeglichem Nonkonformismus verschlossen. Weil sie dann wegschalten. „Die Hörer“, die es so wohl gar nicht gibt.

Anstatt diese Masse als Gesamtheit zu betrachten und ihr eine solche Schizophrenie zu unterstellen, ist es offensichtlich, dass wir es einfach mit ganz unterschiedlichen Interessen zu tun haben. Eine Mehrheit (bzw. die größte aller Gruppen) kann den Dudelfunk offenbar halbwegs gut ertragen und die restlichen, kleineren Gruppen streiten sich in ihrer Unzufriedenheit über das Idealradio. Aber sobald ein Sender es wagt, eine Eigentümlichkeit zu entwickeln, gehen ihm die Mainstream-Befürworter verloren. Weil diese Hörer sich in solch einem Programm naturgemäß tendenziell weniger wiederfinden. Und aus der restlichen Menge an Hörern wird nur ein Spezifikum erreicht. Auch Gegner des Formatradios werden die Ausrichtung eines alternativeren Radioprogramms nicht zwangsläufig mögen. Für solche frommen Wünsche, möglichst viele Menschen zu erreichen und keinen abzuschrecken, gibt es ja eben den Dudelfunk.

Radio und Hörer müssen aufeinander zugehen

Die Lösung kann keine radikale Beseitigung des Formatradios sein. Radiomacher müssten langfristig ein Programm kreieren, das nicht auf den allerkleinsten gemeinsamen Nenner und auf stumpfe Begleitung angewiesen ist. Sie müssten festgefahrene Hörgewohnheiten aufbrechen und dadurch Toleranz für innovatives Radio schaffen. Hörer müssten auszuhalten lernen, dass ein Wortbeitrag auch drei Minuten überschreiten darf. Hörer dürften sich auch mit unkonventionellen Nuancen in der Musikfarbe begnügen und mit Moderatoren, die bei aller Massentauglichkeit noch Persönlichkeit haben.

So wird der Dudelfunk nicht bekämpft, sondern sinnvoll angepasst: Die Ansätze bedeuten nicht, dass künftig durchgängig gequatscht werden soll, dass nur noch bizarre Lieder in der Playlist stehen oder dass Moderatoren bewusst provozieren. Der Prozess einer Relevanzwiedererlangung darf nicht überstürzt und überfordernd sein, aber er muss schrittweise erfolgen. Radioschaffende und Hörer müssen beide aufeinander zugehen, indem a) die Produzenten ein ausbalanciertes Programmkonzept wagen und b) die Rezipienten ihre Kultur des kleinbürgerlichen Konformismus hinterfragen.

Es wird sich niemals verhindern lassen, dass Hörer wegschalten. Aber Senderwechsel laufen oftmals völlig unbewusst ab. Es ist der falsche Weg, aus Sicht der Radiomacher jede Hörerreaktion als Alarmsignal zu verstehen und aus Panik nur noch abstrakte wie abstruse Statistiken entscheiden zu lassen. Innovatives Radio braucht natürlich Zeit, Geduld und Konzept.

Allerdings muss auch eine möglichst fleckendeckende Radiolandschaft daran Interesse haben, das eigene Medium wiederzubeleben, bevor es von Spotify und Co. verschlungen wird. Die Funktion und das Verständnis von gutem Radio wird sich nicht nachhaltig ändern, wenn sich die Hörermasse weiter am durchschnittlichsten Dudelfunk zusammenrotten kann. Will sich die Radiolandschaft also lieber im Dudelfunk übertreffen oder in Eigenständigkeit? Je mehr Sender ihren derzeitigen Trott dem Risiko vorziehen, nur um den kurzfristigen Stich des Formatradios zu ziehen, desto eher scheitern erst die Mutigen und später womöglich ein ganzes Medium.

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